Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Vortrag: „Museumslandschaft in Deutschland"

Kunsthalle Hamburg, © Fotografie: Stefanie Thiedig
Kunsthalle Hamburg, © Fotografie: Stefanie Thiedig

Online-Vortrag anlässlich der „Deutsch-chinesischen Museumsgespräche“ am 26.05.2021
von Carsten Probst


I. Einleitung
 
Mit ihren rund 6800 Museen ist die heutige Museumslandschaft in Deutschland außerordentlich vielfältig. Diese Vielfalt hat historische, aber keineswegs nur „kulturelle“ Gründe. Die Musealisierung von Geschichte setzte mit ihrer Verwissenschaftlichung ein, die sich als eine Folge der Philosophie der Aufklärung im 18. Jahrhundert verstehen lässt.  Zugleich war Deutschland nie ein Zentralstaat – bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand es aus zahlreichen regionalen Herzogtümern, die jeweils eigene Kunstsammlungen besaßen. Die Aufklärung bewirkte eine allmähliche Öffnung dieser feudalen Sammlungen für ein breiteres Publikum. Seit dem 19. Jahrhundert entstanden darüber hinaus Museen neuen Typs, sogenannte Bürgermuseen, die nicht mehr auf adligem oder kirchlichem Besitz beruhten, sondern auf Sammlungen wohlhabender Privatleute, die auf dem Kunstmarkt erworben worden waren. Auf dem Höhepunkt dieser Entstehung von immer mehr Museen stand am Ende des 19. Jahrhunderts die deutsche Museumsreform unter der Federführung des Kunsthistorikers Wilhelm von Bode. Sie muss hier deshalb erwähnt werden, weil sie die Begründung des modernen Museumswesens und damit die heutige Gestaltung und Ausrichtung vor allem von Kunstmuseen in Europa, den Vereinigten Staaten und mittelbar auch weltweit maßgeblich beeinflusst hat (konkret etwa durch die einzeilige Hängung von Malerei in möglichst schlichten, tendenziell hell oder weiß gestrichenen Museumsräumen, die räumliche Unterteilung in historische Epochen und Stile, in der verschiedene Genres wie Skulptur, Zeichnung und Malerei gemeinsam präsentiert wurden). Die Museumsreform Bodes bildet bis heute den Ausgangspunkt für Aufgaben und Organisation vieler Museen in Deutschland.
 
Es gibt in Deutschland sehr große Museumskomplexe von Weltrang wie in Dresden, Berlin oder München, die mehrere Museen an verschiedenen Standorten vereinen und deren Sammlungen zum Teil sehr alt sind. Sie haben ihre Wurzeln zuweilen in den Kunstkammern aus der Zeit des Feudalismus (in Dresden etwa das „Grüne Gewölbe“ aus dem 16. Jahrhundert) und gliedern sich heute in zahlreiche museale Fachbereiche: von der Skulptur der europäischen Antike bis zur Gegenwartskunst, vom Kunsthandwerk über ethnologische und naturkundliche Sammlungen, Buchkunst, Münzen, Musikinstrumente bis hin zu technischen Innovationen. Durch die eingangs erwähnte Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert finden sich heute gerade auch in vielen kleineren Städten erstaunlich große Kunstsammlungen. Ebenso gibt große historische Museen (wie das Haus der Geschichte in Bonn), bedeutende Künstlermuseen, die auf Stiftungen einzelner Künstler zurückgehen (wie das Lenbachhaus in München); es gibt Kunsthallen ganz ohne eigene Sammlung, es gibt Privatmuseen von Firmen oder Sammlern mit nur einer einzigen, privaten Sammlung; es gibt zahllose kleine Spezialmuseen und es gibt zahlreiche große Gedenkstätten insbesondere zur Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus.
 
Die schiere Fülle dieser Institutionen ist schwer zu überschauen. Da sich Deutschland nach wie vor nicht als ein zentralistischer, sondern als föderaler Staat versteht, gibt es auch nicht das eine Zentrum, in dem sich die repräsentativen kulturellen Institutionen allein versammeln – auch wenn die Hauptstadt Berlin vielfach auch als die „Kunsthauptstadt“ Deutschlands bezeichnet wird. Bei genauerem Hinsehen lassen sich insgesamt vier Zentren der Museumslandschaft unterscheiden, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als besonders repräsentativ für die deutsche Museumskultur gelten. Sie alle verfügen über Sammlungen von Weltrang – zugleich soll diese Aufzählung keinesfalls die Qualität anderer großer Standorte relativieren, die ebenfalls über einzigartige kulturelle Besitztümer verfügen.
 
Diese vier Museumszentren sind:
 
– Das Rheinland mit seinen beiden Hauptstandorten Köln und Düsseldorf, wo sich insbesondere seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unstreitig das Zentrum für die Gegenwartskunst für Westdeutschland befindet. Die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf galten mit ihrem Bestand an moderner und Gegenwartskunst seit den 1950er Jahren als eine „Nationalgalerie“ Westdeutschlands. In Köln findet alljährlich mit der Kunstmesse art cologne die älteste und zugleich wichtigste Kunstmesse Deutschlands statt. Die Düsseldorfer Kunstakademie gehört seit den 1950er Jahren zu den einflussreichsten Ausbildungsstätten für Künstlerinnen und Künstler in Europa.
– Mit seinen allein über 170 Museen und über 400 Kunstgalerien und den zahllosen dort lebenden Künstlerinnen und Künstlern gilt Berlin seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 mit seinen aus Ost- und Westteil der Stadt zusammengefügten Staatlichen Museen als die Kunsthauptstadt Deutschlands.
– Die Staatlichen Museen und Sammlungen in München und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die mit ihren großen Museumskonglomeraten Universalmuseen gebildet haben, gehen teilweise auf jahrhundertealten Adelsbesitz zurück und vereinen Kunstwerke, Kunsthandwerk, ethnologische und Spezialsammlungen von der Antike bis zur Gegenwart. 
 
 
 
II. Museen im Umbruch
 
Die Museumslandschaft in Deutschland ist heute international vernetzt, etwa unter den Richtlinien des Internationalen Museumsrates (ICOM). Schon wegen dieser internationalen Abstimmung musealer Zusammenarbeit lässt sich heute kaum noch im nationalen Sinn des Wortes von „deutschen“ Museen sprechen. Gerade größere Museen sind heute vielfach abhängig von international agierenden Sponsoren und institutionellen Kooperationen weit über Europa hinaus. Dennoch ist das Erbe der nationalen Bestimmung von Museen im Selbstverständnis vieler Häuser nach wie vor dominant.
 
Dies zu betonen, ist angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen der Museen notwendig. Denn das Selbstverständnis der Museen steht vor einem historischen Umbruch – nicht allein in Deutschland; in Deutschland jedoch wirken sich die Debatten um das koloniale Erbe vieler Sammlungen auf besondere Weise aus.
Ende April 2021 beschloss eine Kommission aus den wichtigsten deutschen Museumsinstitutionen, dass ethnologische Objekte, die sogenannten Benin-Bronzen, aus den musealen Sammlungen in ganz Deutschland an ihr Ursprungsland, das Königreich Benin im heutigen Nigeria, zurückgegeben werden. Allein im Berliner Humboldt-Forum gibt es rund 440 dieser alten afrikanischen Bronzeskulpturen, die während einer britischen „Strafaktion“ aus der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert dem Königreich Benin geraubt und dann über England auf dem europäischen Kunstmarkt verkauft wurden.
Dass nach einer jahrzehntelangen Debatte nun zumindest aus Deutschland die Rückgabe erfolgen soll, ist ein historischer Schritt – nicht nur, weil damit ein zentraler internationaler Streitfall zu einem guten Abschluss kommt. Tatsächlich ist damit das 250 Jahre alte Selbstverständnis des Sammelns, Aufbewahrens und Ausstellens in den deutschen Museen radikal in Frage gestellt.
Folgerichtig ist die Verunsicherung an den ethnologischen Museen groß, die sich fragen: Welche Objekte werden Museen überhaupt behalten? Werden künftig nur noch Kopien ausgestellt werden können? Die Aura des Originals gehört spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den großen Konstanten der europäischen Museumsarbeit, um das Publikum mit immer neuen Einzigartigkeiten anzuziehen. Ein Museum, das nur Kopien zeigt, droht seine Bedeutung, seinen Rang einzubüßen.
 
Dieser Umbruch betrifft nicht allein ethnologische oder naturkundliche Sammlungen, die ihre Objekte einst möglicherweise direkt aus Kolonialgebieten bezogen haben. Auch Kunstmuseen sind bereits dazu übergegangen, ihre Bestände hinsichtlich eines einseitig eurozentrisch ausgerichteten Forschungsauftrages zu hinterfragen. In der Praxis besteht in Deutschland zwar ein großes Interesse an interdisziplinären Kooperationen zwischen verschiedenen Forschungsbereichen. Die Erforschung außereuropäischer Einflüsse auf die europäische Kunstgeschichte steht jedoch noch am Anfang. In Museen für moderne und Gegenwartskunst werden diese Debatten schon länger geführt. Der Kurator Okwui Enwezor hat während seiner Leitung des Hauses der Kunst in München (2011-2018) mehrere bahnbrechende Ausstellungs- und Diskursformate in Deutschland eingeführt, ebenso als Leiter der documenta 11 (2002) in Kassel. Doch verfügen die hiesigen Institutionen für Gegenwartskunst bislang noch über wenig Expertise zu nicht-europäischer Kunst und Kultur.
 
Alles, was im Folgenden zur gegenwärtigen Situation und Arbeitsweise der Museen in Deutschland gesagt werden kann, steht somit aus heutiger Sicht unter Vorbehalt tiefgreifender Reformen in den nächsten Jahren.
 
 
 
III. Die Museen und das Gemeinwohl: Eine Hamburger Anekdote
 
Die aktuellen Abhängigkeiten und Arbeitsweisen von staatlichen Museen in Deutschland vermag am ehesten vielleicht eine Anekdote zu verdeutlichen. Sie bezieht sich auf Ereignisse in Hamburg im Jahr 2010 - zu einer Zeit, da die Folgen der internationalen Finanzkrise gerade auch für Kulturinstitutionen in Deutschland schmerzhaft spürbar wurden.
 
[Siehe Bild oben.]
 
Die Hamburger Kunsthalle, die auf dieser Aufnahme zu sehen ist, ist ein im 19. Jahrhundert von Kaufleuten der Stadt gegründetes Kunstmuseum, dessen Sammlung nach und nach erweitert wurde – je mehr Kunstwerke von den wohlhabenden Bürgerinnen und Bürgern, die sich in einem Kunstverein organisiert hatten, gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, desto mehr wuchs auch die Kunsthalle an. Die Erweiterungen lassen sich an der uneinheitlichen Architektur des Gebäudeensembles gut nachvollziehen: Der rote Backsteinbau in der Mitte des Gebäudekomplexes ist der Ursprungsbau der Kunsthalle und stammt aus dem Jahr 1869; der graue Erweiterungsbau vorn rechts stammt aus den Jahren 1909 bis 1921, und im Hintergrund links befindet sich der kubische Neubau für die Gegenwartskunst  aus dem Jahr 1997. Solche Bürgermuseen entstanden im 19. Jahrhundert überall in Europa, besonders viele aber in Deutschland, oft im Zusammenhang mit Kunstvereinen, deren Mitglieder Kunst aller Epochen, gern aber auch zeitgenössische Kunst sammelten, die sich im allgemeinen Geschmack noch nicht durchgesetzt hatte. Die architektonische Aufteilung der Hamburger Kunsthalle entspricht damit auch dem Anwachsen des Sammlungsbestandes um immer neue künstlerische Zeitgenoss*innenschaften.
 
Im Jahr 2010 nun gab der Senat der Stadt Hamburg bekannt, dass der im Jahr 1997 errichtete Neubau der Kunsthalle für ein halbes Jahr geschlossen und alle Ausstellungen abgesagt werden müssten. Dies geschehe aus Sicherheitsgründen, weil Brandschutzklappen, mit denen das Übergreifen eines Feuers auf die Kunstkabinette verhindert werden soll, defekt seien und ausgetauscht werden müssten.
Diese plötzliche Ankündigung kam vielen Kennerinnen und Kennern der Kunsthalle damals sehr merkwürdig vor. Noch merkwürdiger war, dass der damalige Direktor der Kunsthalle, Hubertus Gaßner, bei der Ankündigung der Schließung gar nicht in Hamburg zugegen war. Er befand sich im Urlaub. Dort riefen ihn mehrere Zeitungsredaktionen an und bekamen daraufhin vom Kunsthallen-Direktor eine völlig andere Geschichte zu hören. Gaßner sagte:
             
„Wir haben von der Finanzbehörde die Auflage bekommen, dass wir das Jahr ohne Defizite abschließen müssen. Um das zu schaffen, müssen wir 220.000 Euro einsparen. Da Sponsoren grundsätzlich nur in Ausstellungs-Projekte investieren und nicht die Kosten für Sicherheitspersonal, Reinigungskräfte und Energie, Heizung und Klimaanlage, gibt es nur durch die Schließung die Möglichkeit, das Geld einzusparen.“
(Nach einem Telefonprotokoll in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai 2010.)
 
So entwickelte sich aus der Schließung des Neubaus der Hamburger Kunsthalle ein Skandal, nicht nur deshalb, weil offenbar wurde, dass der Hamburger Senat öffentlich bei seiner Begründung für die Schließung geschwindelt hatte, sondern auch, weil die Stadtregierung der reichen Handelsstadt Hamburg offenkundig nicht einmal mehr in der Lage war, die laufenden Kosten des Museums von 200.000 Euro zu tragen. Da sich zu dieser Zeit der Staat ohnehin schon mehr und mehr aus der Finanzierung der öffentlichen Museen zurückgezogen hatte, fragten sich viele Kommentatorinnen und Kommentatoren, ob nun wohl das Ende der staatlichen Museen in Deutschland bevorstehe.
 
Auch wenn diese Befürchtung nicht eingetroffen ist: Auch heute wird aufgrund der Corona-Krise in Deutschland gelegentlich darüber diskutiert, ob sich der Staat seine Museen mit ihren riesigen Kunstsammlungen noch leisten kann.
Dass überhaupt regelmäßig darüber diskutiert wird, hat mit dem Gedanken des Gemeinwohls zu tun, an dem sich die staatlichen Museen orientieren.
Das heißt zum einen:
 
– Die Sammlungen sind öffentliches Eigentum, nicht Eigentum des Museums oder einer Regierung. 
– Der Staat, und auch das gehört zu den Grundsätzen des Gemeinwohls, sichert die Unabhängigkeit der öffentlichen Museen und den Zugang der Öffentlichkeit zu den Museen.

Auch diese Vorstellung vom Gemeinwohl, dem Staat und Museen gleichermaßen verpflichtet sind, hat sich im 19. Jahrhundert herausgebildet. Das ist historisch nicht ganz unproblematisch, denn das, was heute als das Gemeinwohl bezeichnet wird, war zur Zeit des Deutschen Kaiserreiches im 19. Jahrhundert eigentlich ein Instrument politischer Macht.
 
Der preußische Staat setzte die Museen damals (wie es heute in der Wirtschaftssprache heißen würde) als Standortfaktor ein, um Städte attraktiver zu machen und mehr Landbevölkerung zwecks leichterer Verwaltung in die Städte zu ziehen; Museen wurden aber auch zu Erziehungsanstalten für ein breites Publikum, um diesem ein Geschichtsbild von Glanz und der Größe der deutschen Nation zu vermitteln. Das war der Beginn einer säkularen, staatlichen Kulturpolitik, und die Museen waren damit zum ersten Mal tatsächlich Orte der Öffentlichkeit – aber diese Öffentlichkeit war hierarchisch gedacht, von oben herab: paternalistisch, nationalistisch, zuweilen auch rassistisch – in keinem Fall aber demokratisch.
An diesem musealen Leitbild änderte sich auch zunächst in der kurzen Zeit der Demokratisierung während der Weimarer Republik nichts und erst recht nicht während der Zeit des Nationalsozialismus, als die Museen für die Ideologie der Diktatur missbraucht wurden.
 
Weil die Museen lange für die Legitimation autoritärer Herrschaft instrumentalisiert wurden, ist die Öffentlichkeit in Deutschland heute besonders aufmerksam, was das Verhältnis von Staat und Kultur, von Staat und Museen anbelangt.
Dass heute der Staat die Museen in ihrer Unabhängigkeit im Sinn des Gemeinwohls schützt und finanziert, ohne inhaltlich hineinzureden, ist ein schöner Gedanke und ein hohes Ideal.
Aber wie dieses Gemeinwohl genau definiert wird in der Museumsarbeit, darüber lässt sich streiten – vor allem, wenn das Geld knapp ist, wie sich an der Anekdote aus Hamburg zeigt.  
 
 
 
IV. Finanzielle Abhängigkeiten, öffentlich – privat
 
Es gibt Museumsdirektorinnen und -direktoren, die ihre Vorgesetzten, also in der Regel den Kulturministerinnen oder -minister eines Bundeslandes, regelmäßig mit hohen Besucher*innenzahlen beglücken. Eine solche Definition von Gemeinwohl ist unübersehbar in den letzten Jahrzehnten auf dem Vormarsch: Ein Museum, dass ein möglichst großes Publikum anzieht, verdient dabei viel Geld und benötigt um so weniger Steuergelder. Diese Definition hat auch einen neuen Idealtypus von Museumsdirektorin/Museumsdirektor hervorgebracht. Bis vor 20 Jahren wurden Kunstmuseen in der Regel von Kunstwissenschaftlerinnen oder -wissenschaftlern geleitet. Heute sind zusätzliche Qualifikationen notwendig, am besten in Rechtswissenschaft oder Wirtschaft. Max Hollein, der mittlerweile international renommierte, ehemalige Direktor des Städel-Museums und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main, verkörperte als einer der Ersten den neuen Idealtypus des Museumsdirektors. Er ist nicht nur Kunsthistoriker, sondern hat auch Betriebswirtschaft studiert und weiß sich zugleich medienwirksam zu inszenieren.
Nicht alle Ausstellungen, die erfolgreich sind, sind dabei notwendigerweise auch gute Ausstellungen. Was die Qualität der Ausstellungen angeht, ob diese eher Schaulust und Klischees bestätigen oder tatsächlich vorgefasste Erwartungen an Kunst und Museen hinterfragen, gehört heute zu den strittigsten Punkten in der Diskussion um das Gemeinwohl in den Museen. Gleichwohl ist die Besucher*innenquote für die meisten Regierungen in den Bundesländern heute das entscheidende Kriterium für die Ausstattung eines Museums mit Geldmitteln.
 
Rein formell hat die Leitung eines Museums Entscheidungsautonomie bei der Festlegung des Ausstellungsprogramms seines Hauses. Tatsächlich aber ist sie abhängig vom Verwaltungsrat des Museums, der die Finanzplanung von der jeweils zuständigen kommunalen, Landes- oder Bundesbehörde absegnen lassen muss. Zudem ist sie abhängig vom Förderverein des Museums und von Sponsoren. Die Finanzierung von Projekten muss oft für Jahre im Voraus geplant und angemeldet werden, in der Regel mit einem Vorlauf von ungefähr 2 Jahren.
 
Das führt oft zu Unmut, weil gerade Museen für Gegenwartskunst etwas flexibler sein sollten. Wirklich flexibel können jedoch vor allem Kunsthallen ohne eigene Sammlung entscheiden – oder private Museen. In Hamburg hat der Senat versucht, die Museen selbstständiger und schneller in ihren Entscheidungen zu machen, indem er sie in eine öffentliche Stiftung überführt, durch die die staatlichen Gelder für Projekte sofort zur Verfügung stehen. Tatsächlich ließ sich die Ausstellungsplanung beschleunigen. Zugleich aber war das Geld auch schneller aufgebraucht – was bei unvorhergesehenen Ereignissen (wie der Finanzkrise von 2008/09) dazu führen kann, dass Museen plötzlich nicht einmal mehr ihre laufenden Kosten aufbringen können, wie am Hamburger Beispiel geschildert.
 
Privatmuseen haben es scheinbar leichter. Sie sind, sofern sie Wechselausstellungen anbieten, in der Regel finanziell besser ausgestattet, keinem Kulturministerium gegenüber verantwortlich und schneller und flexibler in ihrer Planung. Sie können auch unkomplizierter mit der Frage nach dem Gemeinwohl umgehen, weil es allein schon als wohltätig gelten kann, dass eine Sammlerin oder ein Sammler, anstatt seine Kollektion auf dem Kunstmarkt zu verkaufen, sie der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Privatmuseum kann grundsätzlich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage entscheiden: Alles, was Eigentümer*innen und Publikum interessiert, dient dem Gemeinwohl. Einige Privatmuseen wie das Museum Barberini in Potsdam, das dem Milliardär Hasso Plattner gehört, das Museum Frieder Burda in Baden-Baden oder die Sammlung Würth (mit mehreren Standorten) gehören mittlerweile zu den bekanntesten Kunstmuseen in Deutschland, und sie unterscheiden sich in Umfang und Qualität ihrer Ausstellungen auch kaum mehr von Staatlichen Häusern.
Das ist auch ihr Anspruch: Sie wollen sich an den Standards der traditionellen staatlichen Sammlungen messen lassen, und sie kooperieren vielfach auch mit großen staatlichen Museen weltweit. Je mehr sie das tun, je mehr sie auch am internationalen Leihverkehr teilnehmen, desto mehr geraten sie allerdings ebenfalls in die langfristigen Planungszyklen und administrativen Regeln der großen staatlichen Museen, insbesondere bei Kooperationen mit ausländischen Institutionen. Persönliche Kontakte können die mitunter schwierigen politischen Beziehungen zwischen Staaten überbrücken und erstaunliche Ergebnisse zeitigen. Manchmal sind es auch gerade kleinere private Institutionen – etwa die sehr ambitionierte Berliner Fotogalerie C/O Berlin oder das Bucerius Kunstforum in Hamburg, die immer wieder ambitionierte Ausstellungen auf internationalem Niveau zeigen.
 
Es gibt weiterhin auch bedeutende Sammlerinnen und Sammler, die gar kein Interesse an der Errichtung eines eigenen Museums haben, sondern bewusst den Kontakt zu den staatlichen Museen suchen. Erika Hoffmann, eine der wichtigsten Sammlerinnen für Gegenwartskunst in Deutschland, hat vor wenigen Jahren ihre Kollektion von etwa 1200 Werken an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geschenkt. Als ihre Motivation gibt sie an, dass der Bau eines eigenen Privatmuseums nur dazu führe, dass ihre Sammlung immer isoliert bleibe. Wirklich lebendig könne die Kunst aber nur im permanenten Austausch mit immer neuen anderen Werken sein.
Einige staatliche Museen, wie etwa in Berlin, haben sich regelrecht darauf spezialisiert, private Sammlungen zu sammeln. Das Museum Berggruen, das organisatorisch zur Berliner Nationalgalerie gehört, oder das Museum Brandhorst, das den Staatlichen Sammlungen in München angegliedert ist, beherbergen große private Sammlungskonvolute in Häusern, die privat gestiftet, aber von staatlichen Einrichtungen getragen werden. Aber anders als etwa in den Vereinigten Staaten ist es in Deutschland noch immer unüblich, dass private Sponsor*innen und Sammler*innen über das Programm eines staatlichen Museums mitbestimmen oder einen Sitz im Museumsbeirat erhalten. Nach wie vor sind daher viele von Privatpersonen an staatliche Museen gestiftete Objekte Dauerleihgaben und keine Schenkungen.
 
 
 
V. Persönliche Kontakte als Motor internationaler Vernetzung
 
Abschließend sei ein Beispiel für internationale Vernetzungen von Museen genannt, das zeigt, wie auch bei schwierigen politischen Rahmenbedingungen bedeutende transnationale Kooperationen realisiert werden können. Der deutsch-russische Museumsdialog wurde seit seiner Gründung im Jahr 2005 eigentlich als ein offizielles Forum zur Klärung von Fragen rund um die Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Durch die wechselseitigen Besuche ergaben sich aber zunehmend informelle, fachliche Kontakte unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der verschiedenen Häuser. Gerade durch diese informellen Kontakte sind zahlreiche gemeinsame Ausstellungen entstanden, die die durch den Kalten Krieg fast vergessene Erinnerung an das gemeinsame Erbe der Moderne wiederherstellen. Auch in politisch angespannten Zeiten, wenn, wie derzeit zwischen Russland und Deutschland, der offizielle Dialog nahezu zum Erliegen gekommen ist, können aufgrund dieser bestehenden persönlichen Netzwerke gemeinsame Projekte realisiert werden – wie die im April 2021 in der Tretjakow-Galerie eröffnete, große Ausstellung zur Malerei der Romantik in Russland und Deutschland, die im Wesentlichen auf eine gemeinsame Idee der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, und Zelfira Trigulowa, der Direktorin der Tretjakow-Galerie zurückgeht.
 
Vielfach werden solche internationalen Kooperationen mittlerweile mit dem Schlagwort des Shared Heritage („Geteiltes Erbe“) gekennzeichnet. Doch dieser Begriff kann in manchen Zusammenhängen durchaus problematisch sein, insbesondere im postkolonialen Diskurs, wenn beide Seiten völlig unterschiedliche Vorstellungen von Besitz und Umgang mit strittigen Kulturgütern haben.
Für die Kooperation deutscher mit osteuropäischen Museen ergibt der Begriff des Shared Heritage jedoch Sinn, wie sich auch an dem erwähnten Projekt zur Romantik zwischen Dresden und Moskau zeigt: Denn zwischen Ost- und Westeuropa existiert ein Jahrhunderte altes, geteiltes Erbe, das nach den kulturellen Verwüstungen des 20. Jahrhunderts jedoch erst wiederbelebt werden muss. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Zeuge dieses allmählich wachsenden Bewusstseins für dieses gemeinsame kulturelle Erbe zu sein, des Enthusiasmus, mit dem jenseits aller bürokratischen oder auch politischen Hemmnisse die Institutionen und ihre Mitarbeiter*innen die gemeinsamen Projekte entwickeln, teilweise unter persönlichen Risiken, ist berührend und außerordentlich bereichernd für beide Seiten.
 
In den Jahren vor dem Ausbruch der Covid19-Pandemie war ein beständig wachsender kultureller Austausch auch zwischen China und Deutschland zu beobachten. Vor allem junge Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren pendelten zwischen beiden Ländern hin und her. Neue Ausstellungsorte sind entstanden wie das Times Art Center in Berlin. In diesen Jahren gehörten Lehrtätigkeiten von deutschen Kuratorinnen und Kuratoren an Kunstakademien in China, Shanghai oder Hongkong fast schon zur Normalität. Ebenso bewarben sich zunehmend chinesische Kunststudentinnen und -studenten an Kunstakademien in Deutschland.
Nach Überwindung der Pandemie werden diese persönlichen, informellen Netzwerke und Kooperationen allen möglicherweise hemmenden politischen Entwicklungen zum Trotz weiter wachsen. 

Top