Schnappschuss: Los Angeles

Detail der Wandarbeit von Tristan Eaton in Los Angeles Künstler: Tristan Eaton, Foto © Lord Jim

STREET ART UND DIE  METROPOLE LOS ANGELES

Los Angeles und Street-Art sind wie füreinander geschaffen. Die zweitgrößte Stadt der Vereinigten Staaten ist eine weitläufige Metropole, die für ihre kulturelle Vielfalt und ihre Verbindungen zur Filmindustrie bekannt ist. Von den Stränden und dem mediterranen Klima bis zum geschäftigen Treiben in den verschiedenen Vierteln und Bezirken, die sich wie ein Voltron-Roboter der Stadtplanung zusammenfügen, haben die niedrigen Gebäude, die Ansammlung an Werbetafeln und der großzügige Einsatz von Beton eine Leinwand geschaffen, die es mit der Ausstellungstradition der White-Cube-Galerien aufnehmen kann. Die erhabene Museumskuration, die die Kunst davon abgehalten hat, in den von der Öffentlichkeit bewohnten Räumen zu leben, wird durch Straßenkunst ausgeglichen, die uns genau dort begegnet, wo wir jeden Tag in Los Angeles leben und arbeiten.

Street-Art hat seit ihrem Aufkommen in den 1980er-Jahren als eigenständige, aus Graffiti hervorgegangene Form der Kunst im öffentlichen Raum stark an Popularität gewonnen, obgleich sie, im Gegensatz zu den traditionellen Wandmalereien und Skulpturen, die unsere Stadt- und Vorstadtlandschaften zieren, noch nicht gänzlich als Kunstform anerkannt ist. Sie hebt sich von Graffiti ab, weil sie weniger um Worte und Buchstaben kreiste, sondern eher auf Bildern basierte, deren Botschaften und Sujets sich dem allgemeinen Publikum oft leichter erschliessen lassen. Die Street-Art-Künstler*innen verwenden noch immer häufig Sprühfarbe, und ihre Werke sind technisch gesehen meistens „unbeauftragt“, also illegal, sodass sich beide Genres zuweilen schwer voneinander abgrenzen lassen.
  • Los Angeles Graffiti  von Mr. Cartoon u.A. Künstler: Mr. Cartoon, Foto ©Lord Jim
  • Graffiti"I heart LA" von Jennifer Korsen Künstler: Jennifer Korsen, Foto © Lord Jim
  • Künstler: Banksy, Foto © Lord Jim Künstler: Banksy, Foto © Lord Jim
  • "Kobe - Legends are forever" von Royyal Dog (Chris Chanyang Shim, 심찬양) Künstler: Royyal Dog (Chris Chanyang Shim, 심찬양), Foto © Lord Jim
  • Graffiti von IT’S A LIVING (Ricardo Gonzalez) Künstler: IT’S A LIVING (Ricardo Gonzalez), Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit in Los Angeles von Tristan Eaton Künstler: Tristan Eaton, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von Case Maclaim Künstler: Case Maclaim, Foto © Lord Jim
  • Schablonen Artbeit von JPS (Jamie Paul Scanlon) Künstler: JPS (Jamie Paul Scanlon), Foto © Lord Jim
  • Los Angeles Graffiti Künstler: Unbekannt, Foto © Lord Jim

Ihre Zugänglichkeit ist wohl auch einer der Gründe, warum die Street-Art in einer Stadt wie Los Angeles so gut funktioniert. Der Verkehr gleitet schnell über ein Konvolut aus Autobahnen und Schnellstraßen und folgt damit der Aufmerksamkeitsspanne der Stadtbevölkerung, die von Jahr zu Jahr kürzer wird. Glücklicherweise müssen wir uns nirgendwo hinbegeben, um in den Genuss von Street-Art zu kommen, sondern wir laufen ihr mitten in unserem Alltag über den Weg, sei es an dem Verkehrskontrollschaltkasten oder neben einem Gebäude, in dem wir nachmittags eine Besprechung haben. Street-Art-Künstler*innen platzieren ihre Werke sorgfältig, oft als Ergänzung der Umgebung, und sie denken strategisch darüber nach, wie und wo ihre Bilder wahrgenommen werden. Dabei übernehmen sie häufig erfolgreiche Taktiken der Werbung, Filmindustrie und Guerilla-Kriegsführung, um dafür zu sorgen, dass ihre Kunst von möglichst vielen Menschen gesehen wird. Es ist eine Strategie, die Eifer, Einfallsreichtum und Enthusiasmus belohnt.
  • Graffiti von D*Face und Retna auf Teilen der Berliner Mauer in Los Angeles Künstler: D*Face / Retna, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von IT’S A LIVING (Ricardo Gonzalez) Künstler: IT’S A LIVING (Ricardo Gonzalez), Foto © Lord Jim
  • 8bit Space Invader Kachel Installation von Space Invader Künstler: Invader, Foto ©Lord Jim
  • Graffiti Wandarbeit von Case/Maclaim Künstler: Case/MaClaim, Foto ©Lord Jim
  • Graffiti von Nychos Künstler: Nychos, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von D*Face Künstler: D*Face / © Foto: Lord Jim
  • Schablonenarbeit von Banksy Künstler: Banksy / © Foto: Lord Jim
  • Graffiti von Pixelpancho Künstler: Pixelpancho, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von Low Bros (Christoph und Florin Schmidt) Künstler: Low Bros (Christoph und Florin Schmidt) / Foto: Lord Jim
  • Graffiti von Hush Künstler: Hush, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von Mr. Lister Künstler: Anthony Lister, Foto © Lord Jim
  • Kleisterplakat Wandarbeit by JR Künstler: JR, Foto © Lord Jim
  • Graffiti von Herakut Künstler: Herakut, Foto © Lord Jim
  • Volle Wand Graffiti "Heartship" von How and Nosm (Raoul and Davide Perré) Künstler: How and Nosm (Raoul and Davide Perré), Foto © Lord Jim
Los Angeles beherbergt eine sich ständig wandelnde Community von Street-Art-Vertreter*innen, von Größen und etablierten Künstler*innen bis zu aufstrebenden Talenten, die kommen und gehen, wie die Bilder auf einer Werbetafel. Shepard Fairey, der Gründer von OBEY, ist der bekannteste Name, aber es gibt eine ganze Reihe wichtiger und begabter Künstler*innen, die die Street-Art-Szene von Los Angeles bereichern. Zu den bedeutensten LA Street-Art-Vertreter*innen gehören Kenny Scharf, einer der Altmeister des Genres, sowie David Flores, Tristan Eaton, Retna, Mister Cartoon, El Mac und Christina Angelina, um nur einige zu nennen. Aufgrund des angenehmen Klimas sowie der Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit, die der Street-Art hier zuteilwerden, zieht eine Stadt wie Los Angeles aber auch Künstler*innen aus aller Welt an. Zu unverzichtbaren Beiträgen in der Stadt gehören Werke von Banksy, Herakut, Nychos, Invader und D*Face sowie die Arbeiten hunderter weiterer Kunstschaffender, die sich in Los Angeles einen Namen gemacht haben – oder noch darauf hoffen, es durch ihre Kunst eines Tages auch zu schaffen.
  • Detail der Wandarbeit Kollaboration von Shepard Fairey und Vhils Künstler: Shepard Fairey / Vhils, Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit von David Flores Künstler: David Flores, Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit von Jules Muck Künstler: Jules "Muckrock" Muck, Foto © Lord Jim
  • Kleisterplakat Wandarbeit von MBW (Mr. Brainwash) Künstler: Mr Brainwash MBW, Foto © Lord Jim
  • Graffiti Wandarbeit von Kenny Scharf Künstler: Kenny Scharf, Foto © Lord Jim
  • Graffiti Legende Risk bearbeitet eine Wand der RFK High School Künstler: Risk, Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit Kollaboration von Retna und Vhils Künstler: Retna / Vhils, Foto © Lord Jim
  • Mural "Alphonse Much" von Mear One Künstler: Mear One, Foto © Lord Jim
  • Kleisterplakat von Skullphone Künstler: Skullphone, Foto © Lord Jim
  • Graffiti Wandarbeit "The Mother Creator II" von EL MAC (Miles MacGregor) Künstler: EL MAC (Miles MacGregor), Foto © Lord Jim
  • Detail der Wandarbeit Kollaboration von Shepard Fairey und Vhils Künstlerin: Augustine Kofie, Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit in Los Angeles von Cryptik / Karen Bystedt / Nick Flatt Künstler: Cryptik / Karen Bystedt / Nick Flatt, Foto © Lord Jim
  • Mural von Bumblebeelovesyou Künstler: Bumblebeelovesyou, Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit Kollaboration von El Mac und Retna Künstler: El Mac und Retna , Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit von Christina Angelina aka "Starfighter" Künstlerin: Christina Angelina aka "Starfighter", Foto © Lord Jim
  • Wandarbeit"Ed Ruscha" von Kent Twitchell Künstler: Kent Twitchell, Foto © Lord Jim

Doch in Los Angeles währt nichts ewig. Street-Art kann aus dem Nichts auftauchen und nur wenige Stunden existieren, bis Naturelemente, andere Künstler*innen, Grundstückseigentümer*innen oder Gesetzeshüter*innen sie zerstören oder übertünchen. Die unbekannte Lebensdauer eines Werkes mag manche frustrieren, aber sie ist Teil des Street-Art-Konzepts. Selbst Ikonen der Community verschwinden nach Jahren, in denen sie unangetastet blieben.

Los Angeles ist der Inbegriff eines Betondschungels und das perfekte Gegenstück zur Postmoderne der Kunstgeschichte. Weil die Moderne die dominierende Philosophie des Kunstschaffens im 20. Jahrhundert darstellte, konnten sich Graffiti und Street-Art erst mit deren Niedergang in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzen. Im kunsthistorischen Kontext wird die Street-Art oft als etwas betrachtet, dass sich gegen die Moderne richtet. Street-Art lässt sich als eine Reaktion auf die weißen Galeriewände, einflussreichen Institutionen und Persönlichkeiten interpretieren, die Produkte der Moderne sind und die es in Los Angeles im Überfluss gibt. Street-Art hingegen wird von einer einzelnen Person geschaffen, die oft ohne Einfluss ist, und das Werk steht im Gegensatz zur kühlen Glätte der grauen Betonlandschaft.

Die flüchtige Natur der Street Art ist Teil ihrer Schönheit; so wie sich die Stadt über die Jahre verändert, so verändert sich auch die Kunst in ihr.

Die Multikulturalität der Bevölkerung von Los Angeles und die Art und Weise, wie die Stadt strukturiert ist, eröffnen der Street-Art einen unerschöpflichen Fundus an Sujets, Stilen und kreativen Lösungen. Als die Street-Art in den letzten Jahren zu einer immer volksnaheren Kunstpraxis geriet, wandten sich einige ihrer Vertreter*innen der Wandmalerei zu, die manchen als seriösere Kunstform erscheint. Dennoch kann man in jedem Viertel von Los Angeles eine Fülle von Street-Art bewundern. Die Vergänglichkeit des Genres ist Teil seiner Schönheit; so wie sich die Stadt von Jahr zu Jahr verändert, so verändert sich auch ihre Kunst. Als nicht kuratierte Galerie ist die Street-Art eine öffentliche Pinnwand, die zahlreiche Themen und Ideen aufgreift, die in einer so großen, vielgestaltigen Metropole von Belang sind. Und auch wenn ein einzelnes Werk nicht die Essenz von Los Angeles umfassen kann, fängt die breitgefächerte Street-Art im Stadtraum doch ein, was Los Angeles seinen Fans bedeutet.
 

Autor: G. James Daichendt

G. James Daichendt ist der Autor von „Stay Up! Los Angeles Street Art” und „Shepard Fairey Inc: Artist/Professional/Vandal” sowie weiterer Bücher zur zeitgenössischen Kunst. Er ist Professor für Kunstgeschichte und Dekan des College of Arts & Humanities und des College of Natural and Social Sciences der Point Loma Nazarene University. Daichendt promovierte an der Columbia University und erwarb Master-Abschlüsse an den Universitäten Harvard und Boston.