Musik
Da Da Da: Geniale Dillettanten gesucht
Am 11. Juli wurde im „Fabrika“, dem Zentrum kreativer Industrien, die Ausstellung „Geniale Dillettanten“ eröffnet, die sich mit alternativer deutscher Musik und Kultur der 80-er Jahre auseinandersetzt. Fotos, Videos, Vinyl-Platten und Audio-Archive von Avantgarde-Künstler*innen, verfemten Dichter*innen und Alternative-Musiker*innen aus West- und Ostdeutschland, die in der Atmosphäre einer Fabrik-Lagerhalle ausgestellt sind, warten bis zum 18. August auf ihr Publikum. Exklusiv für das Goethe-Institut Moskau erzählt Alexandr Romanowskij, Musikkritiker und Erforscher alternativer Subkulturen, warum man sich die Ausstellung „Geniale DiLLettanten“ ansehen sollte.
Von Alexandr Romanovskiy
Man schreibt es so, wie man es spricht: Geniale DiLLEtanten
Am 4. September 1981 fand im riesigen Berliner Tempodrom das Festival „Geniale Dilletanten” statt. Dieses Ereignis, das zwar nur einen einmaligen, aber dennoch bedeutenden Einschnitt im kulturellen Leben Deutschlands darstellte, brachte Vertreter*innen der schillerndsten Musik- und Kunst-Acts dieser Zeit zusammen. An diesem Tag sahen etwa 1.400 Zuschauer*innen die Auftritte und Performances, die sich zwischen Provokation, Protest und genuinem Wahnsinn bewegten.Geniale DiLLetanten – genau so, mit zwei L, stand der Veranstaltungsname auf den Flyern des Festivals... ein bewusstes Wortspiel oder doch nur ein ärgerlicher Druckfehler? Eins jedenfalls steht fest: die genialen DiLLetanten wurden zu einem wichtigen Definitionsmoment der deutschen Alternative-Szene und der deutschen Subkultur im Allgemeinen.
Learn ma Deutsch: Hat es denn etwa vor den Genialen DiLLetanten keine deutsche Musik gegeben?*
In der Tradition der deutschen Musik aus den 1970-er bis 80-er Jahren konnte man eine Art Stillstand beobachten – einige Interpret*innen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder richteten sich im Gegenteil an ein internationaleres, breiteres Publikum („Tangerine Dream”, „Can”), manche waren auf der Suche nach sich selbst, indem sie zum Beisiel ungewöhnliche Instrumente und Synthesizer benutzten, im Endeffekt aber ein hochwertiges Pop-Produkt produzierten („Kraftwerk“, „Neu“). Bestand hatte dabei nur eines: Die Kompositionen deutscher Pop- und Rock-Interpret*innen dieser Jahre waren in der Mehrheit englischsprachig. Lieder mit deutschen Texten, die es in die Hitparaden schafften, gehörten dem lokalen Schlager-Genre an und fanden ein eigenes Publikum, das aus Hausfrauen und Fans „leichter“ Musik bestand. Eine Ausnahme stellte Rio Reiser von Ton Steine Scherben dar, dessen bissige, teils anarchistische Lieder auch auf Deutsch in vielerlei Hinsicht den in Deutschland Ende der 70-er aufkommenden Punk Rock, genauso aber NDW und Industrial prägten.
Nach den Worten Blixa Bargelds von „Einstürzende Neubauten“ war es gerade dieser Einsatz der Deutschen Sprache durch Rio Reiser, der Vorbild einer Konkretisierung der musikalischen und künstlerischen Pläne des zukünftigen Frontmanns der „Neubauten“ wurde: „Ich begriff, dass es keinen Weg gab außer den, Musik aus den Dingen zu machen, die mich umgeben. Und das betraf in erster Linie auch die Sprache.“
Stahlmusik: „Geniale DiLLEtanten“ – ist das eine Ausstellung über Musik?*
Im Fokus der Ausstellung stehen sieben Musik-Kollektive vorrangig aus Städten und Regionen Westdeutschlands, wo die größten Ausprägungen von Subkultur zu finden waren: Die Techno- und Industrial-Pioniere „Deutsch-Amerikanische Freundschaft“, die intelligenten Punk-Journalisten „Freiwillige Selbstkontrolle“, die Väter des deutschen Tanz-Waves, „Palais Schamburg“, die betörend schön klingenden Dadaisten von „Der Plan“, die musikalischen Provokateure und Ausstellungs-Genies „Die Tödliche Doris“, die Avantgardisten und Provokateure „Ornament & Verbrechen“ aus Ost-Berlin und natürlich die in Russland beliebteste deutsche Band, „Einstürzende Neubauten“.
„Die Zeit ist gekommen, sich von den Fesseln zu befreien. Bis jetzt hat uns nur die Anschaffung neuer Teller beschäftigt, und sonst nichts. Bis wir kamen!“, schrieben die Musiker*innen von „Die Tödliche Doris“ im Selbstverlag von EB Metronom über sich.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Teil der Ausstellung, der sich mit der Gruppe „Ornament & Verbrechen“ beschäftigt, von der faktisch keine Aufnahmen erhalten geblieben sind. Eine Ausnahme stellen das gemeinsame Split-Album mit der Gruppe „Aufruhr Zur Liebe“ aus dem Jahr 1984 und ein englischsprachiges Projekt mit dem Komponisten Teymur Schreng von 1985 dar. Auf der Ausstellung können Besucher*innen Fragmente deutschsprachiger Aufnahmen anhören.
Wir bauen eine Neue Stadt: Halt! Und was ist mit den Kunstschaffenden?*
Der Auftritt im Tempodrom 1981 erlaubte es den experimentellen Musiker*innen nicht nur, ihre Stimme zu erheben und innerhalb einer sich gerade erst formierenden Punk-Jugend in West- und Ostdeutschland ihr Publikum zu finden, sondern auch, Mitstreiter*innen und verbündete „Partisan*innen“ im künstlerischen Bereich zu generieren.
Die „Neuen Wilden“ traten gegen den in der deutschen Kunst vorherrschenden Realismus an, und zwar unabhängig von dessen politischen Vektoren und Vorzeichen – ob nun sozialistisch wie im Osten oder kritisch wie im Westen. Interdisziplinarität, Konzeptualismus und wahre, nie dagewesene Kunst entstanden jenseits von Galerien, sondern auf Bühnen und in Studios, die oftmals in Fabriken, Werken, besetzten Häusern oder selbst Kirchen zu finden waren.
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In der Mitte des Ausstellungssaals, der vom Goethe-Institut im Kunstraum „Fabrika“ eingerichtet wurde, steht ein riesiger Bildschirm, auf dem nonstop sechs experimentelle Kurzfilme gezeigt werden. Jeder der Filme ist im Schmalfilm-Format „Super 8“ gedreht.
DaDa in Berlin*
„Ehrlich gesagt haben wir den Auftritt bei den „Genialen Dilletanten“ nicht als irgendeinen Durchbruch oder als die Schaffung einer neuen Kulturszene angesehen. Und wenn auch heute alle Gruppen und Künstler*innen des damaligen Festivals Kultstatus haben, war es trotzdem für uns einfach nur eine gute Sache. Ein Ereignis, das erst mit der Zeit zu einem richtigen Mythos wurde“ – Mark Reeder, Regisseur und Bandmitglied von „Die Unbekannten”, war 1981 beim Festival dabei.
Die Ausstellung „Geniale DiLLetanten: Subkultur der 1980-er Jahre in Deutschland“ läuft noch bis zum 18. August.