Interview
„Es gibt nichts Banaleres als Töne, die auf ideale Weise zusammengestellt wurden“

<a href=" https://www.flickr.com/photos/tomislavmedak/9143225841"target="_blank">"The Idea of Radical Media  Jan Jelinek"</a> by <a href="https://www.flickr.com/people/tomislavmedak/"target="_blank"> tomislav medak </a> is licensed under <a href="https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/CC BY 2.0"target="_blank">CC BY 2.0</a>
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Von Nikita Morosow

Nikita Morosow sprach mit dem legendären deutschen Musiker Jan Jelinek, dem Meister experimenteller musikalischer Formen, die aber trügerisch traditionell klingen, kurz vor seinem Konzert in Moskau.

Woran arbeiten Sie aktuell? Gibt es neue Projekte?


In der letzten Zeit habe ich vor allem mit dem Label gearbeitet: Gerade beschäftigt mich das Organisatorische der Veröffentlichung zweier neuer Vinyl-Releases zum Frühling 2019. Außerdem musste ich mich um die Cover kümmern und die Booklets erstellen. Eines der beiden Alben ist eine Neuauflage meines Debut-Albums Personal Rock, das damals, im Jahr 2000, noch unter dem Pseudonym Gramm bei Source Records erschienen war. Und das zweite ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Klangkünstler Asuna. Diese Arbeit ist ganz anders als die vorherige: Asuna macht sehr tiefe Drone-Musik, die aus dem Zusammenspiel von Orgeltönen und Casio-Sythesizer entsteht. Und ich füge pulsierende Loops hinzu, von denen ich den Großteil fleißig aus Feldnotizen zusammengesammelt habe. Ich komme da wieder auf die Galaxien zurück, diese Idee lässt mich nicht los ... Das Resultat würde ich als eine Ansammlung von Galaxien beschreiben, die sanft und gleichmäßig in den Himmel schweben.

Ja, da kann man die Phantasie schon schweifen lassen. Was können Sie über „Zwischen“ sagen? In einem Interview zu diesem Album haben Sie einmal ausgeführt, dass Sie sich selbst in der Rolle des Beobachters und nicht des Produzenten sehen, und dass Ihnen das ein Gefühl der Erleichterung gibt. Gefällt es Ihnen eher, zu beobachten als den Ton anzugeben?

Das kann ich so nicht sagen, ich suche mir nie eine geeignete Beobachterposition aus. Es ist eher so, dass gerade die konzeptionellen Arbeiten mich zu diesem Titel inspiriert haben – schließlich erfordern sie eine genaue Aufmerksamkeit fürs Detail. Übrigens hat es mir gerade deshalb so besonders gefallen, an Zwischen zu arbeiten: wegen seiner Kontinuität. Alle Veränderungen und die Dramaturgie waren im Vorhinein durch die Materialien der Interview-Aufzeichnungen vorgegeben. Meine aktive Rolle als Komponist begann erst dann, als ich anfing, den Patch des Synthesizers anzusetzen, der den Ton von Grund auf erstellt. Im Laufe der daran anknüpfenden Arbeit mit Asuna sind wir auf etwas Interessantes gestoßen: Wir haben Instrumente eingesetzt und sie selbst spielen lassen, sie wiederholten sich also, während wir uns ihnen – in leichter Trance – nur manchmal näherten. Somit ist die Antwort folgende: Ja, es sieht so aus, als würde mir das Beobachten durchaus anfangen, Spaß zu machen.

Ihnen gefällt die Idee einer begrenzten Auswahl an Instrumenten, die sich selbst spielen?

Genau. Jedes meiner Alben beinhaltete und beinhaltet ein bestimmtes Instrument, und im Endeffekt auch eine bestimmte Fähigkeit, Ton zu produzieren. Die Idee ist einfach. Man lässt die Instrumente spielen. Das ist schließlich eine der wichtigsten Eigenschaften elektronischer Musik, woraus sich Musiksequenzen aufbauen, oder etwa nicht? Ich bin versucht zu sagen, dass alle Künstler/-innen in diesem Bereich von dieser Idee fasziniert sind.

Lassen Sie uns darüber reden, wie Sie mit Feldnotizen arbeiten. Wenn Sie fallende Regentropfen aufzeichnen, spiegeln Sie den Ton ohne Ausschmückung wider, doch der Einsatz einer Stimme oder von Stimmfragmenten fügt einen individuellen, manchmal greifbaren Sinn hinzu, den man irgendwie interpretieren möchte. Ich habe sofort Bilder von Duchamp, Žižek, Yoko Ono et cetera im Kopf, doch schließlich hat jeder und jede von ihnen eine eigene Sinngebung, eine eigene Stimme, Philosophie und Lebenserfahrung. Wird somit jede Komposition zu etwas Persönlichem?

Hm, da sehe ich mich quasi gezwungen, dem nicht zuzustimmen. Kennen wir denn diese Leute? Und überhaupt. Materialisieren die Töne, die wir hören, wirklich den Menschen, dessen Tonaufzeichnung wir uns anhören? Aus meiner Perspektive ist das alles eher andersherum: Alle diese Leute sagen ja nichts. Sie reproduzieren lediglich nichtmaterielle Töne – Geräusche, die wir Sprachstörungen nennen. Mich hat wirklich erstaunt, dass ein Ton, der als „Defekt“ wahrgenommen wird, zu einem universellen Tonsystem werden kann. Unabhängig davon, welche Sprache die Interviewten sprechen, produzieren sie alle identische Töne. Und ich selbst nehme solche Töne als etwas Beunruhigendes und Wunderbares wahr. In gewisser Weise stimme ich also Ihnen zu. Andererseits setzen solche Geräusche Schönheit voraus – denn schließlich produziert der Mensch Töne, indem er ihnen einen Sinn verleiht.

Wie empfinden Sie Stille in der Musik? Kann sie ein Teil des Narrativs sein?

Ja, natürlich. Ich muss da sofort an die japanische „Wassertropfen-Musik“ denken. Ich schätze die Stille als eine Methode der Komposition, aber tatsächlich spielt sie keine besonders große Rolle in meinen Werken. Eher im Gegenteil: Der Großteil meiner Kompositionen besteht aus Loops, die permanent Ton generieren und keine Unterbrechungen oder Diversifikationen aushalten. Vielleicht existieren solche Loops zwischen Stille und Lärm, oder sie werden eher zur Architektur: Die Musik selbst füllt die Lehre im Raum durch ihre Tonkomponente.

Als ich mich mit Ihren frühen Arbeiten beschäftigt habe, war ich erstaunt über den Namen „Loop-Finding-Jazz-Records“. Manchmal ist mir aufgefallen, dass einige Töne für sich genommen anders klingen, doch sobald sie ein Teil von etwas Großem werden, erscheinen sie in einem anderen Licht. Wie suchen Sie nach solch passenden Tönen? Und was gibt Ihnen die Sicherheit, dass die Zusammenstellung eben jener Töne auch gut klingen wird?

Es gibt nichts Banaleres als Töne, die auf ideale Weise zusammengestellt wurden. Vielleicht rufen einige Parts von LFJR (Loop-Finding-Jazz-Records, Anm. d. Red.) auch gerade deshalb bei Ihnen Unbehagen hervor. Manche Elemente tauchen da auf, wo sie es nicht sollten, aber nachdem man sich das Ganze ein paar Mal angehört hat, steht alles an seinem Platz. Und nach einer Weile fangen Sie selbst an, den Rhythmus und die ganze Komposition im Chaos der Töne nachzuzeichnen. Zumindest habe ich mir das so gedacht.

Der Titel des Albums „Loop-Finding-Jazz-Records” stößt die Zuhörerschaft auf ein bestimmtes musikalisches Genre – warum haben Sie sich gerade für Jazz entschieden? Gibt es in ihm für Sie etwas Besonderes? Die Vielfalt der Töne und die Freiheit der Improvisation?

Ich habe mich aus zwei Gründen für Jazz entschieden: Alle Aspekte des Jazz (das Virtuose seiner Ausführung, des Arrangements) passen in keiner Weise zu meinem Album. Ich hatte die folgende Frage: Kann der Ton der Parameter sein, der den Jazz ausmacht? Und wenn vom Jazz nur die Tonelemente übrigbleiben, werden wir dann die Musik noch als jazzig wahrnehmen? Der zweite Grund war pragmatischer. Das Jazz-Toolkit und die Art des Spiels sind einfach ideal für ein Sampling. Lange Instrumental-Solos eignen sich wunderbar für Sampler.

Lassen Sie uns ein bisschen über „Zwischen” sprechen. Warum werden die Aussagen der Leute ständig unterbrochen, ohne dass man die Möglichkeit hat, dem Narrativ auf die Spur zu kommen? Manchmal formen sie auch seltsame Töne mit dem Mund. Legen Sie das humoristisch aus?

Natürlich nicht – tatsächlich wähle ich gerade deshalb sehr redegewandte Menschen aus. Zwischen ist keine Demonstration der rhetorischen Unzulänglichkeit dieser Leute. Zwischen ist ein Konvolut menschlicher Töne, die von ihrem Sinn getrennt wurden. Und übrigens schneide ich da nichts ab und unterbreche sie nicht, sondern ich zeichne einfach auf und sammle solche Momente.

Haben Sie schon einmal etwas von ASMR-Videos gehört? Ich hatte irgendwie ein seltsames Gefühl beim Anhören des Albums.

Ja, es haben mich tatsächlich schon einige Leute auf ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response, Anm. d. Red.) angesprochen. Ich kenne dieses Phänomen und es scheint sehr interessant zu sein, aber auf Zwischen hat es keinerlei Einfluss gehabt.

Warum haben Sie sich gerade diese Leute ausgesucht – Duchamp, Žižek, Yoko Ono et cetera?

Wie ich bereits gesagt habe: Ich habe versucht, Leute zusammenzubekommen, die für ihre Redegewandtheit bekannt sind ... mit einigen Ausnahmen. Natürlich wäre die Arbeit viel leichter gewesen, wenn ich mir ein Ziel gesetzt hätte. Ein Interview mit Donald Trump zu synthetisieren, wäre weitaus ergiebiger gewesen ... das ist wohl klar. In diesem Fall hätte das aber wie ein billiger Scherz ausgesehen. Und genau deswegen habe ich mir markante und interessante Sprecher/-innen ausgewählt. Außerdem habe ich nach Interviews gesucht, wo zum Beispiel das Mikrofon sehr gut eingestellt war. Und manchmal haben mir einfach die Stimme selbst oder das Timbre der Stimme gefallen.

Sie haben „Zwischen” vor Kurzem bei Faitiche herausgebracht. Ursprünglich war es ja als Radiostück erschienen. Worin unterscheidet sich die aufgenommene Version vom Original? Und wie hat die Hörerschaft im Radio darauf reagiert? Schließlich ist das ein Auditorium, das eine völlig andere musikalische Perspektive einnimmt.

Soviel ich weiß, ist das Werk im Radio auf eine ziemlich positive Resonanz gestoßen. Allerdings war die Radio-Version etwas länger, um die 42 Minuten, und in ihr waren die Stimmen von 22 RednerInnen enthalten. Auch richtete sich die Arbeit ursprünglich an ein deutsches Publikum, und natürlich war auch die Radio-Version auf ein deutschsprachiges Auditorium ausgelegt: Die Zusammenstellung bestand zu einem Großteil aus deutschen Promis, Autor(-inn)en und Politiker(-inne)n. Und das Letzte, das aber nicht weniger wichtig ist: Der Ton wurde im Vergleich zur LP-Version abstrakter und weniger harmonisch. Das heißt überhaupt nicht, dass die Vinyl-Version harmonischer oder musikalischer klingt, doch sie unterscheidet sich eben grundlegend von der Radio-Version.

Als ich mir Ihr Album angehört habe, konnte ich eine gewisse Verbindung zum Album „10+2: 12 American Text Sound Pieces” herstellen. Bemüht sich „Zwischen” ebenfalls darum, die Natur der Stimme auszuloten?

Danke für diesen Hinweis. Ich kannte diese Arbeit noch nicht, sie sieht sehr interessant aus. Ja, Zwischen versucht explizit, die menschliche Stimme und ihren Klang zu eruieren – aber ich würde das anders ausdrücken: Zwischen möchte die menschliche Stimme als Ton nachkonstruieren. Ohne Semantik und ohne Narrativ, als puren Ton. Die Mehrheit der Projekte, die auf der menschlichen Stimme basieren, stehen in Verbindung zur konkreten Poesie – ich würde Zwischen eher als Ton-Poesie beschreiben, im Kontext der Arbeiten von Fluxus und DADA ... zumindest habe ich diese bei der Arbeit an Zwischen vor Augen gehabt.

Das Interview wurde mit Unterstützung des Goethe-Instituts und Anton Gawrilenko durchgeführt und erschien zuerst in Moisture 

 
 

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