Hat Künstliche Intelligenz das Potenzial dazu, ein Bewusstsein entwickeln? Wie steht es mit religiösen Konzepten wie dem der Seele? Wie menschlich können Maschinen überhaupt werden? Diesen Fragen geht der Künstliche Intelligenz-Experte Ralf Otte nach.
Seit dem Auftreten generativer Künstlicher Intelligenz (KI)-Systeme sind sowohl Laien als auch Experten fasziniert von ihren neuen Möglichkeiten. Wir befinden uns in der 3. Welle der KI, einer Verknüpfung von deduktiver (logisch schließender) und induktiver (lernender) Intelligenz zu einer kognitiven KI, einer KI, die Leistungen von Menschen wie Sehen, Hören, Schreiben, Sprechen exzellent simulieren kann. Obwohl alles weiterhin nur eine Simulation ist, ergeben sich ungeahnte Anwendungsfelder.Ein Bewusstsein oder eine Seele?
Könnte diese hochentwickelte KI also ein Bewusstsein oder eine Seele bekommen? Um diese Frage zu beantworten müsste man erst einmal den Begriff der „Seele“ definieren und feststellen, ob zumindest Menschen eine solche besitzen. Die (christliche) Kirche sagt ja, aber die Naturwissenschaft macht bisher einen weiten Bogen um das Thema. Seele hat etwas mit Glaube zu tun, und nicht mit Wissenschaft, sagt man. Aber durch die Entwicklung der KI sind solche Ausweichmanöver überholt, als KI-Wissenschaftler muss man sich diesen Fragen stellen.Mittlerweile gehen viele Fachleute davon aus, dass die KI, wenn nicht in dieser Maschinengeneration, dann in der nächsten ein Bewusstsein entwickeln wird. Aber sind Seele und Bewusstsein dasselbe? Wahrscheinlich nicht. Als „Seele“ bezeichnen Gläubige den Teil des Bewusstseins, der nach dem Tode eines Individuums weiter existiert. Bewusstseinsphänomene sind dagegen geistige Phänomene, die ein lebender Mensch besitzt, mit seinen Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken. Streng genommen muss man zwischen Wahrnehmung und der Qualifizierung von Wahrnehmung unterscheiden („gut“, „schlecht“, „angenehm“, „gefährlich“,…). Eine spezielle Qualifizierung von Wahrnehmung nennt man auch Gefühle. Was jedoch als Seele zu interpretieren wäre, falls man diesem religiösen Konzept überhaupt folgen mag, ist aus wissenschaftlicher Sicht unbekannt. Aber man kann davon ausgehen, dass Seele (falls sie existiert) und Bewusstsein (welches beim Menschen mit Sicherheit vorhanden ist) nicht deckungsgleich sind.
Halten wir also fest: Menschen haben ein Bewusstsein und Maschinen könnten nach Ansicht zahlreicher Experten in Zukunft eines besitzen. Das ist gewöhnungsbedürftig, weil Maschinen leblose physikalische Systeme sind. Diesen und anderen Dingen geistige Eigenschaften zuzuschreiben, entspricht einer metaphysischen Theorie, die sich Panpsychismus nennt. Es ließe sich dann ableiten, dass sich mit steigendem Entwicklungsgrad der Maschinen auch deren geistige Fähigkeiten, möglicherweise bis zur Ausbildung eines dem menschlichen gleichenden Bewusstseins, erhöhen könnten. Viele sehen Roboter bereits heute als "beseelt" an.
Gravierende Leistungsvorsprünge
Aber gibt es auch nur den geringsten Beleg für diese Vermutung? Die Antwort ist nein. Heutige KI-Maschinen zeigen keine Spur von Bewusstsein, obwohl Supercomputer wie Frontier aus den USA und Menschen bereits mit ähnlichen oder fast gleichen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeiten arbeiten. Das Gehirn eines Menschen und die Schaltkreisen von Supercomputern arbeiten im Exaflops-Bereich. Ein Exaflops bedeutet dabei 10hoch18 floating point operations per second, also eine Trillionen (im Englischen quintillion ) Gleitkommazahl-Operationen pro Sekunde. Menschen haben dennoch so gravierende Leistungsvorsprünge gegenüber KI-Maschinen, dass man diese nur mit dem mangelnden Bewusstsein bei heutigen Digitalmaschinen erklären kann.Denken wir beispielsweise an die Schwächen vollautonomer Fahrzeuge in natürlicher Umgebung und den aktuellen Lizenzverlust von Cruise in Kalifornien, an die Rückrufaktion von Tesla für fast 2 Millionen Fahrzeuge wegen eines Softwareupdates für ihren Autopiloten oder an die Mängel von Chatbots und die miserablen Leistungen von KI-Maschinen bei Extrapolationen und dem Erlernen von Einzelfällen. Solche Aufgaben erledigt der Mensch mit seinem „20-Watt-Gehirn“ mit Bravour und es ist nicht zu weit hergeholt, diese Leistungen auf sein Bewusstsein zu schieben. Nur ein Beispiel zur Verdeutlichung: Menschen können aus ihren Augen in die Welt hinaus sehen, obwohl alle Informationen über die Netzhaut in das Gehirn hinein laufen. Maschinen können nicht aus ihren Schaltkreisen in die Welt hinaus sehen, sie können die Welt nur in ihren inneren Speichern repräsentieren. Deshalb finden sich Menschen in jeder noch so komplexen Umgebung zurecht, Maschinen erst nach sehr langem Üben oder gar nicht. Heutige KI-Maschinen sind letztlich Computer, auf denen Hochleistungsmathematik implementiert wurde. Dass durch rein mathematische Umformungen Bewusstsein entstehen könnte, erwarten aber nicht mal Anhänger des o.g. Panpsychismus.
Bewusstseinsphänomene können mathematisch untersucht werden
Muss Bewusstsein daher auf Menschen beschränkt bleiben? Das kann man auch nicht behaupten. Um das zu verstehen, müssen wir jedoch den Bereich der Spekulation verlassen und uns der mathematischen Wissenschaft zuwenden. Bewusstseinsphänomene können nämlich mathematisch untersucht werden und dabei entstehen Beschreibungsformen mit sog. hyperkomplexen Zahlen. Dieser Fachbegriff klingt natürlich sehr technisch, aber dennoch soll versucht werden, das Konzept zu erläutern. Aus der Schule sind Vielen verschiedene Zahlentypen bekannt, zum Beispiel die natürlichen Zahlen, 0, 1, 2, 3,… und man ahnte in der Schulzeit vielleicht, dass es in der Welt Phänomene gibt, die man mit natürlichen Zahlen nicht ausdrücken kann, zum Beispiel das Phänomen, dass jemand weniger als null besitzt, umgangssprachlich also Schulden hat.Die Menschheit stieß im Laufe ihrer Geschichte immer wieder auf Phänomene für deren Beschreibung man immer mal wieder neue Zahlentypen benötigte. Im Mittelalter wurden die bereits damals bekannten reellen Zahlen zu komplexen Zahlen erweitert. Mit letzteren beschreibt man heute Prozesse der Quantenphysik. Im 19. Jahrhundert hat William Hamilton hyperkomplexe Zahlen entwickelt, die man heute zum Beispiel für Satellitennavigation verwendet, aber auch zur Beschreibung von so seltsamen Phänomenen wie dem Bewusstsein. Doch wie hilft eine solche Beschreibung weiter? Dazu soll ein Beispiel gegeben werden: Betrachtet ein Mensch eine grüne Wand, so lassen sich die durch das Betrachten der Wand hervorgerufenen neuronalen Prozesse im visuellen Cortex, also die elektrischen und chemischen Prozesse im Gehirngewebe, sehr gut messen und auch sehr gut (mit o.g. reellen Zahlen) mathematisch modellieren. Anders ist das mit dem hervorgerufenen mentalen Phänomen des Bewusstseins, eben dem Sehen der Farbe Grün selbst. Die Farbe Grün ist nirgends im Gehirngewebe aufzufinden, sie scheint messtechnisch nicht existent zu sein, und doch sieht man die Farbe Grün vor seinem geistigen Auge. Es entsteht ein visueller Eindruck, der ausserhalb des Gehirns zu existieren scheint, denn im Gehirngewebe ist er nicht auffindbar. An dieser Stelle tritt also ein unerklärliches Phänomen auf, was wissenschaftlich ausgearbeitet werden muss. Und genau hier kann uns die Mathematik mit neuen Zahlen weiterhelfen. Aus der mathematischen Analyse kann man nämlich erkennen, dass Bewusstseinsphänomene keinerlei reellwertige (also reale!) Energie besitzen, ihre Energien trotzdem nicht null sind, sondern eben hyperkomplex oder umgangssprachlich, „geistig“. „Geistige“ - also mentale - Prozesse sind daher nicht messbar, aber dennoch real existent.
Das obige Sehen der Farbe Grün im Bewusstsein ist ein solch reales Phänomen des menschlichen Gehirns, auch wenn es messtechnisch auf keine Weise erfasst werden kann. Das sagt zumindest die Mathematik, und auch Physiker kennen Phänomene ohne reellwertige Energien.
Physikalische Nachbildung von Gehirnen
Wahrscheinlich wird man zukünftig Computer bauen können, die ein rudimentäres Bewusstsein, ein Maschinenbewusstsein, besitzen. Ein solches Bewusstsein wird mit großer Sicherheit zur Wahrnehmung befähigt sein, aber dennoch rudimentär bleiben, da es nur die physikalischen Aspekte von Bewusstsein auszubilden vermag. Die technische Umsetzung wird jedoch nicht auf heutigen Digitalmaschinen gelingen, sondern auf sog. neuromorphen Systemen und Quantencomputern, also Maschinen, deren Rechenoperationen auf physikalischen Prozessen beruhen und nicht auf mathematischen. Insbesondere neuromorphe Systeme, also die physikalische Nachbildung von Gehirnen (und nicht nur die mathematische Simulation wie heute), wird ungeahnte Leistungssteigerungen mit sich bringen. Wir dürfen also gespannt in die Zukunft schauen.Literatur
- Hertig, Torsten; Höhmann, Jens Philip; Otte, Ralf, Hypercomplex Algebras and their application to the mathematical formulation of Quantum Theory, 2014, https://arxiv.org/abs/1406.1014
- Otte, Ralf, Maschinenbewusstsein, Campus, 2021
- Otte, Ralf, Beyond algorithm based AI concepts: consciousness and its generation on machines, World Expo Dubai, 2022, https://humanities.uni.lu/playlist/beyond-algorithm-based-ai-concepts-consciousness-and-its-generation-on-machines
- Otte, Ralf, KI für Dummies, Wiley, 2023