Au Coeur de la Littérature
„La démocratie contre la république“ von Ndongo Samba Sylla
Die „Goethe-Arena“ war Empfangsort für einen der wichtigsten Kämpfe der letzten Jahre, d.h. der Kampf der Demokratie gegen die Republik. In diesem traditionellen Saal Weimar, wo „Au Cœur de la Littérature“ jeden Monat stattfindet, hatten sich Literaturfans verabredet.
Eine Slam-Performance in Prosa-Form seitens von Kemit bildete den Auftakt zu der Veranstaltung. Sein Auftritt verschaffte dem Publikum einen Überblick über die wichtigsten Kapitel des Werkes La Démocratie contre la République von Ndongo Samba Sylla. Der Autor, der sich zwischen den Moderatoren Bouya Fall und Oumar Ndiaye ganz bequem gemacht hatte, zeichnete sich bei seinen Stellungnahmen durch eine außergewöhnliche Gelassenheit und eine sehr gute Beherrschung seines Themas aus. Als Dr. in Entwicklungspolitik und ehemaliger technischer Berater vom Expräsidenten Abdoulaye Wade kann der mehrfache Scrabble-Weltmeister Ndongo Samba Sylla neidisch machen, aber hinter diesem Menschen steckt eine unbeschreibliche Bescheidenheit.
La Démocratie contre la République zählt zweifelsohne zu seinen umfangreichsten Werken, aber es ist nicht sein erstes Buch. In der Tat hat er ein Werk über fairen Handel geschrieben und mehrere Werke über z.B. Thomas Sankara, Sozialbewegungen und ein weiteres unter dem Titel Pour une autre Afrique koordiniert. Das Werk des Tages hat 340 Seiten und wurde im Jahre 2015 beim Verlag L'Harmattan herausgegeben.
In diesem umfangreichen Werk hat der Autor vor, die Veränderungen in der Bedeutung des Begriffs Demokratie, der zum ersten Mal vor etwa 2500 Jahren von Herodot schriftlich angewandt wurde, zu erklären. Er macht deutlich, die Griechen hassten Demokratie, und dass sie den Begriff gar nicht erfunden haben. In Wirklichkeit hatten die Philosophen der Antike den Begriff Demokratie immer abgelehnt. Übrigens bedeutet Demos "arme Bürger" und Kratos "nicht Regierung, sondern brutale Gewalt".
Erst vor kurzem ist die Bedeutung des Begriffs geändert worden. Dies betrachtet der Autor als eine "semantische Änderung" ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Wort Demokratie, das weder als Erbe der Griechen, noch des Zeitalters der Aufklärung betrachtet werden kann, und das paradoxerweise kein einziges Mal in der Verfassung der USA und in den ersten Verfassungen Frankreichs nach 1789 erscheint, wurde erst im 20. Jahrhundert mit dem Abendland in Verbindung gebracht.
Ndongos Ansicht nach kann sich jeder Mensch je nach den Realitäten seiner geographischen Lage seine eigene Definition von Demokratie machen, aber wenn es darum geht, das Gemeinwohl zu definieren, ist politische Gleichheit unentbehrlich, damit man von Demokratie reden kann. Eigentlich ist der Titel des Werkes gar nicht provokatorisch, wie manche Leser denken. In der Tat war Aristoteles der Ansicht, man sollte unter drei Staatsformen unterscheiden: Monarchie, die in Tyrannei ausarten kann, Aristokratie, die zu Oligarchie werden kann und Politeia (Republik), d.h. Regierung seitens der Mehrheit. Wenn die Republik dem allgemeinen Interesse nicht mehr dient, wandelt sie sich in Demokratie. Nach Meinung der griechischen Denker war also Demokratie ein unrechtmäßiges Regime, bei dem arme Bürger die Macht hatten.
Nach Auffassung des Autors herrscht heutzutage in keinem Land der Welt Demokratie. Wenn wir uns auf den Staat Senegal beziehen, der oft als Beispiel für Demokratie in Afrika erwähnt wird, behauptet der Autor, dass dieser Staat trotz seiner politischen Stabilität, allein wegen des Präsidialsystems der Machtausübung und wegen der mangelnden wirtschaftlichen Souveränität, nicht als demokratisches Land betrachtet werden kann. "Einer der schwerwiegenden Fehler unserer Länder besteht in der quälenden Vorstellung der westlichen Länder, die viele Leute für demokratisch halten, gleichen zu wollen, obwohl diese Länder es dennoch nicht schaffen, die Souveränität afrikanischer Staaten zu respektieren".
Der Autor meint, Wahlen waren nie Synonym für Demokratie gewesen. Deshalb schlägt er vor, anstelle von Wahlen das System des Auslosens anzuwenden (um beispielsweise verfassungsgebende Versammlungen zu bilden, Gemeinderäte zu wählen usw.), das ein Werkzeug ist, das seiner Meinung nach ermöglichen kann, das Gleichheitssystem zu formalisieren. Der Ausdruck demokratische Wahl ist ein Oxymoron. Genauso wie Abraham Lincoln ist Ndongo fest überzeugt, dass: "Man ein ganzes Volk nur eine Zeitlang betrügen [kann]". Er erklärt, dass ein wahrer Intellektueller wissbegierig sein soll und dass er über sein Fachwissen hinaus denken muss.
Danach ergriff der Literaturkritiker Placide Mandona das Wort. Nach Herzenslust machte er seine Kritik, indem er das Werk Kapitel für Kapitel analysierte und dabei einen besonderen Akzent auf die Polemik bezüglich des Ursprungs des Wortes "Demokratie" legte. Bevor er zum Schluss kam, sagte er, dass dieses Buch, das mit sehr viel Geschicklichkeit und vielen Vergleichen, die ab und zu provokatorisch klingen, geschrieben ist, sehr wichtig ist. Es ist ein wesentlicher Beitrag zu diesem langen Weg Richtung Demokratie.
In der Folge hatte das Publikum das Wort. Der Freund des Autors und ehemaliger Scrabble-Weltmeister Arona Gaye meldete sich als erster zu Wort. Nachdem er dem Autor gratuliert hatte, erwähnte er, "dass ein Werk ohne Kritik ein Werk ist, das nicht existiert". Er fügte hinzu, dass "die Größe eines Menschen daran liegt, dass er wie ein Blatt ist, das im Wind weht". Der Schriftsteller Felwine Sarr, der in Wirtschaft promovierte und der das Buch Afrotopia geschrieben hat, ergriff danach das Wort, und nachdem er dem Autor wegen seiner Archäologie der Demokratie gratuliert hatte, erwähnte die Wichtigkeit dieses Werkes, das nicht nur zur grundlegenden Überlegung über dieses ziemlich komplexen Begriffs, sondern vor allem über die Zukunft unserer sog. "demokratischen" Ländern anregt.
Danach stellte der Autor klar, dass wegen der monarchischen Mentalität, die afrikanische Gesellschaften pflegen, gewisse Veränderungen nicht erfolgen. Seiner Auffassung nach ist Republik der moderne Begriff schlechthin. Ohne die Umsetzung souveräner Projekte ist Demokratie in Afrika undenkbar. Mit folgenden Worten schloss er ab: "Wir benötigen Prinzipien, die zum Handeln anregen. Vor dem Kollektivgut müssen alle Menschen gleich sein und Gleichheit muss keinesfalls Gleichgültigkeit bedeuten". Damit ist also Gleichheit in der Verschiedenheit gemeint.