Interview
Aimée Delblanc

Aimée Delblanc, bokomslag:  Hur ska det gå för Pinnebergs?, Änglarnas stad och Stjärna 111
Links: Aimée Delblanc mit dem Hut der Schriftstellerin Karen Blixen, den sie sich bei einem Besuch des Blixen-Museums bei Kopenhagen vorübergehend ausgeliehen hatte. | Foto: Lasse Ahlbom/Lind Co/Norstedts

Aimée Delblanc ist eine der erfahrensten Belletristik-Übersetzer*innen Schwedens und hat schon fast alles innerhalb der deutschsprachigen Literatur übersetzt - von Nobelpreisträger*innen über Klassiker bis zu Gegenwartsliteratur und Biographien. In diesem Interview gibt sie ihre besten Tipps für frischgebackene Übersetzer*innen und erklärt, wieso jede Übersetzung ihre ganz eigenen Herausforderungen hat.  


Wie kam es, dass du Übersetzerin deutscher Literatur wurdest? 
 
1971 zog ich nach Westberlin. Dort studierte ich Germanistik an der Freien Universität. Ich unterrichtete auch Schwedisch an der Volkshochschule und war “Vereidigte Dolmetscherin der Berliner Justizbehörde und Notare” - ich übersetzte diverse Dokumente und dolmetschte in verschiedenen Prozessen und Verhören. Zum Beispiel für einen schwedischen Touristen, der angeheitert war und auf eine Polizeistation gebracht wurde und dann eine*n Dolmetscher*in brauchte. Dann kam ich zum Einsatz. Übersetzerin von deutscher Belletristik wurde ich erst, nachdem ich 1994 zurück nach Schweden zog. Ich erhielt eine Anfrage einer guten Freundin, die ein Buch mit Texten von Günter Wallraff herausgeben wollte, den sie kennt. Es handelte sich um Texte, in denen Wallraff über verschiedene Ereignisse in seinem Leben sowie Situationen und Autor*innen, die ihn beeinflusst hatten, schrieb. Ich habe eine Probeübersetzung gemacht und dann den Auftrag bekommen. Das Buch heißt Störning pågår. Es wurde 1995 im Legus Verlag veröffentlicht. 
 
Was war dein allererster Übersetzungsauftrag? 
 

Der allererste Auftrag war eine Übersetzung eines großen Kunstbuches, ein Sachbuch also: Gaudí: 1852 - 1926. Antoni Gaudí i Cornet - ein Leben in der Architektur, Taschen Verlag, 1990. Und schnell sollte es gehen. Das tat es dann auch, aber dann lag das Manuskript mehrere Monate bei dem schwedischen Verlag, der Taschen veröffentlichte.  
 
Du hast viele unterschiedliche Genres und Schriftsteller*innen innerhalb der deutschsprachigen Literatur übersetzt – Klassiker wie Hans Fallada und Christa Wolf, Gegenwartsautor*innen wie Lutz Seiler, Katja Petrowskaja und Eugen Ruge wie auch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Welche*r Schriftsteller*in war die größte Herausforderung zu übersetzen und wieso? 
 
Die Frage ist unmöglich zu beantworten, da jede*r Autor*in eine Herausforderung beinhaltet, aber auf unterschiedliche Weise. Hans Fallada zum Beispiel. Da habe ich darauf geachtet, dass die Sprache und der Stil an die 1930er Jahre erinnern, ohne kitschig zu klingen. Elfriede Jelinek spielt wirklich mit Sprache, Zweideutigkeiten, Wortspielen und Witzen. Das ist natürlich eine große Herausforderung, und oft muss man sich etwas Eigenes einfallen lassen. Es macht so viel Spaß, das zu tun. Katja Petrowskaja, die keine deutsche Muttersprachlerin ist, hatte manchmal ihre eigenen Konstruktionen und es war wichtig, diese "fremde" Nuance herauszuarbeiten. Lutz Seiler schreibt so poetisch. Das muss ich richtig hinbekommen. Bei Eugen Ruge z.B. ist es wichtig, viele russische Namen korrekt zu transkribieren, aber auch rein historische Fakten. Auch Herta Müllers Collagen (Lögnen är ett klätterdjur, 10TAL Bok 2019 ) waren eine Herausforderung. All diese spielerischen Kompositionen, die sie geschaffen hat, waren wirklich eine phantastische Herausforderung. Ja, es gibt noch viele mehr. Eine riesige Herausforderung war Uwe Tellkamps großer Wenderoman Der Turm über den Niedergang und Fall der DDR. Eine komplexe Übersetzung war auch Hilma af Klints Biographie von Julia Voss. Sie hat Schwedisch gelernt, um in die Hilma-af-Klint-Archive zu gehen und im Original zu lesen. Ich musste dann nach den ins Deutsche übersetzten Passagen suchen, denn auf Schwedisch hatte Hilma af Klint Pluralendungen bei den Verben und eine altmodische Rechtschreibung. 
 
Du hast auch viel Zeit damit verbracht zu unterrichten. Du hast unter anderem am Seminar für literarische Übersetzung an der Hochschule Södertörn zukünftige Übersetzer*innen ausgebildet. Wie ist es, literarisches Übersetzen zu lehren? Bist du eher eine Praktikerin oder eine Theoretikerin im Lehrkontext? 
 
“Learning by doing”. So wie in den Kursen für literarisches Schreiben in Kleingruppen konkret mit dem Text gearbeitet wird, so sind auch die Seminare für literarische Übersetzung aufgebaut: konkrete Arbeit mit den Texten in Kleingruppen von 5-6 Teilnehmenden. Alle lesen die Texte der anderen und kommentieren sie in der Gruppe. Das ist Arbeit bis ins letzte Detail. Man muss eine Praktikerin in der Lehre sein. Theoretische Texte können im Plenum diskutiert werden, und das haben wir auch getan, oft mit eingeladenen Lehrenden und Forschenden. 
 
Hast du einen guten Tipp für neue Übersetzer*innen von Belletristik? 
 
Lies sehr viel Belletristik in der Sprache (für die meisten die Muttersprache), in die du übersetzt! Das gibt ein Gefühl für Wortwahl und Stilniveau. Lies den Text, den du übersetzt hast, auch laut vor. Dann kannst du in der Regel hören, ob etwas im Text unklar ist, z. B. ein Germanismus oder ein Anglizismus. 
 
Ein weiterer guter Tipp ist, sich die Zeit so einzuteilen, dass der übersetzte Text "zur Ruhe kommen" kann. Wenn du dann zum Text zurückkehrst, treten Unregelmäßigkeiten und grobe Stellen eher zutage. Es ist dann einfacher zu hören, wie es sein soll. 
 
Und: Geh raus in die Realität und schau dich um, frag Leute, wie Sachen und Dinge funktionieren. Frag den oder die Autor*in, falls er oder sie bereit ist zu antworten. Vertrau nicht nur auf das Internet! 
 
Was übersetzt du gerade? 

 
Anfang Dezember habe ich das Manuskript für ein Buch mit dem Titel Wie man seine Tochter liebt eingereicht. Das Original wurde von einer israelischen Autorin, Hila Blum, geschrieben – auf Hebräisch. Das Buch wurde dann ins Deutsche übersetzt. Ich übersetze also das Buch aus der deutschen Übersetzung. Das war eine völlig neue Erfahrung, man steht auf einem wackligen Boden. Was steht da eigentlich im Original, das ich leider nicht lesen kann? Eine große Hilfe war, dass ich einen jüdischen Freund fragen konnte, der Hebräisch, Deutsch und Schwedisch kann. 
 
Ich habe gerade mit der Übersetzung des Romans Der Brand der Autorin Daniela Krien begonnen. Dies ist das zweite Buch von ihr, das ich übersetze. 2022 wurde ihr Roman Die Liebe im Ernstfall auf Schwedisch veröffentlicht. Darin beschreibt Daniela Krien die Schicksale von fünf Frauen, wie sich ihre Wege kreuzen und wie ihre Leben miteinander verwoben sind. 
 
Gibt es eine*n Autor*in, ob klassisch oder modern, den oder die du noch nicht ins Schwedische übersetzt hast, aber gerne übersetzen würdest? 
 
Ich denke, es wäre eine spannende Herausforderung, mehr Texte von Elfriede Jelinek für Theaterproduktionen zu übersetzen. Für das Göteborger Stadttheater durfte ich FaustIn - and Out übersetzen, ein Stück über einen weiblichen Faust. Jelineks Wortspiele und Zweideutigkeiten sind immer eine Herausforderung, und zwar eine freudige. 
 
Zum Schluss habe ich eine Frage, die nicht direkt mit dem Übersetzen zu tun hat. Du hast viele Jahre lang die Kulturprogramme des Goethe-Instituts hier in Schweden besucht und daran teilgenommen. Hast du besondere Erinnerungen an das Goethe-Institut, die du gerne teilen möchtest? 
 
Ich habe so viele schöne Erinnerungen an das Goethe-Institut, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll. 
Ich fange mit dem sogenannten „Stammtisch“ an. Deutschübersetzer*innen konnten ins Goethe-Institut kommen und Fragen zu verschiedenen Übersetzungsproblemen stellen. Es gab nicht nur Kaffee und gutes Gebäck, sondern auch Muttersprachler*innen, die die Sprachfragen beantworten konnten. Diese Zusammenkünfte, unsere „Goethe-Treffen“, wurden sehr geschätzt. Dass diese „Goethe-Treffen“ nicht mehr stattfinden, liegt nicht an mangelndem Interesse, sondern an der Möglichkeit, sich online zu treffen, und an der Tatsache, dass die Teilnehmenden des Seminars für literarisches Übersetzen in Södertörn aus dem ganzen Land kamen. Nicht jede*r wohnt in Stockholm. 
 
Ein wichtiges Ereignis war die Einweihung der Bibliothek in diesem Saal, in dem die Klarabohème ihr Zuhause hatte (Bryggargatan 12A, Anm. d. Red.), was durch die Bilder an der Wand im Eingangsbereich dokumentiert wird. Eine schöne Kontinuität. 
 
Das große Kulturaustauschprojekt mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) in den Jahren 1996/97. NRW wollte nach der Schließung des Steinkohlebergbaus seine vielfältigen kulturellen Aktivitäten präsentieren. Es gab nun Kunstausstellungen, Musik- und Tanzaufführungen im Revier. Das Goethe-Institut wurde damit beauftragt, schwedische Partner für diese Initiativen zu finden. Die meisten Aktivitäten wurden vom Kulturhuset ausgerichtet, darunter eine Kunstausstellung, die von Königin Silvia eröffnet wurde. Ich gehörte zu dem Team des Goethe-Instituts, das diese Besuche hier in Schweden organisierte. Der Genauigkeit halber möchte ich jedoch erwähnen, dass ich Projektmitarbeiterin des Kultusministeriums in Düsseldorf war. Der damalige Leiter des Goethe-Instituts war Christoph Werr. Skandinavia hieß das Projekt, in dessen Rahmen die skandinavischen Länder ihrerseits NRW besuchten. Das war zu der Zeit, als Björn Springfeldt Kulturreferent in Deutschland und die schwedische Botschaft noch in Bonn war. 

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