Interview
„Dialog bedeutet nicht, andere um jeden Preis von der eigenen Meinung zu überzeugen“

Milan Zvada ist Programmmacher und Dramaturg am unabhängigen Kulturzentrum Záhrada in der slowakischen Stadt Banská Bystrica. Das Zentrum hat Erfahrung in der Kulturproduktion unter politisch schwierigen Bedingungen – Banská Bystrica hatte über die letzten 5 Jahre einen rechtsextremen Gouverneur. Als Partner des Goethe-Instituts in Bratislava wird Zvada bei seinem Engagement für Freiraum auf das setzen, was Záhrada ausmacht: mit den Mitteln der Kultur Minderheiten stärken, mit Offenheit und Respekt Stimmen aus der Zivilgesellschaft hörbar machen.

Sie arbeiten für die Nichtregierungsorganisation Záhrada im slowakischen Banská Bystrica. Was genau macht Záhrada?
 
‚Záhrada‘ heißt auf Deutsch ‚Garten‘. Es ist ein unabhängiges Kulturzentrum, das 2010 von Studentinnen und Studenten, von Künstlern und Freiwilligen aus Banská Bystrica gegründet wurde. Wir haben ein altes, verlassenes Gebäude hergerichtet und es zu einem Veranstaltungsort für die Ausstellung und Produktion zeitgenössischer Kunst gemacht.
 
Was genau findet in Záhrada statt?
 
Wir organisieren pro Jahr über 200 Veranstaltungen. Theateraufführungen gehören ebenso dazu wie Tanz und Musik. Bei uns finden Workshops und Seminare statt, aber auch öffentliche Diskussionen zu den Themen Zivilgesellschaft und Demokratie.
 
Die Slowakei gehört zu jenen Ländern, in denen der Einfluss von Nationalisten immer größer wird. Banská Bytrica gehört sogar zu jenen Regionen, in denen die Nationalisten an die Macht gekommen sind. Was bedeutet das für Záhrada?
 
Die Slowakei ist in acht selbstverwaltete Regionen unterteilt. Unsere Region ist leider dadurch bekannt geworden, dass sie fünf Jahre lang von einem rechtsextremen Gouverneur regiert wurde. Er wurde demokratisch gewählt. Als Kulturmanager*innen und Aktivist*innen haben wir mit dem Programm, das wir machen, darauf reagiert. Zusätzlich zu unseren normalen künstlerischen Aktivitäten haben wir Happenings, öffentliche Diskussionen und Ausstellungen organisiert, die sich mit unserem gestiegenen Bewusstsein für die Gefahr durch Neonazis beschäftigten. Wir haben Hate Speech den Kampf angesagt, genauso wie der Anti-EU- und der Anti-Nato-Rhetorik und der Herabwürdigung von Minderheiten wie Roma, Ausländern oder der LGBTI-Community.
 
Haben Sie Unterstützung von anderen Organisationen bekommen?
 
Wir arbeiten eng mit dem „Center for Community Organizing“ und seiner zivilgesellschaftlichen Plattform „Not In Our Town” zusammen. Dort gibt es Präventions- und Deradikalisierungsprogramme. Als Veranstaltungsort bieten wir natürlich organisatorische und technische Unterstützung für Kampagnen und Events an. Unser Ziel ist es, die Stimmen von marginalisierten Communitys und Zivilgesellschaft zu stärken, um gemeinsame Werte und Menschenrechte zu schützen.
 
Wie homogen ist die nationalistische Szene in der Slowakei?
 
Als Erstes sollten wir uns im Klaren darüber sein, dass es nicht ganz so einfach ist, jemanden als ‚Nationalisten‘ zu bezeichnen. Wie man das definiert, hängt auch vom Land und der Region ab. Der Begriff ‚Nationalist‘ kann für unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen haben – da ist auch viel Emotionalität im Spiel. Die Personen bzw. Gruppen, die wir als ‚Nationalisten‘ bezeichnen, sind ebenso schwer zu definieren. Allerdings haben sie einiges gemeinsam, etwa ihre Rhetorik oder bestimmte Meinungen. Meistens sind sie euroskeptisch, fremdenfeindlich, politisch rechts außen, manchmal sogar konspirativ. Und dennoch sind sie intelligent, gebildet. Diese Leute können unsere Nachbarn sein, zur Familie gehören, sie sind Lehrer*innen oder Verkäufer*innen. Und auch sie kommen zu unseren Veranstaltungen.
 
Welche Erwartungen haben Sie an einen Dialog mit diesen Menschen? Soll man wirklich mit Rechten reden? Diese Frage ist gleichzeitig auch das Thema von Freiraum in Stockholm.
 
Záhrada hat als Organisation keine klar definierte Strategie, wenn es darum geht, ob man mit ‚Nationalisten‘ reden soll oder nicht. Wir sind eine offene Plattform für allerlei Begegnungen. Aber wenn der Dialog höflich ist und die Gesprächspartner*innen respektvoll miteinander umgehen, gibt es keinen Grund, ein solches Gespräch zu verteufeln. Es ist allerdings wichtig, die entsprechenden Fähigkeiten und Informationen zu haben, um ein solches Gespräch führen zu können.
 
Und Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema?
 
Ich glaube, es sollte nicht das Ziel eines solchen Dialogs sein, Leute mit einer anderen Meinung um jeden Preis von der eigenen Meinung zu überzeugen. Es reicht schon aus, zuzuhören und die anderen sprechen zu lassen. Man kann den Verlauf eines solchen Gesprächs nie voraussagen, also ist es immer den Versuch wert. Wir glauben, dass manchmal nur ein kleiner Satz oder ein Wort genügen, um auf lange Sicht eine Meinungsänderung oder eine Verschiebung der Ansichten auszulösen.
 
Wie ist die politische Situation in Banská Bystrica aktuell?
 
Im November 2017 gab es einen politischen Wechsel. Der unrühmliche Gouverneur wurde durch den unabhängigen demokratischen Kandidaten Ján Lunter ersetzt. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Aktivitäten einstellen. Es gibt weiterhin Propaganda im Netz, die die demokratischen Werte untergraben soll und Desinformation betreibt, die Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreitet. Auf der anderen Seite ist es sehr schwer, die öffentliche Meinung zu steuern und den virtuellen Raum zu kontrollieren, ohne dabei selbst grundlegende Bürger- und Freiheitsrechte zu beschränken oder sich dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt zu sehen.
 
In Warschau wurde Ihre Organisation mit Athen als Tandemstadt zusammengelost. Sie und Ihre Athener Partner haben sich bereits in Warschau kennengelernt. Konnten Sie fruchtbare Gespräche führen?
 
Auf jeden Fall. Ohne jetzt esoterisch klingen zu wollen: Es war fast so etwas wie ein schicksalhaftes Treffen. Sowohl wir als auch die Athener „Temporary Academy of the Arts (PAT)“, die von Elpida Karaba 2013 mitbegründet wurde und noch geleitet wird, haben große Lust, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Auch Juliane Stegner, die Programmleiterin Südost des Goethe-Instituts in Athen, ist ein wunderbarer, fröhlicher Mensch, mit dem die Zusammenarbeit Spaß macht, gleichzeitig ist sie sehr ernsthaft bei der Sache. Wir haben uns in Warschau gegenseitig Bilder unserer alltäglichen Arbeit gezeigt und einander viel erzählt. Wir freuen uns, Austausch-Workshops für visuelle und Performance-Künstler*innen, für Pädagog*innen und Menschen vor Ort zu organisieren, bei denen es auch Vorträge für Studierende und die Öffentlichkeit geben wird.
 
Die Frage aus Banská Bystrica lautete: „Wie können wir die öffentliche Debatte über Grenzen, Freiheit und Demokratie effektiver beeinflussen?” Was für eine Art von Antwort erwarten Sie von Ihrem Partner aus Athen?
 
Das ist eine nicht ganz einfache Frage. Auf jeden Fall erhoffen wir uns Inspiration und mehr Wissen über uns selbst, von dem wir in unserer Arbeit profitieren können. Auch mehr Bewusstsein für Respekt und Toleranz, wenn wir über bestimmte Themen sprechen. Ganz praktisch geht es uns aber auch darum, neue Formate zu entwickeln, mit denen wir das Publikum in unserem Kunstzentrum einbinden können, unter anderem: Wie kriegen wir die Bürger*innen zu einer öffentlichen Debatte jenseits der Institutionen? Wie können wir sie mit den Widersprüchen und Gefahren des politischen, medialen und ideologischen Umgangs mit der Wirklichkeit vertraut machen? Unsere Partner haben viel Erfahrung im Umgang mit dem Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Raum, mit Kunst jenseits der Institutionen und mit der pädagogischen Praxis. Daran würden wir gerne anknüpfen.
 
Wie sieht der Zeitplan der Zusammenarbeit zwischen Banská Bystrica und Athen aus?
 
Wir planen einen einwöchigen Aufenthalt in Athen im Mai. Das ist für uns wichtig, wir wollen den städtischen Kontext dort kennenlernen, um uns auf unsere Vorträge im Herbst in der Slowakei vorzubereiten. Natürlich wird es in der Folge auch weitere Aktivitäten wie Ausstellungen und Workshops geben, aber das hängt auch vom Enthusiasmus unserer potentiellen Teilnehmer*innen ab.