Christiane Frohmann: Diskussionsbeitrag
​Unwesentlichsein als eigener Raum: Denkübung für Autorinnen

Christiane Frohmann, Präraffaelitische Girls erklären das Internet, Berlin 2018
Christiane Frohmann, Präraffaelitische Girls erklären das Internet, Berlin 2018 | © Kleine Formen

Von Christiane Frohmann

Wer schon mal ein Buch veröffentlicht hat, sei es als Verlegerin oder Autorin, kennt es: Du hast einen Journalisten zu Gast gehabt, ihm zwei Stunden deiner knappen Zeit gewidmet, Kaffee gekocht, affirmativ gelächelt, dich bemüht, besonders komplexe Sachverhalte deiner Arbeit gut verständlich darzustellen, ihr habt euch freundlich verabschiedet, am nächsten Tag hast du noch Fotos geschickt, jemand hat telefonisch nachgefragt, ob man nicht auch ein paar Bilder aus deinem Instagramaccount nehmen könnte, du hast Ja gesagt, warum auch nicht, einige Wochen sind vergangen, dann erscheint der Artikel.

Darin steht ein halber, eher nichts sagender Satz über deine Arbeit, gern unter Verwendung eines nicht ganz korrekten Zitats, und der Rest ist eine Peoplestory über deine Person bzw. das, was der Journalist meint, mit dir erlebt und an dir beobachtet zu haben. Alles ist sehr atmosphärisch, da finden sich viele emotive Adjektive und Details über Wohnambiente, Kleidung, Frisur, Stimme, Habitus. Vermeintlich ist alles sehr positiv und wertschätzend dargestellt, aber wieso schreibt der eine Journalist, dass ihr »geplaudert« habt – man plaudert am Gartenzaun, aber nicht wenn man als Intellektuelle seine Arbeit präsentiert – und ein anderer, obwohl du das nie gesagt hast, dass du gern »auf der Couch schmökerst« – verwechselt er eine Person, deren Arbeit er vorstellen soll mit seiner Tante? Warum wird im Text der Cappuccino erwähnt, aber nicht der Titel deines aktuellen Buches? Warum haben sie ein Foto von dir und deiner Katze genommen, obwohl es im Text an keiner Stelle um deine spezifische Art, Instagram zu nutzen, geht?[1]
 
Mit der notorischen Dutzidutzi-Etikettierung und -Einordnung arbeitender Frauen in stereotypische Assoziationsrahmen, der aktuell in Medienbeiträgen nur selten widerstanden wird und vor der niemand völlig gefeit ist, leistet man der Gesellschaft, aber auch der Kunst einen Bärendienst. Denn wen man verniedlicht, verharmlost, vereinfacht, verkitscht darstellt, wird zwangsläufig weniger ernstgenommen. Autorinnen und Verlegerinnen werden so, obwohl sie es vielfach sind, nicht als Urheberinnen, Innovatorinnen, Reformatorinnen, Revolutionärinnen repräsentiert, sondern als Autor- und Verleger-Cosplayerinnen vorgeführt. Das hat einen einfachen, aber schrecklichen Grund: Frauen werden weiterhin nicht als ästhetische Subjekte, sondern als Objekte wahrgenommen. Wenn sie, mit Beauvoir gedacht, ähnlich wie andere Marginalisierte kulturell als das Unwesentliche gesetzt sind, dann kann ihre Arbeit a priori nicht als wesentlich wahrgenommen werden. Auch deswegen werden neue Formen, Begriffe und Thesen, die von Autorinnen geliefert werden, entweder unsachlich abgetan oder aber referenzlos vom traditionellen Diskurs und Betrieb aufgesogen. Es ist nach wie vor kulturell nicht plausibel, Menschen, die keine weißen cis Männer sind, als Urheberinnen zu respektieren. Daran ändern auch die regelmäßig veranstalteten Zukunfts- und Gleichstellungs-Konferenzen nichts, diese dienen nur einer branchenkarnevalistischen Affektabfuhr – mit aufregender, aber wohldosierter Öffnung halten sie das System eine weitere Saison lang stabil.
 
Wer also nicht länger ungewollt als Muse an seiner eigenen Klein- und Raushaltung mitwirken möchte, muss Nein sagen lernen, denn jedes weitere Ja kaschiert nur, dass man nie dazugehört hat. Die kulturell gelernte Unfähigkeit der Gegenüber, einen als wesentlich zu betrachten, muss ausgeglichen werden, indem man vorhersieht, was sie einem alles an Verbiegungen zumuten werden und dies verhindert.
Im Folgenden einige Tipps und Tricks:
 

  1. Sag Nein zu Homestorys, der Name ist Warnung genug. Diese dienen nur Personen, die auf ihr Publikum emotionaler wirken wollen. Im Falle von Autorinnen aber, denen traditionell ohnehin unterstellt wird, autofiktional oder zu emotional zu schreiben, erzeugen sie den Eindruck, bereits alles Nötige über das Buch zu wissen, es also nicht mehr lesen zu müssen.
  2. Sag Nein zu Porträts, sie werden auch nur gemacht, weil man in der Redaktion keine Lust hat, dein Buch zu rezensieren.
  3. Sag Nein zu Interviews, sie bieten immer noch viel zu viel Raum für blumige Adjektive, die deine Arbeit ästhetisch kleinmachen.
  4. Wenn man dir eine Homestory, ein Porträt, ein Interview anbietet, antworte mit: »Bitte besprechen Sie lieber mein Buch.«
  5. Wenn man dir vorschlägt, im Rahmen eines Themas, zu dem du dich geäußert hast, über dich zu berichten, schlage vor, dass du bezahlt einen eigenen Text dazu schreibst.
  6. Betreibe »Richtiger Autor«-Mimikry. Trage schwarze Rollkragenpullover und stütze nachdenklich das Kinn mit einer Hand ab, ja, die Pose ist lächerlich, aber Feuilletonredakteure sind sie von ihren Freunden gewöhnt. So kannst du sehr gut vorübergehend von deiner Unwesentlichkeit ablenken.
  7. Lass dich nicht mit einer Kaffeetasse fotografieren, nicht mit einer Katze, nicht mit einem kleinen Hund, nicht mit Plüschfiguren, nicht mit Kindern, nicht mit sichtbaren Beinen, nicht mit roten Lippen, nicht in einem sexy Zofenkleid, nicht unbekleidet. Alles, was selbstverständlich zu dir und deinem Leben dazugehört, markiert im Kulturbetrieb deine Objekthaftigkeit und erschwert es, deine Arbeit als Autorin interessant und relevant zu finden. 2019 ist das neue 19. Jahrhundert.
  8. Sag Nein zu albernen Titeln, schrei Nein zu sexistischen Titeln, sag Nein zu blumigen Adjektiven im Klappentext oder im Titel, sag Nein zu Cupcake- oder Sex-and-the-City-Ästhetik bei der Umschlaggestaltung, sag Nein zu künstlerisch wertvollen Fastnacktfotos, sag Nein, wenn du im Café lesen sollst, während der Kollege ins Literaturhaus darf. Ich würde gern sagen, es ist etwas ganz Anderes, wenn du selbst darauf stehst, wenn diese Dinge dir wirklich gefallen, aber das stimmt nicht. Du brauchst die traditionelle Ernsthaftigkeit für die Verkäufe und die Verkäufe für die Anerkennung. 
  9. »Ist es wirklich so schlimm?« »Ja.« »Also unironisch, wirklich so schlimm?« »Ja.«Der einzige Ausweg: Mach es wie Elena Ferrante. Entziehe dich, erscheine nur in deinen Büchern.
  10. Halt, stopp. Auch das ist längst nicht radikal genug. Das Neinsagenlernen muss weiter vorn ansetzen: „For the master's tools will never dismantle the master's house. They may allow us temporarily to beat him at his own game, but they will never enable us to bring about genuine change“, schreibt Audre Lorde.[2] 

Das Gute am Unwesentlichsein, wenn man es wirklich in all seinen Implikationen verstanden hat, ist, dass man nicht auf den Schultern von irgendwelchen fragwürdigen Riesen steht und somit alles neu denken kann. Wenn man einfach ist, existiert die Unwesentlichkeit nicht mehr. Die Gruppe der im klassischen Sinne Unwesentlichen ist riesig und hat bereits begonnen, sich weltweit zu erkennen und zu formieren.
 
Dies hier ist eine reine Denkübung, die man sich individuell zueigen machen kann, aber nicht muss:
 
Sich das Ich in unwesentlich nehmen. Als Autorin, als Frau, als Mensch.
 
Unwesentlichsein ist so inklusiv, dass man es weder kaufen noch kolonisieren kann. Ein eigener Raum für Viele.
 
Rumpelstilzchen reißt sich vor Wut in Stücke, weil niemand mehr das Wesentliche, seinen Namen, herausfinden möchte.

[1] Wie grotesk sich das liest, wenn man solche Unsachlichkeiten zur Abwechslung auf cis-männliche Autorinnen anwendet, verdeutlichen die unter dem Hashtag #dichterdran geschriebenen Tweets, initiiert von Nadja Brügger, Güzin Kar und Simone Meier https://twitter.com/hashtag/dichterdran?src=hashtag_click.
[2] Weiße Feministinnen lernen bitte auch noch, schwarze Autorinnen nicht als Musen und Stichwortgeberinnen zu benutzen.

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