Weltweit sind Millionen von Menschen auf der Flucht. Aus der Suche nach Sicherheit, einer Zukunft und einer neuen Heimat für sich und ihre Kinder. Dabei gibt es viele Hürden zu nehmen. In unserem Interview berichtet Yaman aus Syrien [Name von der Red. geändert] über die Flucht seiner Familie nach Deutschland, die bürokratischen Hürden vor Ort und das Ankommen.
Dieses Interview wurde im Sommer 2024 mit einem syrischen Flüchtling geführt, der 2015 nach Deutschland gekommen ist. Zur Wahrung der Anonymität und um ihn und seine Familie vor möglicher Verfolgung zu schützen, werden weder der Name der Fragensteller noch Name oder Aufenthaltsort der interviewten Person mitgeteilt.
Ich bin 26.7.2015 nach Deutschland gekommen. Die erste Stadt, in die ich kam, war Düsseldorf.
Wie waren Deine Lebensumstände, Dein sozialer Status etc. in Syrien vor dem Krieg gewesen?
Ich komme aus einer reichen Familie: Mein Vater war Geschäftsmann und Professor an der Universität. Meine Mutter war Lehrerin. Ich habe Abitur an einer Privatschule gemacht und bin danach an die Universität gegangen, um Bauingenieur zu studieren. An der Universität habe ich meine Frau kennengelernt. Im dritten Semester haben wir uns verlobt und wollten nach Abschluss des Studiums heiraten. Aber dann kam 2011 der Krieg. Zunächst gab es in Aleppo selbst noch keine Gewalt. Wegen des Krieges wollten meine Eltern unser Heimatland verlassen, und so haben wir schon 2013 geheiratet, bevor ich das Studium abgeschlossen hatte. 2014 kam in dieser Situation unser erster Sohn auf die Welt.
Wie verlief die Flucht? Bist Du zunächst allein angekommen und hast Deine Familie nachgeholt, oder wie ist das vor sich gegangen?
2015 erreichte der Krieg Aleppo: Es war plötzlich gefährlich, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, es gab keinen Strom, kein Wasser, kein Internet. Wir sahen keine Möglichkeit, unser Studium zu beenden. Meine Frau und ich beschlossen, zu meinen Eltern in die Türkei zu fliehen. Die Fahrt durch die Nacht, in der überall Heckenschützen lauerten, war sehr gefährlich. Mein Vater versuchte, einen Kontakt zur Deutschen Botschaft in Ankara herzustellen: Was ist der richtige Weg, um mit einem regulären Visum nach Deutschland zu kommen? Aber der Versuch führte nicht zum Erfolg. Mein Vater reiste noch einmal nach Syrien, um dort einige Dinge zu erledigen. Als wir nach sechs Monaten nichts mehr von ihm hörten, vermuteten wir, er sei ums Leben gekommen.
Ein Bekannter meiner Mutter beschloss damals, nach Deutschland zu gehen. Meine in Saudi Arabien verheiratete Schwester riet mir, auch einen Neuanfang in Deutschland zu versuchen. Meine Mutter gab mir Geld für die Flucht. Meine Frau wollte zu ihren Eltern nach Syrien zurück (blieb aber noch in der Türkei), ich sollte nach Deutschland vorausgehen, später könnte sie mit dem Sohn nachkommen. Mit einer Gruppe von acht Leuten ging ich mit dem Bekannten nach Izmir, aber wir fanden zunächst keine Person, der wir für die Überfahrt nach Griechenland trauen konnten. Erst nach einer Woche fanden wir jemanden, dem wir vertrauten und der uns für 1.000 US-Dollar pro Person noch am selben Tag wegbringen wollte. Als er mitbekam, dass meine Frau und mein kleiner Sohn noch in der Türkei waren, drängte er mich, sie sofort zu holen - er kannte aus seiner Verwandtschaft die Schwierigkeiten des Nachholens. Frau und Kind kamen umgehend mit dem Bus aus I. in der Türkei nach Izmir, und am nächsten Tag fuhren wir drei mit den anderen im Boot nach Griechenland. Sobald wir europäische Gewässer erreicht hatten, nahm uns ein größeres Schiff auf.
„Wir sind Flüchtlinge aus Syrien.“
Im Camp auf der Insel wurden wir fotografiert und verpflegt. Wir kauften uns Gegenstände für eine Unterkunft außerhalb des Camps, weil das seit Monaten überfüllt war. Zu unserer Überraschung bekamen wir nach drei Tagen die Unterlagen, mit denen wir auf einem großen Schiff nach Athen gefahren wurden. Unser Sohn verletzte sich in diesen Tagen am Fuß. Ohne Pass übernachteten wir zwei Tage in einem billigen Hotel. Danach fuhren wir mit dem Bus nach Makedonien, von dort ging es zu Fuß weiter an die Grenze nach Serbien. Die Einreise nach Serbien war nicht einfach, bis heute weiß ich nicht genau, warum wir nicht nach Griechenland zurückmussten. In Serbien konnte ich an Geld kommen, das mir der Mann meiner Schwester zugeschickt hatte. Von Serbien ging es mit dem Bus in Richtung Ungarn. Wir waren im Wald, ohne Wasser, ohne GPS-Signal, wir wurden mit sehr vielen Menschen von der ungarischen Polizei gefangen genommen, interniert und fotografiert. Unser Sohn hatte starkes Fieber, das Rote Kreuz versorgte die Fußentzündung. Der algerische Übersetzer bedrohte uns mit einer Waffe, um Fingerabdrücke zu erpressen: die würden für Deutschland benötigt. Ich aber behauptete, wir wollten nach Schweden und die würden das nicht verlangen. Wir konnten das Lager nach 24 Stunden verlassen und erreichten nach wenigen Kilometern ein Taxi, das uns nach Wien brachte. Von hier fuhren wir mit dem Zug nach Deutschland. In Düsseldorf gingen wir zur Polizei: „Wir sind Flüchtlinge aus Syrien.“ Wir legten Pässe und Familienbuch vor.Mit dem verletzten Sohn wurden wir sehr freundlich behandelt. Mit dem Krankenwagen wurden wir in die Kinderklinik in Düsseldorf gefahren. Weil es auch meiner Frau sehr schlecht ging, sie war unterernährt und geschwächt, wurden wir dann in ein anderes Krankenhaus gefahren.
Vom Krankenhaus kamen wir wieder zurück in die Polizeistation, dort bekamen wir Kleidung und ein Zug-Ticket von Düsseldorf nach Dortmund, weil es dort eine Familienaufnahme gibt. In Dortmund war das Camp jedoch katastrophal, wir trafen viele Menschen, die seit Monaten ohne Rückmeldung oder Entscheidung waren. Wir wurden körperlich untersucht und geimpft und dann zu einem anderen Camp in Dortmund gebracht. Hier war unser Eindruck besser: Es gab viele Familien, wir hatten ein Zimmer mit Badezimmer und einer Spielecke für Kinder. Nach 20 Tagen wurden wir nach X verlegt.
In X gab uns das Sozialamt eine kleine Wohnung, in die später noch weitere Personen, Serben, einquartiert wurden. Unser Zimmer war schimmelig. Ich sagte, das könne des Kindes wegen so nicht bleiben. Da wurde uns vom Sozialamt am nächsten Tag eine völlig abgelegene Wohnung gezeigt.Nach drei Wochen fanden wir über einige Stationen eine ganz gute Wohnung, etwas abgelegen, aber mit dem Bus erreichbar. Dort haben wir zwei Menschen kennengelernt, die in den jetzt neun Jahren zu unserer neuen Familie wurden. An der nahegelegenen Schule bekamen wir einen freiwilligen Sprachkurs, die Menschen dort halfen uns, soweit sie von unseren Bedürfnissen erfuhren.
Dann bekamen wir den Anhörungstermin beim Amt, und nach zwei Wochen bekamen wir die Rückmeldung, dass wir in Deutschland bleiben dürften und Anspruch auf einen Sprachkurs hätten.
Nun waren wir aus dem Sozialamt raus und kamen zum Jobcenter. Hier lief alles gut, auch bei anderen Behördenkontakten, auch bei der Ausländerbehörde. Meine Frau war wieder schwanger. Einen Sprachkurs gab es nicht in der Nähe, sondern nur eine Stunde mit dem Zug entfernt. Die Schule war schlecht: zu viele Lehrerwechsel, keine Absprachen unter den Lehrern, Lehrer ohne Kompetenz für Deutsch als Fremdsprache. Das System ist auch falsch: Es sollte Kurse fürs Sprechen und Kurse fürs Schreiben und Lesen geben - die beiden Dingen gehen nicht auf die gleiche Weise.
Mit Hilfe einer Kontaktperson für Flüchtlinge konnten wir eine eigene Wohnung in einem Nachbarort finden. Von hier zogen wir später in die größere Stadt. Es war schwierig, einen Sprachkurs zu finden, einen Kinderarzt zu finden, eine Wohnung und einen Kindergartenplatz zu finden, weil viele Wohnungsgenossenschaften keine Leute aus dem Jobcenter oder Flüchtlinge als Mieter wollten. Auch die Anmeldung für einen Kindergarten in Y war sehr schwierig. Ich musste bis zum Bürgermeister gehen, damit wir einen Kindergartenplatz für unsere beiden älteren Kinder bekamen. Solche Situationen, in denen ich mich sehr einsetzen musste, gab es immer wieder.
Die Kinder fühlen sich wohl
Wie ist Dein gegenwärtiger Status? Bist Du geduldet oder als Asylbewerber anerkannt?Ich bin Asylbewerber, geduldet, ich könnte die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, habe sie aber nicht, weil ich noch beim Jobcenter bin.
Wie ist Deine gegenwärtige Situation (Wohnort, Familie, Beschäftigung)?
Mit dem Wohnort in der größeren Stadt bin ich zufrieden. Mittlerweile habe ich drei Kinder, die jetzt alle in der Grundschule sind. Die Aufnahme in die Schule verlief gut, die Kontakte dort sind gut, die Kinder fühlen sich wohl. Die Lernschwierigkeiten des auf der Flucht traumatisierten Sohnes sind mit einer Einzelnachhilfe im ersten Schuljahr überwunden. Der zweite Sohn hatte zu Beginn der Grundschule Sprachschwierigkeiten, die Logopädie hat ihm gut geholfen. Weil mir meine Studienleistungen nicht anerkannt wurden, habe ich versucht, einen neuen Beruf zu finden. Ich habe mehrere Anläufe gemacht, jetzt meinen dritten, und wünsche mir, dass ich ihn beenden kann. Jetzt, wo die Kinder älter sind, hat meine Frau eine Arbeit als Verkäuferin angefangen, damit wir aus dem Jobcenter rauskommen.
Was hat Dir und euch geholfen bei dem, was man Integration nennt?
Die beste Sache in Deutschland ist meine neue Familie. Leicht war das Umziehen. Leicht der Wechsel von einem Jobcenter zum anderen. Auch andere Dinge liefen mal gut, mal gab es Schwierigkeiten, die wir überwinden mussten. Wahrscheinlich hätten wir das ohne die Unterstützung unserer neuen Freunde nicht so gut geschafft.
Deutschland hat uns geholfen
Was ist für euch die größte Hürde, um sich in Deutschland wohl und zu Hause zu fühlen?Die Anerkennung der Studienunterlagen [das Studium war nicht abgeschlossen]. Ich habe in Syrien studiert und meine Frau auch. Aber unsere Studienunterlagen wurden in Deutschland nicht anerkannt. Ich habe mein Studium verloren. Mein Studium war mein Traum, ich denke, wenn ich diesen Traum nicht eines Tages lebe, dann bleibe ich ein Mensch mit einem krummen Rücken.
Andere Bekannte haben die Möglichkeit gefunden, ihre Träume auch in Deutschland zu leben, ich habe nicht diese Möglichkeit gehabt.
Das Arbeiten und Geldverdienen spielen eine zu große Rolle bei den rechtlichen Voraussetzungen für die deutsche Staatsbürgerschaft. Einen Beruf lernen und die Sprache lernen wäre wichtiger.
Die größte Schwierigkeit beim Finden eines Berufes ist die Sprache. Jeder Beruf hat eine neue Sprache. Das ist sehr schwierig. Auf Syrisch fällt es mir leicht, auswendig zu lernen, auf Deutsch kann ich nur sehr schwer auswendig lernen.
Wollt ihr in Deutschland bleiben oder nach Syrien zurückgehen?
Komplett zurück wollen wir nicht: wegen der Kinder. Zwei sind hier geboren, alle drei in den Kindergarten gegangen und gehen jetzt in die Schule. Sie sprechen Deutsch und wachsen hier auf.
Einfach wegzugehen aus Deutschland wäre nicht gut. Deutschland hat uns geholfen. Wir haben jetzt viele Jahre Geld bekommen, dafür wollen wir auch etwas zurückgeben, um das Land zu schützen und ihm zu helfen.
Ich überlege mir, das Studium in Syrien zu beenden, indem ich für die Prüfung dorthin gehe. Es gibt ein neues Gesetz, das meine Exmatrikulation aufhebt. Das Recht zum Abschluss könnte ich mir für 300 € pro Semester kaufen (Meine Schwester in Syrien arbeitet als Lehrerin für 20 €/Monat). Auch den Lernstoff und die Musterprüfungen könnte ich mir an der Universität kaufen.
Wenn ihr bleibt – was sollte sich ändern?
Dass ich in dem Beruf arbeiten kann, in dem ich arbeiten möchte. Meine jetzige Ausbildung mache ich, weil ich keine andere Wahl habe.