Jean Karemera

Porträt von Jean Karemera
© Chris Schwagga für Goethe-Institut Kigali

Jean ​Karemera, ein Künstler, Vater und Großvater. Er stammt ursprünglich aus dem Süden, aber ließ sich nach seinem Exil in Burundi im Osten des Landes nieder. Der Tänzer und Sänger gründete bis vor kurzem mehr als nur eine kulturelle Künstlertruppe.

Wenn das Wort Familie fällt, so sage das alles über sein Leben aus, behauptet er. Von dem Zuhause, in dem man geboren wird, bis hin zu dem Umfeld, in dem man aufwächst: Schule oder lokale kulturelle Truppe – dahinter verbirgt sich das gleiche Konzept, es ist Familie. Umunyarwanda ist das Konzept von Familienleben, das über die Eltern-Kind-Kernfamilie hinausgeht. Es ist zusätzlich ein philosophisches Konzept des Landes sowie von jeder Gruppe, zu der man gehört, in der man aufwächst, durch die man sich selbst findet und die einen zu dem Mann oder der Frau werden lässt, die der Gründung einer eigenen Familie würdig ist.

Ich wuchs in einer behüteten und beschützten Familie auf, die mich zu dem Mann machte, der ich bin. Ich musste bei einer anderen Familie um die Hand des Mädchens werben, das ich zur Frau nehmen und mit dem ich meine eigene Familie gründen wollte. Alleine, ohne die Unterstützung meiner Familie, wäre ich niemals in der Lage gewesen, das Vertrauen meiner Schwiegerfamilie zu gewinnen. Als ich meine Verlobte traf, wollten wir heiraten, doch unser Schicksal lag in den Händen unserer Familien. Meine Familie musste mir ihren Segen geben, nachdem sich die Familie meiner Frau eines Familienverbunds als würdig erwiesen hatte. Auch die Familie meiner Frau musste unserer das gleiche Vertrauen entgegenbringen und sie für würdig erklären. Die Familie spendet Leben, Respekt sowie das Vertrauen der anderen und letztlich ist es die Familie, die es einem ermöglicht, seine eigene Familie zu gründen. Den Sinn des Lebens macht die Familie aus.

Einen Großteil meines Lebens verbrachte ich mit einer Familie, die während des ersten Tutsi-Massakers Ende der 50er Jahre im Exil leben musste. Wir mussten zusammenhalten und ich habe während unseres Exils hart gearbeitet. Ich wollte die Anerkennung und den Respekt meiner Eltern verdienen. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich als Mann gesehen. Für die Familie, in die ich geboren wurde, hütete ich unter anderem die wenigen Kühe, die mein Vater retten konnte. Viele von ihnen wurden uns auf der Flucht gewaltsam entwendet. Dann war es mir ein Anliegen, die gerette Herde zu vergrößern. Von den ersten Nachkömmlingen gab ich eine Kuh meiner Mutter und eine meinem Vater. Durch diese Geste wollte ich ihnen meine Ehre erweisen und ihnen zeigen, dass ihr Sohn zum Mann geworden war.

Als ich später meine eigene Familie gründete, wollte ich diese zum Teil meiner ursprünglichen Familie machen, als weiteres Glied einer Kette, die immer größer und stärker werden sollte. Ich liebe und respektiere meine Familie sehr, aber diese Wertvorstellung habe ich von meiner ursprünglichen Familie übernommen. Mein Vater und meine Mutter respektierten einander. Diesen Wert nähre ich auch in meiner eigenen Familie. Ein Mann und seine Frau müssen sich gegenseitig respektieren, einander um Rat fragen und einander Rat erteilen, wenn es um Entscheidungen geht, welche die Familie betreffen. Die Liebe zueinander und für ihre Kinder macht das Leben einfacher und natürlicher.

Ich respektiere und liebe mein Land sehr. Es ist wie eine Familie, und die Menschen, die uns führen, haben den gleichen Sinn für Familie. Deshalb wurden wir nach unserer Rückkehr aus dem Exil gebeten, auf unser Hab und Gut zu verzichten, das unsere Familien auf ihrer Flucht in Ruanda zurückgelassen hatten. Sie verlangten von uns auch, unsere ethnische Zugehörigkeit zu leugnen, sodass wir als Menschen einer Familie wieder zueinander finden würden. Ruanda ist unser Mutterland, und das erfordert von uns allen Entsagungen und Opfer.

Im Exil in Burundi setzten wir unsere kulturellen Praktiken fort, wie z. B. singen und tanzen. Als der Krieg der RPF startete, mobilsierten wir uns mit unseren Liedern. Aber es ist wichtig, dass unsere Lieder nicht von Hass handelten, wie es auf Seite der Regierung üblich war. Als wir in Ruanda ankamen, gründete ich eine neue Tanzgruppe mit Kindern, die ich in Ruanda traf. Ich scherte mich nicht zu viel um ihre vermeintliche ethnische Zugehörigkeit oder um die Verbrechen, die ihre Eltern vielleicht begangen hatten. Es waren Kinder und sie tanzten gerne. Ich brachte ihnen das Tanzen bei und versuchte dabei, nicht zu viel über ihre Arme nachzudenken, die vielleicht Macheten oder Gewehre gegen meine gehalten hatten. Ja, es wurden einige Opfer verlangt, um sich als große Familie neu definieren zu können, in jeder Hinsicht. Religion hat bei mir keinen hohen Stellenwert, aber Liebe, Liebe und nochmals Liebe. Denn Imana bedeutet vor allem Liebe.

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