Irgendwie dazwischen
Von Jana Heiß
Eines der ersten Adjektive, das mir in den Sinn kommt, um meine Sprachassistenz in Krasnojarsk zu beschreiben, ist: „undefinierbar“.
Ich bin Sprachassistentin – doch was steckt hinter diesem Wort? Zu sagen ich sei Lehrerin, wäre nicht ganz richtig. Aber auch nicht falsch. Wenn ich gerade mal rede- oder erklärfaul bin, sage ich das genauso.
Doch meine Tätigkeit sieht einfach immer wieder anders aus, denn die Sprachassistententätigkeit ist alles andere als Routine.
Viele Aufgaben mache ich seit einem halben Jahr am Sprachlernzentrum in Krasnojarsk regelmäßig, zum Beispiel meinen eigenen Kurs leiten, gemeinsam mit Kollegen Tandemunterricht durchführen oder Stammtische veranstalten. Trotzdem unterscheiden sich rückblickend alle Monate stark voneinander. Wechselnde Projekte, andere Schüler, neue Ideen, kleine Reisen, erfrischende Seminare, neue Kontakte, schwankende Stimmungen und nicht zuletzt sinkende Temperaturen machen das Leben hier sehr abwechslungsreich.
Der Jenissei
| Foto: Jana Heiß
Das gilt auch außerhalb der Arbeit am SLZ. Krasnojarsk ist eine Millionenstadt mit viel Verkehr, schlechter Luft, Hochhäusern und großen Einkaufszentren. Versteht mich nicht falsch, ich finde, dass Krasnojarsk eine schöne Stadt ist. Doch bis zum heutigen Tag fasziniert mich dieser extreme Kontrast zwischen grauer Großstadt und herrlicher Natur, die einen hier rundherum umgibt. Schon bei einem Spaziergang im Stadtzentrum an der Uferpromenade des Jenissei kann man der städtischen Hektik etwas entfliehen. Doch wartet erst, bis ihr durch die nahegelegenen Birken- und Zedernwälder und die Naturparks in den Bergen spaziert!
Dort vergesse ich augenblicklich, dass ich eigentlich in einer so großen Stadt wohne.
Glücklicherweise befindet sich direkt hinter meiner Haustür ein großer Park, der sich zu einem wunderschönen Wald mit vielen Aussichtspunkten erstreckt.
Von meinem Fenster aus kann ich die Skipisten im Freizeitparkpark „Bobrovy log“ und die Berge, die den Rand des riesigen Naturparks „Stolby“ markieren, sehen.
Skipisten des Freizeitparks „Bobrovy log“
| Foto: Jana Heiß
Beim Wandern durch die Weiten dieses Parks und beim Klettern auf die Felsen spüre ich richtig, dass ich mich in Sibirien befinde.
Mit ein bisschen Glück kann man hier seltene Tiere wie zum Beispiel Schneeeulen entdecken. Die zahlreichen flauschigen Eich- und Streifenhörnchen dagegen sind hier keine Seltenheit. Diese scheinen sich nicht ganz entscheiden zu können, ob sie sich uns Menschen gegenüber eher scheu verhalten sollen oder völlig angstfrei auf uns zurennen, an den Beinen hochklettern, vielleicht sogar bis auf den Kopf (ja, das passiert tatsächlich) und jedes Zipfelchen nach ein, zwei leckeren Zedernnüssen absuchen. Ist wohl von Laune und Hunger abhängig.
Neugieriges Streifenhörnchen
| Foto: Jana Heiß
„Irgendwie dazwischen“ fühle ich mich auch oft im Alltag. In vielen Momenten bin ich einfach jemand, der hier in Krasnojarsk wohnt, arbeitet und lebt, so wie die meisten Menschen um mich herum. Ich spreche russisch und kenne mich mittlerweile gut aus, falle also nicht weiter auf.
Das kann sich jedoch in Sekundenschnelle ändern. Dafür braucht es nur einen Anruf von Freunden aus Deutschland, eine zufällige Begegnung mit einer Kollegin, die mich auf Deutsch anspricht, oder jemanden, der meinen Akzent im Russischen bemerkt – dann wurde ich enttarnt. Von einer in der Masse unsichtbaren Krasnojarskerin werde ich plötzlich zur hier fast exotischen Ausländerin. Wenn das passiert, weiß ich, ich bin jetzt erstmal nicht mehr Jana, sondern „die Deutsche“ und antworte höflich und fast automatisch auf die fast immer selben Fragen, die vielen Menschen hier in den Sinn kommen, wenn sie auf eine Deutsche treffen.
Mir gefällt das Leben hier. Ich bin jemand, der die kalte Jahreszeit sehr mag und auch nach fast fünf Monaten weißem Winter kann ich mich nicht so ganz entscheiden, ob ich gerne das ganze Jahr über Schnee hätte, oder ob ich mich so langsam doch auf den nahenden Frühling, grüne Bäume und ein paar Kleidungsschichten weniger freue…
„Stolby“ im Winter
| Foto: Jana Heiß