Frankfurter Buchmesse 2019
Die Lizenz zum Lesen
Jedes Jahr im Oktober trifft sich die Medien- und Publishing Branche in Frankfurt – auf der weltweit wichtigsten Messe für gedruckte und digitale Inhalte wird gehandelt, werden Netzwerke geknüpft und natürlich feiern alle ausgiebig die Literatur. Karin Janker lässt sich gerne überwältigen.
In Bücher kann man eintauchen, von einer Buchmesse wird man verschlungen. Sobald man die Messehallen mit ihrer stickigen Luft, ihrem summenden Dauergeräuschpegel und all den Gesichtern, Körpern und – ja, auch – Büchern betritt, ist es um einen geschehen. Erst am Abend, wenn die Messe schließt und man sich auf den Rückweg macht, taucht man wieder auf aus diesem Kosmos. Buchmesse in Frankfurt bedeutet teure Hotelzimmer, das eine oder andere Glas Ebbelwei (Apfelwein) – vor allem aber: Reizüberflutung. Das ist heute noch so wie zu ihren Anfangszeiten.
Schon immer ein Rausch
Von einem „Bücher-Rausch“ berichtet Ursula von Kardorff 1949 über die erste Frankfurter Buchmesse nach dem Zweiten Weltkrieg in der Süddeutschen Zeitung. Ihre Schilderungen aus der Paulskirche, wo etwa 200 Verleger zusammengekommen waren, lassen die Atmosphäre von damals erahnen: Kardorff schwärmt angesichts der „stillen Freunde, bunt, schlicht, klug, billig und teuer. Greifbar, blätterbar, zum Befühlen und Beriechen, die Stunden rannen bei solchem Tun zwischen den Fingern davon. Etwa dreitausend Menschen stürmten täglich dieses Paradies. Sympathische Genossenschaft der Bücher-Liebenden, Bücher-Hersteller und Bücher-Händler.“Rauschhaft war die Buchmesse also schon damals, als gerade einmal 14.000 Besucher die Messe an insgesamt sechs Tagen bevölkerten. In diesem Jahr erwarten die Veranstalter an den fünf Messetagen mehr als 285.000 Besucher in Frankfurt. Und es gibt auch mehr zu entdecken: Während die Verlage vor 70 Jahren auf der Messe 8.400 Titel präsentierten, werden es in diesem Jahr etwa 390.000 sein.
Neben dem Präsentieren, Repräsentieren und Bewerben neuer Bücher geht es bei der Frankfurter Buchmesse damals wie heute um das Vernetzen von Verlagen, Autor*innen, Agent*innen, Buchhändler*innen, Übersetzer*innen und Journalist*innen. Inzwischen stellen ausländische Aussteller die Mehrheit; die Frankfurter Buchmesse war nicht nur die erste internationale Veranstaltung dieser Art, sie ist auch Vorbild für Buchmessen in anderen Ländern.
Geschäfte und Glamour
In Frankfurt trifft sich die Branche traditionell, um neue Projekte zu sondieren und Geschäfte abzuschließen, aber auch um Small-Talk zu halten. Für das allgemeine Publikum ist die Messe erst an den beiden letzten Messetagen, Samstag und Sonntag, geöffnet. Dieser eher geschäftsmäßige Charakter unterscheidet die Frankfurter von der etwas kleineren Leipziger Buchmesse, die jedes Jahr im März stattfindet. Doch auch die Frankfurter Buchmesse will zunehmend Leser*innen direkt ansprechen. Das „Bookfest“ und das Festival „Open Books“, die am Rande der Messe stattfinden, werden größer und drängen in die Frankfurter Innenstadt. Sie bieten Lesungen, Podiumsdiskussionen – und in diesem Jahr auch einige Stars der Literaturszene: Margaret Atwood, Maja Lunde und Colson Whitehead werden ihre neuen Bücher vorstellen.Gleiches machen aber auch der Bergsteiger-Autor Reinhold Messner, die Georg-Büchner-Preisträgerin Terézia Mora und viele andere noch dazu. Also wird es wie immer die schwierigste, zeitraubendste, aber auch schönste Herausforderung sein, sich im Vorfeld aus den rund 4000 Veranstaltungen ein Programm zusammenzustellen und dabei nicht ständig das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen.
Jedes Jahr ein Ehrengast
Besonderen Glanz bringt dieses Jahr die norwegische Kronprinzessin nach Frankfurt: Mette Marit wird mit einem Sonderzug von Berlin aus anreisen und zur Eröffnung am Dienstag zahlreiche norwegische Autorinnen und Autoren mitbringen. Norwegen ist Ehrengast in diesem Jahr. Die Einladung auf die Buchmesse soll die Literatur des jeweiligen Gastlandes international bekannter machen und dafür sorgen, dass mehr Bücher aus der Landessprache übersetzt werden. Den deutschen Messebesuchern erlaubt dies auch einen Blick auf noch unbekannte Autorinnen und Autoren.Und selbst bei Norwegen, das immerhin schon drei Literaturnobelpreisträger*innen hervorgebracht hat, gibt es noch einiges zu entdecken, obwohl norwegische Literaten bei deutschen Leserinnen und Lesern nun schon länger beliebt sind. In diesem Jahr werden Bestsellerautor*innen wie Jo Nesbø (Autor der Harry-Hole-Krimis), Maja Lunde („Die Geschichte der Bienen“) und Jostein Gaarder („Sophies Welt“) in Frankfurt ihren Auftritt haben. Und bei der Eröffnungsfeier spricht der von den Feuilletons gefeierte Karl Ove Knausgård.
Honig saugen
Da ist es wieder, das Gefühl der Reizüberflutung. Wer dem zu entkommen versucht, den könnte es am Messe-Samstag nachmittags zum eigens angelegten Fußballfeld ziehen, auf dem deutsche gegen norwegische Autoren antreten werden. Das hat dann zumindest mit Büchern nur noch am Rande zu tun.Wem auch das zu viel Action und zu wenig Kontemplation ist, der besinne sich auf den Kern des ganzen Tumults, die „stillen Freunde“, wie Ursula von Kardorff schrieb. Denn das ist es, was nach Frankfurt bleibt: Inspiration für jede Menge neue Bücher, mit denen man den Winter übersteht. Die Buchmesse in Frankfurt war und ist „ein Bienenkorb der Bücher“, so Kardorff, mit „köstlich gefüllten Waben“. So erklärt sich auch das Dauergesumme, das einem nach dem Besuch noch eine Weile im Ohr nachklingt.