Erste West-Sibirische Landwirtschafts- und Industrieausstellung
Im Sommer 1911 wurde am Stadtrand von Omsk die Erste West-Sibirische Landwirtschafts-, Wald-, Handels- und Industrieausstellung eröffnet. Heute würde man sie einen Showcase neuster Errungenschaften und Naturreichtümer der Region nennen. Diese Ausstellung wurde für die sibirischen Architekt*innen und ihre Kolleg*innen, die aus dem europäischen Teil Russlands eingeladen waren, zur Plattform für die Realisierung der kühnsten Fantasien.
Das Konzept des Ausstellungsgeländes wurde vor dem Hintergrund der intensiven Suche nach einem „sibirischen“ Stil in der Kunst und Architektur erarbeitet. Unter der Leitung des talentierten Architekten aus Krasnojarsk Leonid Tschernyschew wurde das große Ausstellungsgelände mit vielfältigen Pavillons aus dem traditionellen Baumaterial Holz bebaut. Der monumentale Hauptpavillon wurde im Jugendstil errichtet, der wissenschaftliche Pavillon für Sibirienkunde ahmte detailgetreu einen ägyptischen Tempel nach und der Maschinenpavillon erinnerte an die Synthese aus mittelalterlichem Schloss und Jurtenbauten indigener Völker. Das für sibirische Städte beispiellose Bauprogramm umfasste ein Sommertheater im mauretanischen Stil, einen Weinkellerei-Pavillon des Barons Steingel in Form einer Grotte und einen Waldpavillon des Umsiedlungsamtes. Dieser Waldpavillon bestand aus einem riesigen Birkenstamm mit einer Aushöhlung, die als Eingang diente. Auf dem Messeplatz ragte zudem eine Replik des Eiffelturms empor, die aus Emailleschüsseln und ‑eimern der Firma Kalaschnikow und Söhne zusammengesetzt wurde. Die Autor*innen spielten auch auf die Nachbarschaft mit der Steppe an, indem sie bei der Ausstattung einiger Pavillons Buchara-Stil verwendeten.
Die Ausstellung in Omsk bewies nicht nur das überdurchschnittliche Talent hiesiger Architekt*innen und Ingenieur*innen, sondern auch herausragende Organisationsfähigkeiten des Schirmherrn der Ausstellung Pjotr Arkadjewitsch Stolypin, Vorsitzender des Ministerrats des Russischen Kaiserreichs, der damals die Politik der Umsiedlung nach Sibirien umsetzte. Während der kommenden zwanzig Jahre diente die Ausstellung als Inspirationsquelle für die sibirischen Architekt*innen‑Eklektiker*innen. Sie wird bis heute in Erinnerung bewahrt, durch das Gebäude des Heimatmuseums von Krasnojarsk, das von Leonid Tschernyschew am Ufer des Flusses Jenissei in Form eines ägyptischen Tempels gebaut wurde. Die auf dieser Ausstellung angekündigten Ideen stimmen in vielerlei Hinsicht mit modernen gestalterischen Projekten in Russland und Kasachstan überein. Das gilt nicht nur für lokale Planer*innen, sondern auch für den Stararchitekten Norman Foster.