Wissen ist nicht ansteckend. Das, was man lehrt, wird nicht oder ganz anders gelernt. Lernen ist ein Prozess, der von außen nur sehr eingeschränkt beeinflussbar ist. Sprachlern-Coaching kann jedoch Lernende dabei unterstützen, sich über Bedingungen ihres Lernens bewusst zu werden.
Im Rahmen der Diskussion zur Lernerautonomie wird die Befähigung der Lernenden zu selbstgesteuertem und damit selbstverantwortlichem Lernen als übergeordnetes Ziel gesehen.
Was bedeutet selbstgesteuertes Lernen?
Selbstgesteuertes Lernen heißt, dass eine Person für das eigene Lernen alle relevanten Entscheidungen selbstverantwortlich trifft. Sie entscheidet also darüber, welche konkreten Interessen und Bedürfnisse sie aktuell priorisiert, was sie am Ende des Lernprojekts erreicht haben möchte, welche Ressourcen ihr bei der Erreichung des Lernziels helfen, wie sie beim Lernen konkret vorgehen möchte und wie sie ihre Lernergebnisse bewerten kann.
Dabei geht es weniger um die absolute Freiheit in diesen Entscheidungen, denn natürlich gibt es immer Rahmenbedingungen. Es geht vielmehr um die
Fähigkeit, die das Lernen beeinflussende Faktoren zu überblicken: Warum lerne ich eigentlich eine Fremdsprache? Welche Lernerfahrungen bringe ich mit? Wie gehe ich mit Fehlerkorrektur um? Welches Lernmaterial bevorzuge ich? Welche Bedeutung haben andere Personen (andere Lernende, Lehrkraft, Eltern) für mein Lernen? Welche Rolle spielt Zeit? Woran erkenne ich, dass ich Fortschritte mache?
Wenn Menschen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, haben sie eine Grundlage, Entscheidungen für ihr Lernen zu treffen. Sprachlern-Coaching kann mit einer gezielten Anregung zur Reflexion die Fähigkeit zur Selbststeuerung fördern.
Beratung ohne Ratschlag
Mit Sprachlern-Coaching (SLC) wird der Ansatz einer prozess-, ressourcen- und lösungsorientierten Beratung verbunden.
SLC versteht sich als Beratung, die Lernende im
Prozess zur Lösungsfindung unterstützt – ganz unter Verzicht von Anleitungen, Ratschlägen und Tipps. Gemeinsam mit der oder dem Sprachlern-Coach finden Lernende Möglichkeiten, ihr Lernen zu optimieren. Als „Experten für die eigene Person“ können sie Verantwortung für ihren Sprachlernprozess übernehmen und zukünftig ihre Anforderungen beim Lernen wieder eigenständig bewältigen (vgl. Spänkuch 2014). Das Coaching setzt auf Ressourcen, die zur Verfügung stehen, eine bestimmte Anforderung zu meistern.
Ressourcen sind positives Potenzial, Kompetenzen, Lösungsstrategien, Stärken und Chancen. Außerdem wendet SLC den Blick der Lernenden weg von dem, was nicht funktioniert und zu Misserfolg geführt hat. Es fokussiert das, was erfolgreich bewältigt wird und was veränderbar ist – zu
Lösungen. Lösungen zu finden ist aus der Sicht der lösungsorientierten Beratung Erfolg versprechender, als Probleme zum Verschwinden bringen zu wollen.
Die Lernenden und ihre Sichtweisen stehen beim Sprachlern-Coaching im Mittelpunkt. | Foto: dglimages © Adobe Stock
Coachen mit Struktur
Coaches gehen in einer bestimmten Struktur mit aufeinander aufbauenden Phasen vor. Dabei arbeiten sie mit sogenannten kommunikativen beziehungsweise systemischen Gesprächs- und Fragetechniken. Diese helfen, Zusammenhänge aufzuzeigen, die Wahrnehmung zu erweitern und neue Blickwinkel hinsichtlich des Problems einzunehmen. Damit initiieren sie beim Lernenden ein Nachdenken über alternative Lösungen. Essentiell wichtig ist im SLC, dass das Thema des Lernenden ausschließlich aus dessen Sicht bearbeitet wird und nicht aus der Perspektive der oder des Coachs – dies stünde in Widerspruch zum Gedanken der Selbststeuerung. Also entscheiden nur die Lernenden darüber, was zur Sprache kommt und welche Aspekte ihres Themas sie fokussieren möchten.
Sprachlernberatung und Sprachlern-Coaching
Beide Konzepte, die nicht-direktive Sprachlernberatung (SLB) und das SLC, weisen in der Funktion und den Prinzipien des Vorgehens viele Gemeinsamkeiten auf. Die nicht-direktive SLB verfolgt – ebenso wie das Sprachlern-Coaching – das Ziel, die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen zu fördern. Beide Konzepte basieren zudem auf dem Menschenbild der humanistischen Psychologie. Daher werden beide Beratungsansätze in der Fachdiskussion nahezu synonym verwendet.
Es gibt dennoch konzeptionelle Unterschiede: Das theoretische Gerüst der Sprachlernberatung bilden der Beratungsansatz der klientenzentrierten Beratung nach Carl R. Rogers und das Konzept der Lernerautonomie. Das Sprachlern-Coaching orientiert sich maßgeblich an den Grundannahmen des systemisch-konstruktivistischen Beratungsansatzes; das heißt im Coaching gelten ausschließlich die Deutungen der Coachees und die Neutralität der Coaches. Im Coaching wird ein anderer Phasenablauf verfolgt und ein erweitertes Repertoire von Interventionen eingesetzt, zum Beispiel die systemischen Fragetechniken.
Lehr-und Lernkontexte
Inzwischen gibt es vielfältige Formen der Lernberatung. Sie wird als Einzelberatung, aber auch als Beratung in Peer-Gruppen, in Präsenz oder online, in Anbindung an Sprachkurse oder aber auch kursunabhängig angeboten. Für verschiedene Zielgruppen (Tandemlernende, internationale Studierende, Schülerinnen und Schüler) an verschiedenen Einrichtungen sowie für spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten wie wissenschaftliches Schreiben oder Hörverstehen sind entsprechende Konzepte entstanden (siehe Deutschmann/Claußen 2014).
Für den Bereich DaF/DaZ haben sich in der letzten Zeit viele Einsatzmöglichkeiten für Beratung und Coaching gezeigt: Sprachlernberatung in den Integrationskursen, Lernbegleitung für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, Deutschförderung am Arbeitsplatz, individuelle Unterstützung von Migrantinnen und Migranten, die ihre berufliche Qualifikation anerkennen lassen möchten (siehe SPRUNQ). Für den schulischen DaF-Unterricht wurden Vorschläge entwickelt, wie sich Elemente des SLC in den Unterricht integrieren lassen (siehe Kleppin/Spänkuch 2012).
Sprachlern-Coaching-Elemente können Lehrkräfte auch in ihren Unterricht integrieren. | Foto: Monkey Business © Adobe Stock
Coachen und beraten – bitte qualifiziert
Wenn Sie bei der Lektüre des Beitrags bis jetzt gedacht haben: „Eigentlich integriere ich schon Beratungselemente in meinen Unterricht!“, dann gehören Sie zu den Lehrenden, die einen modernen Fremdsprachenunterricht durchführen. Im Sinne der Förderung von Selbststeuerung regen auch Lehrende während ihres Unterrichts zur Reflexion an und übernehmen damit – bewusst oder unbewusst –
eine Beraterrolle.
Es gibt noch mehr Impulse, wie Elemente aus dem Coaching in unterrichtliches Geschehen eingebunden werden können.
Einiges spricht aber auch für das Nachdenken über eine spezielle Aus- und Fortbildung für das Sprachlern-Coaching, die beispielsweise an der Ruhr-Universität Bochum angeboten wird. Dort können Kernkompetenzen für professionelles Handeln im Coaching erworben werden. Anhand von Kann-Beschreibungen (Deskriptoren) und Beispielen für beobachtbares Verhalten (Indikatoren) wurde ein Vorschlag für eine Kompetenzbeschreibung für Sprachlern-Coaches erarbeitet.
Coaching ist keine Technik, sondern eine Haltung
Und zum Schluss gibt es auch für Sie einige Leitsätze, anhand derer Sie Ihre persönliche Coaching-Haltung reflektieren können:
- Sie müssen davon überzeugt sein, dass Lernende die besten Experten für sich selbst sind. Beim Coaching müssen Sie es regelrecht „aushalten“ können, Ihre Wissenshoheit abgeben zu können und den Lernenden selbst Lösungsansätze und Verhaltensalternativen auffinden zu lassen.
- Nehmen Sie die Anliegen des Lernenden ernst. Beschwichtigen Sie nicht, trösten Sie nicht, reden Sie dessen Problem nicht klein.
- Übernehmen Sie nicht die Verantwortung für die Lösung. Damit werden Sie Teil des „Systems“ der Lernenden und sind nicht mehr neutral.
- Gehen Sie diskret mit der Lernthematik der Lernenden um.
- Denken Sie daran: Gute Coaches sehen ihre Lernenden nur ein Mal.
Literatur
Brammerts, Helmut/Calvert, Mike/Kleppin, Karin (2001): Ziele und Wege bei der individuellen Lernberatung. In: Brammerts, Helmut/Kleppin, Karin (Hg.): Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch. Tübingen: Stauffenburg, S. 53-60.
Claußen, Tina/Deutschmann, Ulrike (2014): Sprachlernberatung – Hintergründe, Diskussion und Perspektiven eines Konzepts. In: Berndt, Annette/Deutschmann, Ruth-Ulrike (Hg.): Sprachlernberatung – Sprachlerncoaching. Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 83-111.
Kleppin, Karin/Spänkuch, Enke (2012): Sprachlern-Coaching. Reflexionsangebote für das eigene Fremdsprachenlernen. In: Fremdsprache Deutsch, H. 46, S. 41-49.
Spänkuch, Enke (2014): Systemisch-konstruktivistisches Sprachlern-Coaching. In: Berndt, Annette/Deutschmann, Ruth-Ulrike (Hg.): Sprachlernberatung – Sprachlerncoaching. Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 51-81.
Spänkuch, Enke (2015): Coaching lernen – Coaching lehren. Die Ausbildung zum systemisch-konstruktivistischen Sprachlern-Coach an der Ruhr-Universität Bochum. In: Böcker, Jessica/Stauch, Annette (Hg.): Konzepte aus der Sprachlehrforschung – Impulse für die Praxis: Festschrift für Karin Kleppin. Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 360-381.