Becketts ungewöhnliches Mantra
„Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“
Welcher Autor beziehungsweise welche Autorin wird neben Ayn Rand von den businessorientierten Technik-Freaks und den technikverliebten Business-Leuten im Silicon Valley des 21. Jahrhunderts am liebsten als Inspirationsquelle zitiert? Der Name Samuel Beckett fällt einem da vielleicht nicht als erstes ein, es sei denn, man weiß, wo der Ausspruch „besser scheitern“ herkommt. Dieser wird gleich fünf Mal in Becketts Geschichte „Worstward Ho“ aus dem Jahr 1983 erwähnt. Beim ersten Mal heißt es: „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Dieser Grundgedanke scheint genau die in der Welt der Technik-Startups herrschende Mentalität widerzuspiegeln, wo fast jedes Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, aber oftmals in genau diesem Scheitern schon der Grundstein für den zukünftigen Erfolg liegt.
Von Colin Marshall für OPEN CULTURE
Zumindest scheint diese Haltung hier ständig mitzuschwingen. „So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Ausspruch vor allem in der glorifizierten Welt der stets überarbeiteten Startup-Gründer, die ihr Glück gegen alle Widrigkeiten immer wieder versuchen, zum Standard-Mantra geworden ist“, schreibt Andrea Schlottman von Books On The Wall.
„Wir teilen diese Meinung. Allerdings nur bis zu dem Moment, in dem wir auch den Rest lesen.“ Der Absatz, der unmittelbar auf diesen vielzitierten Ausspruch folgt, lautet nämlich folgendermaßen:
Erst der Körper. Nein. Erst der Ort. Erst beides. Jetzt das eine. Jetzt das andere. Übel von dem einen das andere versuchen. Übel von dem zurück von dem Übel. Und so weiter. Irgendwie weiter. Bis man keine Lust mehr hat, weder aufs eine noch aufs andere. Beides in die Höhe werfen. Wo auch nichts ist. Auch davon übel werden. Wieder hochwerfen, dann zurück. Wieder der Körper. Wo keiner ist. Wieder den Ort. Wo keiner ist. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Wieder besser. Oder besser schlimmer. Wieder schlimmer scheitern. Noch schlimmer. Endgültig übel sein. Alles endgültig hinschmeißen. Endgültig gehen. Wo endgültig nichts mehr ist. Gutes und so.
„Endgültig hinschmeißen“ ist mit Sicherheit ein aussagekräftiges Bild, aber wohl keines, das so gut auf die genannten selbstgefälligen Branchen zutrifft wie „besser scheitern“. Letztere Phrase bezeichnet Ned Beauman vom New Enquiry als „Pendant der experimentellen Literatur zu dem berühmten Foto von Che Guevara, das von jeglicher Bedeutung befreit und zu einer erfolgreichen Marke umfunktioniert wurde, die keinem gehört.“ Worstward Ho mag ein schwer zugängliches Werk sein, das nicht eindeutiger interpretiert werden kann, aber wenn wir etwas mit Sicherheit sagen können, dann so viel, dass Becketts Botschaft wohl um einiges tiefsinniger war als „Tu einfach dein Bestes, dann wird am Ende schon alles gut.“
Becketts Worte sind also offenbar längst nicht so optimistisch wie wir dachten, seine Lebensgeschichte dagegen vielleicht schon eher. „Zu der Zeit, als Beckett das Scheitern als Poetik verpackte, hatte er bereits viele künstlerische Fehlschläge hinter sich“, schreibt Chris Power in The Guardian. „Niemand wollt seinen Roman Traum von mehr bis minder schönen Frauen veröffentlichen, und die daraus als Nebenprodukt entstandene Kurzgeschichtensammlung Mehr Prügel als Flügel (1934) war verkaufstechnisch ein absoluter Flop.“ Dennoch gilt Beckett heute auch bei jenen, die nie eine Seite von ihm gelesen haben, ja noch nicht einmal das ganze zum Ausspruch „besser scheitern“ gehörende Zitat kennen, als einer der führenden literarischen Köpfe des 20. Jahrhunderts. Und doch haben wir Grund zur Annahme, dass Beckett selbst sein Werk wohl auf die eine oder andere Weise als Misserfolg gewertet hat. Jeder, der Beckett verehrt, sollte sich dessen bewusst sein und von dieser Tatsache vielleicht sogar inspirieren lassen.
Dieser Artikel wurde von OPEN CULTURE in Auftrag gegeben und dort erstmals veröffentlicht.