Jenseits von Marvel- und DC-Comics gab es im Deutschland der 1970er-Jahre eine illustratorische Welt, die insbesondere die Boomer-Generation heute noch in nostalgische Verzückung versetzt. Und auch die Kids der folgenden Jahrzehnte erinnern sich noch gerne an die Comicheft-Reihen ihrer Kindheit.
„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“, persiflierte der Liedermacher Franz Josef Degenhardt das konservative Spießertum der 1950er- und 1960er-Jahre in seinem Song Schmuddelkinder, und genauso gut hätte er hinzufügen können: „Und lies keine Schmuddelhefte!“ Denn genau das waren Comics damals in den Augen der allermeisten Erwachsenen. Sogar die klassischen Groschenhefte mit trivialen Inhalten hatten da noch ein besseres Image: Diese musste man wenigstens lesen und nicht bloß Bildchen anschauen. Selbst der Verleger Gustav Lübbe, der sowohl mit bilderlosen wie bebilderten Heftchen Millionen verdiente, hielt die Comics für „Schundliteratur“.
Gestatten, Maus. Mickey Maus.
Umso erstaunlicher, dass seit den frühen Tagen der Bundesrepublik immer mehr Verlage es wagten, gegen dieses Vorurteil anzukämpfen und mit jährlich steigenden Auflagen die Kunstform Comic in Deutschland populär machten. Wobei es hierzulande nie so wurde wie in Frankreich, Belgien oder den USA mit all den Klassikern: Asterix, Tim und Struppi, den Marvel- und den DC-Comics (Superman, Spiderman, Batman und so weiter). Am populärsten und erfolgreichsten war zunächst Walt Disneys Micky Maus. Das Heft erschien seit 1951 monatlich, ab 1957 wöchentlich. Von jedem Heft wurden damals 300.000 Exemplare gedruckt, die Auflagen stiegen bis zu den späten 1980er-Jahren immer weiter und erreichten 1990 fast eine Million. Heute sind es nur noch etwas mehr als 60.000. Die Hoch-Zeit der Comichefte endete mit dem Aufstieg der elektronischen Medien – sie gehört der Generation der Boomer, der zwischen 1950 und 1970 Geborenen.
Immer im Windschatten des mächtigen amerikanischen Film- und Medienkonzerns Disney segelte das Magazin Fix und Foxi von Rolf Kauka. Die Geschichten mit den zwei knallroten Füchsen erschienen ab 1953. 1956 wurde erstmals die 100.000er Druckauflage überschritten, ab 1957 erschien das Heft wöchentlich, und bis 1995 wurden immerhin 300 Millionen Hefte gedruckt. Sowohl bei Micky Maus wie auch bei Fix und Foxi handelt es sich um sogenannte „Funnies“, also lustige Geschichten mit bunten Bildern und Sprechblasen. Die Zeichnungen verzichten auf Details, sind bewusst nicht realistisch gehalten.
Seit 50 Jahren auf Zack
Zu alt für Geschichten aus Entenhausen? Der ZACK-Verlag bedient seit nunmehr 50 Jahren zumeist männliche Jugendliche mit Comichelden unterschiedlichster Art.
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Was aber, wenn man sich für lustige Geschichten aus Entenhausen oder einem gallischen Dorf zu alt fühlte, wenn man Action, Spannung, Abenteuer suchte? Seit den späten 1960er-Jahren wurden die deutschen Jungs – denn nahezu ausschließlich sie waren die Käufer und Leser dieser Hefte – mit immer mehr Stoff in den Zeitschriftenläden und Kiosken beglückt. Paradiesische Zeiten brachen an.
Es ist nunmehr fünfzig Jahre her, dass das Magazin Zack aus dem Koralle-Verlag zum ersten Mal erschien, und für viele Jungs der Donnerstag zum wichtigsten Tag der Woche wurde. Denn Zack arbeitete mit Fortsetzungsgeschichten: Wenn man eine Story komplett haben wollte, musste man oft mehrere Monate am Ball bleiben. Auf 50 wöchentlich, später vierzehntägig erscheinenden Seiten wurden die unterschiedlichsten Genres und Zeichenstile gemixt, das meiste aber waren hochkarätige Serien, die in Frankreich und Belgien schon damals häufig als Graphic Novels oder Bandes Dessinées im Hardcover veröffentlicht wurden.
Zwischen 1972 und 1980 gab es bei Zack mit Lucky Luke, Cubitus, Pittje Pit und Umpah-Pah immer auch Funnies, dem standen hier allerdings viele Klassiker der franko-belgischen Comic-Kunst gegenüber, sogenannte „Realistics“ mit hochdifferenziert gezeichneten Settings in den Genres Western (Leutnant Blueberry, Comanche), Science-Fiction (Luc Orient, Valerian) oder Krimi (Rick Master, Bruno Brazil). Sogar der Edelcomic Tim und Struppi von Hergé hatte einen Kurzauftritt in Zack, doch blieb dies eine Ausnahme: Hergé und Gosicnny/Uderzo (Asterix) wurden von ihren Verlagen Carlsen und Ehapa in vergleichsweise hochpreisigen, hochformatigen und vierfarbigen Bänden gepflegt. Immerhin verkaufte der Koralle-Verlag in seinen besten Zeiten jede Woche 450.000 Zack-Exemplare.
Der Platzhirsch im Comicwald
Für jeden Geschmack etwas dabei – die Bastei-Comics bedienten eine breite Vorliebenpalette ihrer Leserschaft.
| Foto (Detail): alle © Bastei Lübbe
Für den eigentlichen Platzhirsch auf dem deutschen Comic-Markt aber war Zack niemals eine echte Konkurrenz, denn bereits seit Mitte der 1960er-Jahre hatten sie sich als Synonym für Comics etabliert: die Bastei-Hefte. 1953 hatte der Verleger Gustav Lübbe den kleinen Bastei-Verlag übernommen und schon Ende der 1950er-Jahre mit einer Jugendredaktion versehen. Mit Heften wie Felix und Bessy (fast 1.000 Hefte zwischen 1965 und 1985) und ihren Millionenauflagen begann eine Erfolgsstory, und der Verlag erfand immer neue Helden. Um nur einige zu nennen: Lasso (knapp 650 Hefte zwischen 1965 bis 1985), Wastl (1968 bis 1972), Roy Tiger (1968 bis 1970), Der rote Korsar (1970/71), Phantom (1974 bis 1983), Kung Fu (1975 bis 1981) und Robin Hood (1973 bis 1977). Dazu Hefte wie Biene Maja oder Nils Holgerson, die sich an eine jüngere Zielgruppe richteten.
Neben den Gespenstergeschichten (über 1.600 Hefte zwischen 1974 und 2006) war die Western-Reihe Silberpfeil mit 768 Heften zwischen 1970 und 1988 einer der wichtigsten Umsatzbringer. Die Geschichten um den jungen Kiowa-Häuptling und seinen weißen Blutsbruder Falk, das Mädchen Mondkind und die Trapper-Originale Jed und Harry trafen bei den deutschen Winnetou-Fans ins Schwarze, was angesichts der unübersehbaren Anleihen bei Karl Mays Personal wenig erstaunlich ist. Sie wurden vom Studio des belgischen Zeichners Frank Sels hergestellt, den man damals als „schnellsten Comic-Künstler Europas“ bezeichnete, denn er schuf mit seinem Team ein ganzes Heft pro Woche. Anleihen bei erfolgreichen Vorläufern gehörten zu den Erfolgsrezepten der Bastei-Comics. Der Lassie-Film (1943) und die amerikanische TV-Serie (1954) lassen sich klar als Inspirator der Bessy-Reihe erkennen, die das Studio des belgischen Comiczeichners Willy Vandersteen (in der anfangs auch Frank Sels arbeitete) bereits Mitte der 1950er-Jahre entwickelt hatte.
Aus den Jungs der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1950 und 1970, die damals ihr Taschengeld am Kiosk ausgaben, die Hefte tauschten und wie Schätze horteten, sind Männer in den besten Jahren geworden, die heute auf Tausch- und Sammlerbörsen viel Geld für gut erhaltene Exemplare ausgeben. Für einzelne Hefte etwa der Silberpfeil-Reihe werden einige zehntausend Euro aufgerufen. Viele gut erhaltene Exemplare werden nicht unter 1.000 Euro gehandelt, die Papier gewordene Erinnerung an die Jugend lassen sich Sammler einiges kosten. Aber auch Dachböden und Keller sind immer noch voller Hefte, die man bei jedem Umzug wieder in die Hand nimmt und ins Blättern kommt: Man bringt es einfach nicht übers Herz, das magische Papier einfach wegzuwerfen.
Januar 2023