Ergebnisse einer Studie des Goethe-Instituts
Umfrage unter Direktor*innen russischer Schulen zum Bedarf an beruflicher Weiterbildung

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Foto: Marina Andrejchenko © AdobeStock.com

Im Rahmen des Projekts „Bildung für die Zukunft: Schule“ hat die Agentur Atlas Communications im Auftrag des Goethe-Instituts im Jahr 2020 eine groß angelegte Studie durchgeführt – eine Umfrage unter Direktor*innen russischer Schulen, bei der es vor allem um den Bedarf an beruflicher Weiterbildung ging. Ziel der Studie des Goethe-Instituts war es herauszufinden, welcher Bedarf seitens der Schuldirektor*innen im Bereich beruflicher Weiterbildung besteht und welche Möglichkeiten es gibt, diesen Bedarf zu befriedigen.
 
Die Umfrage wurde vom 26. August bis zum 1. Oktober 2020 in zwei Phasen durchgeführt: In der ersten Phase (qualitative Studie) wurden 25 ausführliche Interviews mit Schuldirektor*innen geführt und Hypothesen aufgestellt. Diese Hypothesen wurden sodann in einer zweiten Phase (quantitative Studie), an der über 700 Befragte – Direktor*innen russischer allgemeinbildender Schulen und Leiter*innen von Einrichtungen der sekundären Fachausbildung – teilnahmen, überprüft.

Von Marianna Busojewa

Geschlecht und Alter der Befragten

Von den 700 Leiter*innen von Bildungseinrichtungen, die an der Umfrage teilnahmen, sind 74,4% Frauen und 25,6% Männer. Am höchsten ist der Anteil an weiblichen Direktoren (81%) in Großstädten; in kleineren Städten liegt der Wert bei knapp 78%, in ländlichen Siedlungen bei 71,4%.

Beim Anteil weiblicher Schuldirektoren zeigt sich ein klarer Abwärtstrend. So waren laut einer internationalen Studie von TALIS im Jahr 2018 69% der Direktoren russischer Schulen Frauen, während es 2013 noch 78% gewesen waren.

Mit 72% ist der überwiegende Teil der Direktor*innen in der Altersgruppe zwischen 40 und 59 Jahren angesiedelt. 12% der befragten Schuldirektor*innen waren zum Zeitpunkt der Umfrage über 60 Jahre alt. Die Zahl der jungen Schulleiter*innen (unter 39 Jahren) liegt bei nur 16%.

Bei der Besetzung von Schulleiterposten ist eine deutliche Verjüngung zu beobachten. 37% der Befragten haben weniger als fünf Jahre Erfahrung als Schuldirektor*in, befinden sich also in einer beruflichen Phase, in der sie erste Erfahrungen als Schuleiter*in sammeln. 20 % der Befragten befinden sich hingegen seit mehr als 20 Jahren in leitender Funktion. Fast ein Drittel der Direktor*innen (28%) sind im Rentenalter.

Arbeitsbelastung von Leiter*innen russischer Bildungseinrichtungen

82% der befragten Schulleiter*innen sind neben ihrer Leitungsfunktion auch mit Unterrichten befasst. Die am häufigsten von Schuldirektor*innen unterrichteten Fächer sind Russisch und Mathematik (16% bzw. 14%).

Hier ist zu betonen, dass es für Schulleiter*innen einerseits sicherlich wichtig ist, sich möglichst stark auf ihre Leitungsaufgaben konzentrieren zu können. Andererseits erlaubt es ein gewisses Unterrichtspensum Schuldirektor*innen, ihr „Handwerk“ nicht zu verlernen, die Umstände des Lerngeschehens in der Schule besser nachempfinden und verstehen zu können und die „gleiche Sprache“ wie ihre Lehrerkolleg*innen zu sprechen.

Schwierigkeiten, Barrieren und Konflikte

Als Hauptproblemfelder nannten die Befragten eine Überlastung durch das Berichtswesen, Konflikte mit den Eltern, die Delegation von Befugnissen an Stellvertretende, Probleme beim Motivieren eines alternden Lehrkörpers, die Akquirierung von Fördermitteln und die Überfüllung der Schulen.

Schwierigkeiten bei der Arbeit vieler Direktor*innen resultieren oftmals aus unzureichenden Fähigkeiten zur Lösung ökonomischer Probleme und aus mangelnden Rechtskenntnissen. Auch Burnout-Symptome sind keine Seltenheit. Hinzu kommen Generationskonflikte: Junge Schuldirektor*innen haben es häufig schwer, mit älteren Mitarbeit*innen eine gemeinsame Basis zu finden, und langjährige Schuldirektor*innen sind nicht immer in der Lage, die Bedürfnisse und die Motivation junger Pädagogen zu verstehen.

Häufig sind Schuldirektor*innen jünger als ihre Mitarbeit*innen. Junge Direktor*innen kommen an Schulen, die sie selbst einmal absolviert haben. Dies erschwert es jungen Führungskräften, ihre Position innerhalb des Kollegiums zu finden und eine klare Hierarchie durchzusetzen. Darunter kann der Status einer jungen Schulleitung leiden: Ihre jetzigen Mitarbeiter*innen – und zugleich ehemaligen Lehrer*innen – nehmen den oder die Betreffende*n weiterhin als ihre*n ehemalige*n Schüler*in wahr, was auch die Einführung neuer Lehrmethoden erschwert. Tendenziell sind ältere Lehrkräfte eher abgeneigt, in dieser Hinsicht Neues auszuprobieren; gleichzeitig sind sie oft nicht zu ersetzen. Solche Probleme und persönlichen Barrieren können sich negativ auf die Qualität des Bildungsprozesses auswirken.

Die Möglichkeit, vor der Übernahme einer Schulleitung eine entsprechende spezielle Ausbildung zu machen, gibt es in Russland leider praktisch nicht. Nur 5% der Schuldirektor*innen in Russland haben eine Ausbildung zur Führungskraft absolviert. In den meisten Fällen steigt die Schulleitung innerhalb eines Kollegiums auf und geht den Weg Lehrkraft – Stellvertretende Schulleitung – Schulleitung („Uprawlenije schkoloi“ (Leitung einer Schule), Nr. 6/2018, S. 58).

Viele der Fähigkeiten, die für die Leitung einer Bildungseinrichtung erforderlich sind, werden von den Direktor*innen nach dem Stellenantritt, bei der Arbeit und zum Teil auch durch Weiterbildungen erworben.

Eine fachliche Schulung im Vorfeld würde es angehenden Direktor*innen sicherlich ermöglichen, sich in der neuen Leitungsfunktion sicherer zu fühlen und bestimmte Probleme, Konflikte und Irritationen zu vermeiden.

Ungeachtet der Existenz von Leitungsteams in russischen Bildungseinrichtungen werden die meisten Entscheidungen nach wie vor von den Direktor*innen selbst getroffen. Der Grund für diese Einzelleitung liegt nicht immer in der Dominanz, der Leadership-Kompetenz oder der Autorität eines Direktors oder einer Direktorin. Viele der Befragten gaben zu, Schwierigkeiten bei der Delegation von Aufgaben an ihre Stellvertreter*innen zu haben. Das klassische Modell der Stellvertretungen (stellvertretende Schulleitung für Unterricht und pädagogische Arbeit usw.) ist in einer modernen Schule ineffektiv und entlastet die Schulleitung nicht. Bei der Bildung eines zeitgemäßen Stellvertretungsmodells (Stellvertretung für die Arbeit mit begabten Kindern, Stellvertretung für internationale Zusammenarbeit u. Ä.) ist es nicht immer möglich, Zuständigkeiten und Aufgaben klar zu trennen; oftmals überschneiden oder duplizieren sich die Funktionen der einzelnen Stellvertreter*innen.

Die Herausforderung, vor der fast ausnahmslos alle Schulen im Frühjahr 2020 standen, war der durch die Pandemie erzwungene Übergang zum Fernunterricht und zu damit verbundenen Technologien und Formaten (E-Learning) im Bildungsprozess.

Wege zur Bewältigung von Schwierigkeiten

Nach Meinung der Befragten könnte eine Reihe von Problemen von einer Fach-Community überwunden werden. Die Nachfrage nach einer solchen Community ist vorhanden. Dies belegen Angaben der Befragten ebenso wie Aussagen von Betroffenen in zahlreichen lokalen Chatgruppen in Messengerdiensten und sozialen Netzwerken.

Neben Webinaren, Artikeln und Materialien zum Thema besteht nach Aussage der Befragten ein Bedarf an einer integrierten Plattform für den Erfahrungsaustausch, die Organisation und Vermittlung von Praktika, die berufliche Weiterentwicklung, die Beratung bei der Lösung akuter Probleme, für die Diskussion über Probleme bei der Implementierung neuer Methoden und Ansätze in der Ausbildung sowie für das Organisieren von Veranstaltungszyklen unter Beteiligung erfahrener Direktor*innen.
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Weiterbildungskurse – Angebot und Bedarf

Gegenwärtig gibt es in Russland eine große Anzahl von zusätzlichen professionellen Programmen, die Schuldirektor*innen helfen, Schwierigkeiten und Defizite in ihrer Arbeit zu überwinden.

Innerhalb der letzten ein bis zwei Jahre haben 76% der Befragten an Seminaren oder Webinaren teilgenommen; 66% haben die obligatorischen Weiterbildungskurse absolviert, einschließlich der für die Zertifizierung erforderlichen Kurse; 57% der befragten Schuldirektor*innen haben optionale Kurse, d. h. zusätzliche Weiterbildungskurse für Führungskräfte, absolviert; 42% der Schulleiter*innen haben an Fachkonferenzen, Workshops und Kursen teilgenommen. 4% haben langfristige Hochschulprogramme für Führungskräfte und Beschäftigte im Bildungsbereich absolviert (Master, Aspirantur, MBA).
3% der Befragten haben in den letzten ein bis zwei Jahren keine Weiterbildung gemacht. Als Grund wurde in der Regel Zeitmangel angeführt.

Der Anteil der Schulleiter*innen, die Wahl- oder zusätzliche Weiterbildungskurse für Schulleitungen besucht haben, ist bei den nicht selbst unterrichtenden Direktor*innen höher (62%) als im Durchschnitt (57%). Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sie weniger von Arbeits- und Unterrichtszeiten abhängig sind. Bei Schulleiter*innen mit sechs bis zehn Jahren Tätigkeit im Leitungsbereich, die ihre Führungserfahrungen systematisieren wollen, liegt der Anteil bei 67%; ebenso hoch ist der Prozentsatz bei Direktor*innen über 60 Jahren.

Im Allgemeinen sehen die Schuldirektor*innen keine Hindernisse für ihr berufliches Weiterkommen und ihre professionelle Entwicklung.

Obwohl Weiterbildungen für Schulleiter*innen aus dem institutionalen Budget finanziert werden können, bezahlten 73% der befragten Direktor*innen, die zusätzliche, optionale Kurse absolvierten, diese aus eigenen Mitteln.

Die meisten Schulleiter*innen sehen keinen qualitativen Unterschied zwischen kostenpflichtigen und kostenlosen Schulungen.

Schulleitungen informieren sich lieber eigenständig über eine sinnvolle berufliche Zusatzausbildung als über zentrale Quellen (69%), über Newsletter (63%) oder durch Empfehlungen von Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen (49%).

Die Hälfte der Befragten hält das selbstständige Durchlaufen von Online-Programmen mit einer Gesamtdauer von nicht mehr als drei Wochen für das optimale Schulungsformat. Für 41% der Befragten ist ein gemischtes Format mit ein bis zwei Tagen Präsenz-/Offline-Unterricht und zwei bis drei Wochen Selbststudium unter Einbeziehung von Fernstudientechnologien akzeptabel.

Wie die Befragung ergab, ist die am stärksten nachgefragte Kompetenz unter den Schulleiter*innen die Einwerbung von Förder- und Ausschreibungsmitteln und die Berichterstattung darüber. 47% der Befragten würden Fähigkeiten und Kompetenzen in diesem Bereich gerne weiterentwickeln, und mehr als die Hälfte dieser Personen (26%) äußerte die Bereitschaft, im nächsten Jahr eine Fortbildung hierzu zu machen.

Nachdem sie den Pandemie-Frühling überstanden haben und vor neuen Herausforderungen stehen, sehen 39% der Befragten einen dringenden Bedarf an Fernunterricht und an einer Einführung digitaler Tools in Unterricht und Management. Fast die Hälfte von ihnen ist bereit, innerhalb eines Jahres eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren.

Die für die Befragten am wenigsten interessanten Themen waren die Entwicklung von Soft Skills, Lehrkräftegewinnung, die Organisation bezahlter zusätzlicher Bildungsdienstleistungen auf Schulebene sowie ein Verständnis für die Besonderheiten bei der Umsetzung föderaler Programme und nationaler Projekte.

Schulleiter-Typologie

Eines der wichtigen Ergebnisse der durchgeführten Umfrage ist eine Klassifizierung von Schulleitungen nach unterschiedlichen Typen.
Die Umfrage ergab vier Typen von Direktor*innen:
  • „Star-Schulleitung“;
  • „einsame Schulleitung“;
  • „angehende Schulleitung“;
  • „Technokraten-Schulleitung“.
Jeder Schulleitertyp mit seinen Stärken, Probleme und Defiziten wird in der Studie  beschrieben. Es werden mögliche Schwierigkeiten aufgelistet, mit denen Direktor*innen in der ein oder anderen Form konfrontiert werden. Auf dieser Basis wurden Empfehlungen für berufliche Weiterbildungsprogramme für Schulleitungen entwickelt.

So werden dem Typ „Star-Schulleitung“ Programme zur Einführung ausländischer Praktiken der Schulbildung, zu Konfliktmanagement, emotionaler Intelligenz (EI/EQ) und Soft Skills sowie Programme zur Generationentheorie und zur Überwindung von Schwierigkeiten in der Kommunikation empfohlen.

Die Empfehlungen für die „einsame Schulleitung“ umfassen Programme zum Umgang mit Konflikten mit Eltern, zur Generationentheorie und zur Komplexität von Kommunikation, zur Vorbereitung auf Schulolympiaden und der Arbeit mit hochbegabten Kindern sowie zum Aufbau von Netzwerken und zur Suche nach geeigneten internen und externen Kooperationspartnern (auch digital).

Die „angehende Schulleitung“ ist noch sehr unerfahren und braucht in erster Linie die Unterstützung von fachkundigen Kolleg*innen, Mentoring und/oder ein Einarbeitungsprogramm für angehende Direktor*innen. Empfohlene Programme für Direktor*innen dieser Gruppe umfassen solche zur Generationentheorie und Komplexität von Kommunikation, zu Schulökonomie, Konfliktmanagement (auch im Team) und strategischem Schulmanagement oder auch zu Prinzipien der Entscheidungsfindung (datengesteuerte Entscheidungsfindung).

Kurse für eine „Technokraten-Schulleitung“ hätten Themen wie agiles Arbeiten und Projektmanagement, emotionale Intelligenz (EI/EQ), Generationentheorie und Kommunikationskomplexität, Digitalisierung der Bildung oder Schule als Unternehmenseinheit zum Inhalt.

Natürlich sind sowohl die in der Studie vorgeschlagene Typologie von Schulleitungen als auch die aufgelisteten möglichen Programme einer beruflichen Weiterbildung für solche Typen von Schulleiter*innen nicht etwas ein für alle Mal Vorgegebenes, Verbindliches. Auf jeden Fall aber könnten solche Programme die tägliche Routine von Schulleiter*innen erleichtern und ihre Professionalität und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten beim Treffen von Führungsentscheidungen stärken. Dies würde sich positiv auf die Arbeit des gesamten Schulpersonals und die Qualität des Bildungsprozesses als Ganzes auswirken.

Schuldirektor*innen oder allgemein Leiter*innen allgemeinbildender Einrichtungen stehen seit langem unter genauer Beobachtung sowohl von Fachleuten als auch von Journalisten. Diese sind zu unterschiedlichen Typenbildungen und Klassifizierungen gelangt. So teilte z. B. Anfang der 1990-er Jahre Simon Soloweitschik Schulleiter*innen in „cheforientierte“, „lehrkräfteorientierte“ und „kinderorientierte“ Schulleiter*innen ein (Simon Soloweitschik, „Komu wy sluzhite, direktor“ (Wem dienen Sie, Herr/Frau Direktor*in), in: „Perwoje Sentjabrja“, Nr. 91, 1993).

In den 27 Jahren, die seit der Veröffentlichung von Soloweitschiks Aufsatz vergangen sind, haben sich die Aufgaben von Direktor*innen teilweise verändert. Die pädagogische Komponente ihrer Position hat enorm an Bedeutung verloren und wird mehr und mehr durch Verwaltungs- und Managementfunktionen ersetzt. Dieser Prozess ist nicht nur für Pädagogen und andere Erwachsene, sondern sogar für Kinder deutlich erkennbar. Das zeigen die Daten einer Schülerbefragung zum Thema Vertrauen zu Schulleiter*innen: 84% der Schüler*innen, die an der Umfrage teilnahmen, gaben an, ihren Schuldirektor*innen nicht zu vertrauen (vgl. https://clck.ru/TuTtM)

Gibt es Kurse für Direktor*innen, die ihnen Hilfen an die Hand geben, um das Vertrauen ihrer Schüler*innen zu gewinnen bzw. wiederzugewinnen? Denn ohne einen „Draht“ der Schulleitungen zu ihren Schülerinnen und Schülern, ohne ein gegenseitiges Verständnis zwischen beiden Seiten ist es auch und gerade im 21. Jahrhundert unmöglich, die Kinder zu motivieren, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, ihre Talente zu erkennen und zu fördern, ihren Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstständigkeit zu unterstützen, kurz, es ist unmöglich, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

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