Afrika
„Wenn die analoge Welt ungleich ist, ist es die digitale Welt auch“

Isla Haddow-Flood
Isla Haddow-Flood | Foto (Detail): Habib M'henni/Wikimedia Commons/CC BY 4.0

Kaum jemand in Afrika schreibt für die Wikipedia – Frauen schon gar nicht. Isla Haddow-Flood will das ändern. Wir sprachen mit ihr über das Projekt „Wiki Loves Women“.

Isla Haddow-Flood, 47, wurde in Zimbabwe geboren und wuchs zum Teil dort, zum Teil in Großbritannien und Südafrika auf. Heute lebt sie in Kapstadt, wo sie sich für Bildung, Kultur und Gendergerechtigkeit engagiert. Sie leitet die Nichtregierungsorganisation „Wiki in Africa“ – mit dem Ziel, mehr afrikanische Inhalte auf Wikipedia zu veröffentlichen.

Erzählen Sie uns, wie es zu „Wiki Loves Women“ kam.
 
„Wiki Loves Women“ war das Ergebnis langen Nachdenkens. Ich arbeite seit Jahren in der Bewegung „Wiki In Africa“ mit, die afrikanische Inhalte auf Wikipedia fördert. Die meisten der dort veröffentlichten Artikel über Afrika werden ja von Autoren außerhalb Afrikas geschrieben, und das beeinflusst natürlich die Wahrnehmung über den Kontinent. Deshalb bauen wir Gemeinschaften von Autorinnen und Autoren in ganz Afrika auf. Dabei war uns immer besonders wichtig, dass die Inhalte auch im Hinblick auf das Verhältnis der Geschlechter ausgewogener sind als anderswo auf der Welt. Deshalb gründeten Florence Devouard und ich 2016 „Wiki Loves Women“. Bei der Suche nach einem Partner traf ich dann Brigitte Döllgast vom Goethe-Institut.
 
Mit welchen Schwierigkeiten haben Wikipedia-Autorinnen in afrikanischen Ländern zu kämpfen?
 
Ich möchte nicht verallgemeinern oder in Stereotype verfallen, aber viele Kulturen in ganz Afrika sind weiterhin patriarchal geprägt. Männer sind gegenüber Frauen privilegiert. Bei „Wiki Loves Women“ streben wir deshalb Gleichberechtigung an, wir haben also auch gendersensible Männer an Bord. Vielen von ihnen fehlte bis dahin jedes Bewusstsein für die Schwierigkeiten, mit denen Frauen Tag für Tag zu kämpfen haben. Ihnen öffneten wir in diesem Projekt die Augen.
 
Doch in der Praxis werden die meisten Projekte nach wie vor von Männern geleitet.
 
Ja, wir haben mit „Wiki Loves Women“ in vier Ländern begonnen: in Nigeria, Ghana, Kamerun und der Elfenbeinküste. Nur das Projekt in der Elfenbeinküste wurde auch von Frauen geleitet. Der Grund: In den anderen Regionen haben wir einfach keine weiblichen „Wikimedians“ – also Wikipedia-Autorinnen – finden können, die ein solches Projekt leiten konnten oder wollten. Deshalb gehörte zu unseren Zielen, Frauen und gendersensible Männer entsprechend auszubilden. Überdies bestärkten wir gezielt Frauen darin, als Autorinnen aktiv zu werden und Beiträge zu schreiben.
 
Was sind das für Artikel, die es nun dank „Wiki Loves Women“ auf Wikipedia gibt?
 
Alle Beiträge beschreiben die Biografien herausragender Frauen in den jeweiligen Ländern – das können historische Figuren sein oder Frauen, die heute Bedeutendes im Gesundheitswesen, in der Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik leisten. Außerdem nehmen wir tabuisierte Themen ins Blickfeld, etwa die Genitalverstümmelungen bei Mädchen oder das Problem der Kinderhochzeiten. Auch nach dem offiziellen Ende des Projektes führen diese Wikimedia-Communitys ihre Arbeit fort. Wir konnten unsere Aktivitäten sogar auf Uganda und Tansania ausweiten, dank finanzieller Förderung der Wikimedia Foundation und der logistischen Unterstützung des Goethe-Instituts.
 
Das Internet, so hofften viele, würde ein demokratisierendes, ausgleichendes Medium werden, in dem alle Menschen unabhängig von Herkunft oder Geschlecht gleichberechtigt sind. Wurde es damit nicht überschätzt?
 
Die Erwartungen an die Technologie waren sicher zu hoch. Es ist nicht das Auto, das die Welt verändert, sondern das, was man mit dem Auto tut! Wenn die analoge Welt ungleich ist, ist es die digitale Welt auch. Um faire Bedingungen zu schaffen, braucht es digitale Kompetenzen und das Verständnis, wie die Vermittlung von Wissen funktioniert. Diese Fähigkeiten sind Voraussetzung für die Demokratisierung des Internets. In vielen Ländern Afrikas besteht außerdem ein großes Bedürfnis nach Entkolonialisierung. Viele Menschen haben den Eindruck, dass sie nur mit Englisch oder Französisch beruflich vorankommen. Leider ist das auch so – doch indem die Menschen das akzeptieren, negieren sie ihre eigene Kultur, Sprache und Identität. Wir wollen sie ermutigen, ihre eigenen kulturellen Identitäten zu erkennen, ja zu feiern. Und dazu gehört zuallererst, den Menschen eine Stimme zu geben. Dafür ist Wikipedia wirklich nützlich: Sie bietet eine Plattform, auf der auch die afrikanischen Perspektiven Platz finden, sodass das ganze Bild sichtbar wird und nicht nur das der ehemaligen Kolonialmächte.
 
Stoßen Sie dabei auch auf Widerstand?
 
Ja natürlich, jeder Wandel trifft immer auch auf Widerstand. In der globalen Wikipedia-Community gibt es weiße Männer aus Nordamerika und Europa, denen es nicht gefällt, wenn Frauen oder „people of colour“ ihnen sagen: „Was ihr da schreibt, ist so nicht richtig.“ Dieser Widerstand lässt sich oft gerade bei Artikeln über Frauen beobachten, die etwas Besonderes geleistet haben. Immer wieder äußern gerade männliche Autoren dann Zweifel, ob die Frau wirklich bemerkenswert genug ist, obwohl einem Mann mit vergleichbarer Leistung ohne Diskussion ein Artikel gewidmet wird. Natürlich werden auch aggressive Nachrichten verschickt – wenngleich das bei „Wiki Loves Women“ zum Glück nie ein großes Problem war.
 
Welche Auswirkungen hat dieses Engagement im Netz auf das Leben in der „echten Welt“?
 
„Wiki Loves Women“ hat viele positive Effekte – auch über das Internet hinaus. So hat beispielsweise der Projektleiter in Nigeria, Olushola Olaniyan, zusammen mit einem lokalen Radiosender eine Sendung konzipiert, in der wöchentlich eine erfolgreiche Frau aus dem Sendegebiet vorgestellt wird. In Ghana förderten Raphael Berchie und Felix Nartey („Wikimedian of the Year 2017“), die Frauen in ihrem Team: Drei von ihnen bekleiden heute führende Positionen in der „Open Community“ (einer digitalen Gemeinschaft, die sich für frei verfügbare Inhalte einsetzt, Anm. d. Red.). Bei „Wiki Loves Women“ hat sich alles darum gedreht, die Perspektive zu wechseln: die der weltweiten Nutzer*innen der Enzyklopädie, aber auch die jeder einzelnen am Projekt beteiligten Person.
 

Wiki loves Women

Das Projekt wurde von Isla Haddow-Flood (Südafrika) und Florence Devouard (Frankreich) gegründet. Beide sind seit vielen Jahren in der Wikipedia- und Open-Content-Community aktiv, die sich für frei verfügbare Inhalte im Netz einsetzt. „Wiki Loves Women“ zielt darauf ab, die Anzahl von Artikeln über afrikanische Frauen auf Wikipedia zu erhöhen sowie Communitys aus Wikipedia-Autor*innen in mehreren afrikanischen Ländern aufzubauen, die die Arbeit auch nach Auslaufen des Projektes weiterführen.
 
Das Projekt lief mit Unterstützung des Goethe-Instituts von 2016 bis 2017 in Nigeria, Ghana, Kamerun und der Elfenbeinküste und wurde anschließend auf Uganda und Tansania ausgedehnt.
www.wikiloveswomen.org

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