Berufsbild Bibliothekar
Technische Brillanz und soziale Verantwortung
![Bibliothekare gewährleisten eine am Benutzer orientierte Informationsvermittlung. Bibliothekare gewährleisten eine am Benutzer orientierte Informationsvermittlung.](/resources/files/jpg609/73711-formatkey-jpg-w320m.jpg)
Data Librarian, Medienmanager und Integrationsinstanz: Die Aufgaben einer Bibliothekarin oder eines Bibliothekars sind vielfältig wie nie. Kann es bei so unterschiedlichen Ansprüchen noch ein gemeinsames bibliothekarisches Berufsbild geben?
Ein syrisches Mädchen wühlt in Bilderbüchern, bevor der Deutschkurs für ihre Mutter in der Stadtbücherei Ahrensburg beginnt: Die öffentlichen Bibliotheken Deutschlands sind zur wichtigen Integrationsinstanz für Flüchtlinge und Schutzsuchende geworden. Ein chinesischer Germanist ruft im Goethe-Institut Beijing Literaturdatenbanken ab, zu denen deutsche wissenschaftliche Bibliotheken auch ohne Hochschulzugehörigkeit Zugang gewähren: „Free access“ gehört zum technischen und ethischen Berufskanon des Bibliothekars. In Katar baut eine Berliner Bibliotheksdirektorin die Qatar National Library auf: Um das Kulturgut und geistige Erbe einer Nation auch unter schwierigen Bedingungen zu bewahren und mit der digitalen Transformation in die Zukunft zu führen, entwickeln Bibliothekare spezielle Methoden für Datenstrukturen und Informationszugänge. Ein Freundeskreis kämpft um die „offene Bibliothek“, die den 6.000 Einwohnern des Städtchens Glücksburg an der Ostsee intermedialen Zugang auch über die auf zehn Wochenstunden reduzierten Öffnungszeiten ermöglicht: Publikumsnahe bibliothekarische Angebote jenseits der Metropolen zu gewährleisten, gehört ebenfalls zum gültigen Berufsbild.
Die Bibliotheken definieren sich neu
Die Beispiele zeigen: Der Aufgabenbereich einer Bibliothekarin oder eines Bibliothekars orientiert sich an den absehbaren politischen, technischen, demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und möchte sie gleichzeitig positiv beeinflussen. Denn nach den überholten apokalyptischen Bildern vom Ende der Bücher, vom Kampf der analogen gegen die digitalen Speicher, vom Verschwinden offener Treffpunkte der Begegnung mit Wissen und Kultur atmen die Bibliotheken durch und definieren sich neu.
Im Dienst einer offenen Gesellschaft
Wenn die neuen Data Librarians Daten und Dokumente vornehmlich digital auffinden oder aufbereiten, ordnen, strukturieren, erarbeiten sie auch Qualitätsstandards für ihre Kolleginnen und Kollegen „vor Ort“. So dienen nach dem neuen Berufsbild Spezialisierungen wie die Unterstützung von Forschung und Lehre oder Kinder-, Jugend- und Schulbibliotheken einer gemeinsamen bibliothekarischen Zielsetzung: der schrankenlosen, nicht kommerziellen Bereitstellung von analogen wie digitalen Medien für klar definierte Aufgabenbereiche einer offenen Gesellschaft.
Politische Veränderungen lassen keine Stagnation zu
Was als technische Perfektion imponieren mag und als Veröffentlichungspraxis für jeden verstanden werden kann, verlangt Konsequenzen für den unzensierten Informationszugang, faire Copyright-Regeln und eine Neudefinition der Bibliotheken als verantwortungsvolle Datenhersteller, -moderatoren und -coachs. Auch die politischen Veränderungen der letzten Jahre lassen keine Stagnation zu. Die internationale Bibliotheksprogrammatik wurde bisher von angelsächsischen und skandinavischen Vorbildern dominiert. Aber allein die rasante Entwicklung der Schwellenstaaten und die Kriege in Nahost konfrontieren die westlichen Demokratien mit Menschen und Ideologien, deren Vorstellung von Information, Wissen und Kultur anderen Maximen folgt. Die gegenwärtige Ausbildung muss darauf reagieren.
Variationsbreite der Ausbildung
Inhalte stehen ebenso auf dem Prüfstand wie die dem Kulturföderalismus Deutschlands geschuldete Variationsbreite der Ausbildung. Bundesweit existieren drei Levels bibliothekarischer Berufstätigkeit:
- die nach Beamtenstatus geregelte Ausbildung des Höheren Dienstes mit Hochschulabschluss und bibliothekarischer Ausbildungszeit,
- die nach Bachelor- und Master-Studienordnungen geregelten Studiengänge in Universität und Fachhochschulen mit Zugang zu fachbibliothekarischen Arbeitsfeldern und zum gehobenen Dienst in Beamtenarbeitsverhältnissen,
- die duale Ausbildung von Fachangestellten oder Beamten des mittleren Dienstes.
Alte Rechte und neue Chancen
Daneben entdecken immer mehr Studiengänge in den Bereichen IT, Medienwissenschaften, Sozialwissenschaften und Kulturmanagement das Arbeitsfeld Bibliotheken. Viele Bibliotheken beschäftigen bereits ihre Absolventen. Sind IT-Spezialisten für die Aufbereitung von Forschungsdaten nicht mindestens ebenso geeignet wie Absolventen eines fachwissenschaftlichen Studiums mit bibliothekarisch orientierter IT-Kompetenz? Findet der Sozialarbeiter neben der bibliothekarisch versierten Kennerin der Medieninhalte nicht sehr wohl eine Funktion? Wer hier auf alte Rechte pocht, verpasst neue Chancen!
Es ist kein Zufall, dass die IFLA, die Weltorganisation der Bibliotheken und ihrer Beschäftigten, die Ethik des Berufsstandes und die Weiterbildung in den Fokus ihrer Programmatik und Leistungsstandards rückt. Datenbanken, Buchbestände, Experten und atemberaubende Bibliotheksarchitektur bedeuten wenig, wenn sie nicht mit dem Willen und der Fähigkeit zu allgemeiner Wohlfahrt in Freiheit im Einklang stehen.