Was macht den deutschen Humor aus?

Schild im hölzernen Hintergrund
Foto (Detail): Louis Smit © Unsplash

Ein Marokkaner und eine Iranerin, ein Schwergewicht aus Hamburg und „Knallerfrauen“ – schauen wir uns anhand von fünf deutschen Stand-Up-Künstler*innen an, inwiefern Migrationshintergrund und Selbstironie sich auf Erfolg auswirken können, warum Köln als die Hauptstadt des Humors gilt und wieso man sich mit Politik auskennen, den Aufbau der deutschen Demokratie kennen und die deutsche Sprache lernen sollte.

Von Ira Posrednikowa und Sascha Romanowskij

NightWash ist eine Fernseh-Show im Comedy-Format, in der Stand-Up-Newcomer*innen die Chance bekommen, ihr Programm zum ersten Mal einem Publikum vorzustellen.

Seit September 2019 läuft die Show auf dem kommerziellen Kanal Sat.1 (dieser ist wiederum Teil des Konzerns ProSiebenSat.1 Media SE, zu dem auch die Fernsehkanäle ProSieben, kabel eins, N24 und weitere gehören).

Wie der Name bereits andeutet, wird die Show in einem realen Selbstbedienungs-Waschsalon in Köln gedreht. Und übrigens werden auch gerade in dieser Stadt die Gewinner*innen der prestigeträchtigsten deutschen Auszeichnung für Comedians, des „Deutschen Comedypreises“, ausgezeichnet. Seit 1997 wird der Preis jährlich an Comedy-Shows und -Serien, Schauspieler*innen und Komiker*innen, Moderator*innen und Stand-Up-Künstler*innen vergeben. Und jede*r unserer heute hier vorgestellten Comedians wurde mindestens einmal mit dieser Auszeichnung bedacht!

Enissa Amani

Enissa Amani wurde in Teheran geboren, war jedoch gezwungen, aus politischen Gründen gemeinsam mit ihrer Familie nach Deutschland zu immigrieren. Es klingt ziemlich schräg, aber ihr Papa wurde mit einem Brecht-Band erwischt und musste daher fliehen. In Deutschland hat Enissa zunächst Jura studiert, dann Literaturwissenschaft, und sich später sogar als Stewardess versucht. Sie lebt seit 2006 in Köln.

Im Sommer 2013 schrieb sie einen Text und präsentierte ihn in einem Café. Daraufhin wurde sie eingeladen, in der „Nightwash“-Show aufzutreten. Seit Mitte 2013 war Enissa regelmäßig in verschiedenen Shows zu Gast („TV total“, „Satire Gipfel“ und „StandUpMigranten“).

Im Fokus ihrer Auftritte steht eine komplexe und vieldeutige Auswahl an Themen: Der Iran und Deutschland, eine überstandene Operation an der Nasenwurzel und eine Menge Selbstironie sowie offene Stellungnahmen zu allem, was sie beschäftigt. Auch sticht sie durch ihr einprägsames Äußeres hervor: den markanten Lidstrich, ihre unverkennbare Piepsstimme und hohe Absätze.

Schaut euch hier den Auftritt zur deutschen Kindheit eines „Flüchtlingskindes“ an:

Die volle Wahrheit über Nasen-OPs:

Und hier noch ein paar nette Worte von Enissa über ihre ehemaligen Landsleute:

Auch Liebesdinge werden nicht ausgeklammert. Enissa inszeniert sich als ein wahres Biest, das seinen Partner nicht aus einem eisernen Griff entkommen lässt:

Ein weiteres ihrer Lieblingsthemen ist „Väter und Kinder“. Hier Enissas Monolog dazu, wie ihr Papa einmal ihr offizielles Facebook-Profil mit dem privaten verwechselte und ihre Posts kommentierte:

2015 wurde Enissa der Deutsche Comedypreis in der Nomination „Bester Newcomer“ verliehen und bereits im April 2018 war sie die erste Frau, nicht nur aus Deutschland sondern aus ganz Europa, die auf Netflix ihre eigene Show bekam: „Ehrenwort“. Aufgezeichnet wurde sie im Hamburger St. Pauli Theater:

Das war erst der Anfang ihrer innigen Beziehung zu Netflix, denn bereits 2019 schaffte es ihr halbstündiger Auftritt in die deutschsprachige Reihe von Comedians of the World.

Darüber hinaus verfasste Enissa das Buch „Nicht ohne meine High Heels“ und übernahm Rollen in diversen Serien und Filmen (wie z.B. „Fack ju Göhte 2“, „SMS für dich“ und „Morgen sind wir frei“).

Parallel zum Launch der Serie „Unorthodox“ brachte Netflix gemeinsam mit dem Portal „MitVergnü­gen“ sieben Folgen eines Profil-Podcasts zum „Unorthodox-Sein“ heraus. Jeder dieser Teile beschäftigt sich mit einem bestimmten Adjektiv, auf welches eingeladene Gäste in einem kurzen Beitrag Bezug nehmen. Enissa charakterisierte in ihrer Folge das Wort „unmöglich“ und erzählte davon, wie ihre iranischen Wurzen, ihre Kindheit und die familiäre Erziehung sie als Persönlichkeit geformt haben. Auch ging es um die Rolle und den Platz der Frau im öffentlichen Raum, um eine aktive weibliche Position und um die Gefahren und Hindernisse, mit denen sie auf ihrem Weg zu kämpfen hatte. Und um Ereignisse, die man eigentlich für unmöglich halten würde und die sich dort als die Realität entpuppten.

Chris Tall

Chris Tall wurde 1991 in Hamburg geboren. Den ersten Auftritt hatte er in der Bar „Thier“. Seiner Erzählung nach befanden sich damals zwölf Leute im Raum, von denen ein Drittel mit ihm verwandt waren – und nicht mal die blieben bis zum Ende der Show. In Hamburg machte Chris eine Ausbildung zum Versicherungsagenten und zog dann nach Köln, wo er häufig in die Rolle des Stand-Up-Comedians schlüpfte und parallel seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Mobiltelefonen verdiente. Im Januar 2013 war das Schicksal ihm wohlgesonnen und er gewann den „RTL Comedy Grand Prix“. Das war eine Art „grünes Licht“ für seine Karriere, die ihn fortan von einer Bühne zur nächsten brachte  – unter anderem zu „NightWash”, dem „Quatsch Comedy Club” und der „Bülent Ceylan Show”.

2016 brachte er ein eigenes Solo-Programm, „Versetzung gefährdet”, heraus und ging damit auf Deutschland-Tour. Nur drei Jahre später hatte er bereits ein weiteres Programm ausgearbeitet: „Selfie von Mutti! Wenn Eltern cool sein wollen“, das auch zur Basis seines gleichnamigen Buches wurde – mit seiner Mutter in der Hauptrolle. Denn Familie ist doch das Wichtigste, fand Chris... und widmete das dritte Solo-Stück „Und jetzt ist Papa dran“ seinem Vater. 2017 bekam er die Primetime-Show „Wollen wir wetten?! Bülent gegen Chris“.  Im Jahr 2018 kamen seine Shows „Chris! Boom! Bang!“ und „Darf er das? Live! Die Chris Tall Show“ heraus.

2016 bekam Chris den „Deutschen Comedypreis“ in der Kategorie „Bester Newcomer“.

Seit 2017 arbeitet Chris als Reporter im Programm „Die Bülent Ceylan Show“, für das er Interviews mit Passant*innen macht. Und seit September 2019 gibt es auf Amazon Prime Video seine eigene Show „Chris Tall presents“, in der er in jeder Folge eine*n Comedy-Künstler*in vorstellt.

Das aktuelle Programm von Chris für die Tournee 2020 heißt „Schönheit braucht Platz“ und beschäftigt sich mit Generationenfragen, Integration und einfach nur Spaß. Ebenso verfügt der Komiker über Arbeitserfahrung im Film, träumt von einer eigenen Sitcom und davon, einen Kinofilm zu drehen.

Chris macht ständig Witze über sein übermäßiges Gewicht und kokettiert mit diesem Thema sowie seiner kritischen Beziehung zum Sport.
 
Das Lieblingshobby der Deutschen, das Wandern, stellt Chris Tall in seinem Video „Wandern mit Papa“ vor. Es ist kaum zu glauben, dass er wirklich gegen seinen Willen mit seinem Vater in die Berge aufgebrochen ist... aber solche Opfer musste er zwangsläufig erbringen, damit dieser ihm den Führerschein bezahlte:

AbdelKarim

Abdelkarim wurde in Bielefeld in eine Familie marokkanischer Einwander*innen geboren. Mittlerweile lebt er in Duisburg. Nach dem Schulabschluss studierte er Germanistik und Islamwissenschaft und probierte sich danach in der Rechtswissenschaft aus. Doch das wurde kein langes Kapitel und bald schmiss er sein Studium, um sich ganz der Comedy-Karriere zu widmen – und schon ab 2007 stand Abdelkarim in Köln auf der Bühne.

Abdelkarim ist Bartträger, was in Kombination mit seinem geschorenen Kopf und der Lederjacke seine durch die Migrationsgeschichte geprägte Vergangenheit und Gegenwart unterstreicht.

Mit seinem ersten Solo-Programm „Zwischen Ghetto und Germanen“ war er 2014 auf Tour. In seinen Monologen mokiert sich der Comedian über kulturelle Vorurteile und Voreingenommenheit und spielt ziemlich offen mit typisch deutschen Ängsten, laut denen jeder arabische Bartträger mindestens ein Räuber ist – wenn nicht gar Terrorist. Außerdem spricht Abdelkarim viel über seine Kindheit und Jugend in Bielefeld, über Reisen nach Marokko, arbeitslose Muslime und rassistische Polizisten.

Ein Auszug aus dem Programm „Zwischen Ghetto und Germanen“:

Der Comedian hat nach eigenen Worten selbst nie richtig gewusst, wie er sich wahrnehmen soll: als marokkanischer Deutscher oder deutscher Marokkaner? Dennoch fiel die Wahl der Bundeszentrale für politische Bildung ausgerechnet auf ihn und voilà: Abdelkarim konnte das Projekt ABDELKRATIE starten, in dem er jungen Leuten die Demokratie nahebringt! Die Online-Serie zu Rechten, Gleichheit und politischen Freiheiten erscheint wöchentlich auf YouTube. Der Startschuss für ABDELKRATIE fiel am Tag des Grundgesetzes am 23. Mai.

Carolin Kebekus

Die aktuell lustigste Frau Deutschlands wurde in Bergisch Gladbach geboren – wie übrigens auch Heidi Klum – wohnt aber mittlerweile in Köln.

Zu Beginn der Nullerjahre absolvierte Carolin ein Fernseh-Praktikum im Programm „Freitag Nacht News“. Und dort zeigte sie 2006 auch erstmals ihre Nummer: eine Parodie auf Tokio Hotel-Leader Bill Kaulitz, die beim Publikum für große Furore sorgte, allerdings auch eine Welle negativer Kritik von Seiten eingefleischter Kaulitz-Fans auslöste.

Seit 2015 brachte Carolin monatlich ihre Show „Rebecca und Larissa“ auf die Bühne, deren Rollen Carolin Kebekus und ihre Mitstreiterin Martina Hill spielen. Das Konzept der Künstlerinnen besteht darin, dass fiktive Influencerinnen einen YouTube-Kanal mit dem Namen „Rebecca und Larissa erklären die Welt“ betreiben, auf dem sie in 3- bis 5-minütigen Videos missverständliche und aktuelle Begriffe erklären.

Zum Beispiel den Feminismus:

Am 21. Mai 2020, schon zu Zeiten der Pandemie, wurde aus „PussyTerror TV“ das Projekt „ Die Carolin Kebekus Show“ auf ARD. Geplant sind acht Ausstrahlungen, die immer an Donnerstagen zu sehen sind. Die ersten Gäste waren die Tänzerin Motsi Mabuse sowie die Sänger Clueso und Mark Forster.

Martina Hill

Die Tochter einer Krankenschwester und eines U-Bahn-Fahrers wurde 1974 in Wedding (West-Berlin) geboren. Sie absolvierte eine Theaterausbildung und wirkte an zahlreichen Inszenierungen mit, arbeitete im TV, im Radio und machte sogar Werbung für Käse!

Einem größeren Publikum wurde sie durch die Comedy-Serie „Switch reloaded“ bekannt, in der sie Heidi Klum, Angela Merkel, die Sängerin Lena und andere berühmte Persönlichkeiten parodierte. Die Herzen des gesamten Landes eroberte Martina mit ihrer Rolle in der deutschen Sketch-Comedy „Knallerfrauen“. Die einzelnen Folgen der Show hängen nicht zusammen und zeigen oftmals absurde Situationen, manchmal sogar unter komplettem Verzicht auf Dialoge. Die Serie wurde auch über Deutschland hinaus berühmt und schaffte es bis nach China.  Ihr werdet es nicht glauben, aber dort werden Sketche aus der Show als Unterrichtsmaterial für Schüler*innen und Studierende verwendet, die Deutsch lernen! 2014 wurde Martina gebeten, an der Werbe-Kampagne „Hier Kommt Deutsch!“ des Goethe-Instituts mitzuwirken, die für das Erlernen der deutschen Sprache warb, und außerdem einen Vortrag in China zu halten. Martina hielt das zunächst für einen Witz, sagte jedoch zu. Die Ergebnisse ihrer Tour im Rahmen dieser Kampagne hat die Künstlerin in ihrem Buch „Was mach ich hier eigentlich?“ beschrieben.

Ein Video dazu gibt es hier:

Übrigens können ihre Videos auch zu einem wirklich lustigen Deutschunterricht beitragen. Glaubt ihr nicht? Dann schaut euch den Sketch „WG Casting“ an und versucht mal, die Situationen nachzustellen!

Zum Beispiel das herrliche Video zu potentiellen Mitbewohner*innen:

Oder das zu nervigen Werbe-Anrufen:

Mittlerweile hat Martina ihre eigene Show: Die „Martina-Hill-Show“ auf Sat.1, deren Folgen sich ebenfalls gut im Deutschunterricht verwerten lassen.

Hier seht ihr, welche Probleme in der Schule auftreten können:

Und hier, wie wichtig es ist, richtig zu kommunizieren, damit es zwischen Männern und Frauen nicht zu Missverständnissen kommt:

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