Künstliche Intelligenz und Kunst
Diese sieben Künstler erwecken Algorithmen zum Leben
Sie lassen Algorithmen tanzen und hauchen Software Leben ein: Künstler, die mit künstlicher Intelligenz experimentieren, sondieren und verwischen die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Wer die Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ mag, wird diese Künstler lieben.
Treffen Algorithmen bessere Entscheidungen als Menschen, und kann künstliche Intelligenz (KI) eigentlich auch dumm sein? Fragen wie diese werden in den KI-Projekten vieler Kunstschaffender behandelt. Eine aktive Szene an Künstlern im und aus dem deutschsprachigen Raum untersucht das Menschsein im Zeitalter von lernenden Maschinen und Big Data.
Sebastian Schmieg
Hat Ihnen Amazon schon einmal eine Umhängschleife für ein Maschinengewehr als Produktempfehlung angeboten? Die KI, die Sebastian Schmieg in seinem Projekt Other People Also Bought entwickelte, kam recht schnell an diesen Punkt: Beginnend mit dem ersten jemals bei Amazon verkauften Produkt, einem Buch von Douglas Hofstadters, fügte das Script fortlaufend den jeweils nächsten empfohlenen Artikel aus der Liste „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch...“ hinzu. Schmiegs Werke finden das Absurde im Algorithmus und zögern nicht, es weiterzuspinnen. Sein Segmentation.Network spielt über 600.000 animierte Segmente kontinuierlich ab, die für einen von Microsoft entwickeltes Bilderkennungs-Datensatz kreiert wurden. Eine Vielzahl von Mitarbeitern hatte es auf Basis von Flickr-Fotos zusammengestellt. Mithilfe solcher Datensätze „lernen“ Algorithmen, wie unterschiedlich eine Kuh, eine Person oder ein Sofa aussehen – je nach Blickwinkel und Kameraperspektive – und können anschließend beispielsweise eine Kuh auch im Halbprofil richtig erkennen. Das zeigt, wie viel menschlicher Arbeit es bedarf, eine KI zu füttern, bis sie selektive Entscheidungen anstelle der Menschen treffen kann.Florian Egermann
Florian Egermann bezeichnet sich als Künstler, Aktivist und Astronaut. Zumindest bei ersterem ist der Gründer des Netzwerks Failed Artists International sehr erfolgreich. Zuletzt hat der Kölner seine eigene virtuelle Währung eingeführt: Mit dem F€URO kann im Börsenspiel Fear Exchange auf den Kurs verschiedenster Ängste gesetzt werden. Was sorgt für die nächste Panik: Korruption, Überwachung – oder Klimakollaps? Spieler können an der Angstbörse ihr Glück versuchen und so mit ihren Prognosen vielleicht zum „Top Fear Broker“ werden. Frei nach dem Motto: „Don’t conquer fear. Gamble on it.“ („Überwinde nicht die Angst. Spiele mit ihr.“)Was sorgt für die nächste Panik? Im Börsenspiel „Fear Exchange“ von Florian Egermann können User auf den Kurs verschiedenster Ängste setzen. | Foto: © Florian Egermann, „FearExchange“, Web Art, 2017
Matthieu Cherubini
Der Schweizer Matthieu Cherubini lebt in Peking und ist ursprünglich Softwareentwickler. Mittlerweile setzt er seine Coding-Skills jedoch hauptsächlich ein, um aus Einsen und Nullen gesellschaftspolitisch fordernde Kunstprojekte zu erschaffen. Sein Virtual-Reality-Game 35.000 Feet simuliert einen Flug über Syrien. Während sich draußen Drohnen tummeln und an den Fenstern die Ruinen eines Kriegsgebiets vorbeiziehen, hat der Spieler als Passagier die Möglichkeit, sich mit einem In-Flight Hollywoodfilm oder Hochglanzmagazin abzulenken. Wer die Kontraste bemerkt und kommentieren will, kann direkt aus dem Flugzeug einen Tweet versenden. Das Konzept knüpft an Matthieu Cherubinis Projekt Afghan War Diary (2010) an, das virtuelle Tötungen aus dem Spiel Counter Strike via Google Earth auf tatsächliche Kriegsschauplätze in Afghanistan projizierte.
Manu Luksch
Wie ihr Film Dreams Rewired (2015) – eine Kompilation von Utopien über moderne Kommunikationstechnologien – veranschaulicht, üben die wundersamen Effekte neuer Technologien auf die Gesellschaft und das tägliche Leben eine unüberwindbare Faszination auf Manu Luksch aus. So technophob das Werk der Österreicherin in seiner Gesamtheit erscheint, so liebevoll-technophil ist es in seiner Umsetzung. Ihr letzter KI-Streich – die Serie ALGO-RHYTHM – behandelt das Outsourcing von Entscheidungen an die KI, die vielleicht besser von Menschen getroffen werden sollten. Das Rap Musical against Automated Propaganda ist die erste Installation in dieser Reihe von Arbeiten, die ihre Betrachter dazu auffordern, ihr Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Effizienz gegen die Entscheidungsfreiheit abzuwiegen.Egor Kraft
Der von Wien, Moskau und Berlin aus arbeitende Künstler Egor Kraft spielt in seinen interdisziplinären Arbeiten gerne mit der Wahrnehmung der Menschen. Für sein Projekt The New Color kreierte er eine Website, auf der ein nicht-existentes Unternehmen verkündete, eine vollkommen neue Farbe entwickelt zu haben. Besucher der Website scheiterten daran, die Fake-News als solche zu erkennen, und das Projekt entwickelte bald eine Eigendynamik. Täglich kamen Anfragen von Menschen, die endlich die neue Farbe sehen wollten. Ihre E-Mails wurden schließlich gemeinsam mit der Projektdokumentation als Buch veröffentlicht. Mit I Print, Therefore I Am ist Kraft indes eine hochphilosophische Maschineninstallation gelungen. Mit fünf Litern Tinte ermöglichte er es einem umgebauten Drucker, zwei Monate lang kontinuierlich die Maschinenversion von René Descartes’ Ausspruch „Cogito ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) auf eine Papierschleife zu drucken.