Das Debüt des Jahrhunderts
Judith Hermann

Judith Hermann war die 28-Jährige aus Berlin-Neukölln, die über Nacht zum literarischen Versprechen Deutschlands wurde. 1998 debütierte sie mit der Kurzgeschichtensammlung "Sommerhaus, später", die von der deutschen Kritik einhellig gelobt und in enorm hohen Auflagen gedruckt wurde. Auch in Schweden wurde sie schnell zur "Stimme des jungen Berlins".  

Fast 25 Jahre nach dem Erscheinen von Judith Hermanns Sommerhaus, später lässt sich sagen, dass das Werk eines der stärksten Debüts der deutschen Literaturgeschichte war. In einem Bericht für Dagens Nyheter über die deutsche Buchpremiere 1998 schreibt der Kritiker Jens Christian Brandt: "Der deutsche Buchherbst wurde von Veteranen dominiert. Ältere Autoren haben ihre Autobiographien vorgestellt, und die Kritiker haben sich brav und ordentlich verbeugt. Unter all den weißhaarigen Männern wirkt die 28-jährige Debütautorin Judith Hermann wie eine exotische und aufregende Bekanntschaft."  
  
Auch die deutsche Literaturkritik hatte Hermanns Erstlingswerk als etwas Innovatives in der deutschen Gegenwartsliteratur identifiziert. Der renommierte Kritiker Marcel Reich-Ranicki lobte das Buch in der Fernsehsendung Das literarische Quartett, die in der deutschen Literaturlandschaft eine feste Größe war – ein paar positive Bewertungen in diesem Zusammenhang konnten Verkaufszahlen über Nacht verändern. Auch Kritiker-Kollege Hellmuth Karasek war begeistert und glaubte, in der Kurzgeschichtensammlung "den Klang einer neuen Generation" zu hören. Der Erfolg war eine Tatsache.  
  
Das Gerücht um das hochgelobte Debüt sprach sich schnell in Schweden herum. Am 27. April 1999 war in den Zeitungen zu lesen, dass der "junge deutsche Star" die Internationale Autorenbühne in Stockholm besuchen würde. Im selben Frühjahr erschien im literarischen Magazin des Bonnier-Verlages ein kurzer Auszug aus Sommerhaus, später, übersetzt von Ulla Ekblad-Forsgren. "Stilistisch ist sie bereits eine Meisterin", schreibt der Autor Carl-Johan Vallgren in derselben Ausgabe über Hermann. Sommerhaus, später wurde sogar in einer Reihe schwedischer Zeitungen im deutschen Original besprochen. In der Zeitung “Arbetet” lautete die unmissverständliche Überschrift dazu:  "Meisterromane, die übersetzt werden müssen". Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Hermann ins Schwedische übersetzt werden würde.    
  
Mehrere Kritiker haben Parallelen zwischen Sommerhaus, später und der Dekadenz-Literatur der letzten Jahrhundertwende gezogen. Die Zeit-Literaturkritikerin Iris Radisch nennt Hermanns Schreibstil einen neuen Berliner Jugendstil in der Literatur – was natürlich sowohl auf die berühmte Kunstrichtung als auch auf Hermanns junges Alter anspielt. Kurz vor der Jahrtausendwende erschien Sommerhaus, später auf Schwedisch – Sommarhus, senare, verlegt bei Ordfront in einer Übersetzung von Ulla Ekblad-Forsgren.  
  

Hermann
Judith Hermanns Besuch in Stockholm im Jahr 1999 aus dem Programmheft des Goethe-Instituts. | © Goethe-Institut
Die deutsche Begeisterung für Hermanns Kurzgeschichten färbte jedoch nicht im gleichem Maße auf die schwedischen Kritiker ab. Die Rezensionen waren zwar verhalten positiv, aber man hatte das Gefühl, dass die verschiedenen Kurzgeschichten enden, bevor sie richtig durchstarten können – außerdem, so hieß es, sei der knappe Stil durch viele heimische Debütautor*innen bekannt. Im Jahr 2004 erschien die nächste Kurzgeschichtensammlung, Nichts als Gespenster, wieder in der Übersetzung von Ulla Ekblad-Forsgren, und die Rezensionen wurden sowohl länger als auch positiver.   
  
Hermann begann nun, mit ihren Kurzgeschichtensammlungen in Schweden Eindruck zu hinterlassen. Wenn man die Autoren Jonas Karlsson und Gunnar Ardelius nach ihren Lieblingsautor*innen fragt, antworten beide in verschiedenen Interviews "Judith Hermann", und sie sind damit nicht allein. Lange Kulturartikel werden über ihr Werk geschrieben und mehrere Kulturredakteure empfehlen Hermann im Rahmen verschiedener Bestenlisten. Karl Ove Knausgård schreibt in Dagens Nyheter, sein deutschsprachiger Kanon reiche von "Hölderlin bis Goethe, von Thomas Mann bis Judith Hermann".   

In Skandinavien hat sich Hermann inzwischen als starke Autorin etabliert: Als in diesem Frühjahr ihr neuester Roman Daheim (Übersetzung Jesper Festin) auf Schwedisch im Weyler-Verlag erschien, brach erneut das Hermann-Fieber aus – diesmal rissen sich die Kritiker*innen um ihre Rezensionen und das Buch stand wochenlang auf Platz eins der Bestenlisten. 
 






  

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