Ein Jugenddrama, ein poetisches Essay sowie ein Kurzfilm mit komödiantischen Tönen sind einige der Filme, die den frischen Wind unabhängiger argentinischer Produktionen in Berlin auf die Leinwand bringen.
Der Spielfilm Los tonos mayores (Tonspuren), das Debüt von Regisseurin Ingrid Pokropek, läuft im Wettbewerb um den Gläsernen Bären der Sektion Generation. An verschiedenen Orten in Buenos Aires gedreht, handelt der Film von der 14-jährigen Ana, die nach einem Unfall eine Metallplatte im Arm hat. Die Platte vibriert gelegentlich und erzeugt Töne, die Anas beste Freundin zu einer Komposition für Piano verarbeitet. Eines Abends lernt Ana einen Jungen kennen, der gerade seinen Militärdienst ableistet und die Töne als Morsezeichen identifiziert. Entschlossen, den Inhalt der Nachrichten zu dechiffrieren, stürzt Ana sich in ein Abenteuer in der Stadt, besucht Orte und versucht die Codes zu entziffern.Leicht und poetisch im Ton und durchzogen von einer gewissen Melancholie, richtet der Film seinen Blick auf Mysterien, die manchmal nicht zu entschlüsseln sind. Zugleich behandelt er Anas Trauer um den Tod ihrer Mutter. Der in dem Film auf subtile Weise stets präsente Verlust spielt bei der Suche des Mädchens nach Antworten ebenfalls eine Rolle. „Es ist ein Coming-of-age-Film“, erklärte Pokropek bei der Filmpremiere. „Und nicht nur Ana wächst mit dem Film, sondern das gesamte Team ist gewachsen. Wir sind alle sehr jung und haben beim Drehen sehr viel gelernt“, so die Regisseurin.
Psychoanalytische Struktur
Tú me abrasas (Du verbrennst mich) wiederum läuft in der Sektion Encounters für Filme, die neuen Wind in die Filmproduktion bringen. Von Matías Piñero als poetisches Essay angelegt, lässt der Film in experimenteller Hinsicht keine Wünsche offen – in der Erzählweise, wie in Schnitt und Ton. Ausgangspunkt dieses Films ist ein Kapitel aus Gespräche mit Leuko des italienischen Schriftstellers Cesare Pavese, in dem die griechische Dichterin Sappho sich mit der Nymphe Britomartis austauscht, vor allem über das Begehren.„Tú me abrasas“ (Du verbrennst mich). Argentinien/Spanien 2024. Regie: Matías Piñeiro. Im Bild: Katarina Burin. Berlinale Encounters 2024. | © Películas mirando el techo Der Dialog wird fiktional neu inszeniert und von Momenten mit biografisch-mythologischen Informationen sowohl über Pavese als auch über Sappho durchbrochen. Mit seinen Wiederholungen von Bild und Ton verweist die Struktur des Films auf die Struktur des Begehrens, wie sie die Psychoanalyse versteht: als fortschreitende, sich wiederholende Metonymie. Hervorzuheben an dem Film ist außerdem die präzise Montage, die genau maßvolle Länge, die das Poetische innerhalb eher „dokumentarischen“ Abschnitte nie an Frische verlieren lässt.
Auswirkungen wirtschaftlicher Instabilität
Und schließlich läuft in den Berlinale Shorts im Wettbewerb um den Goldenen Bären Un movimiento extraño (An Odd Turn) von Francisco Lezama. Ebenfalls in Buenos Aires angesiedelt, träumt hier eine Frau, die als Aufsicht in einem Museum arbeitet, von einem bevorstehenden Raub. Als sie sich diese Vorahnung durch ein Pendel bestätigen lassen will, sagt ihr dieses, dass der Dollar im Verhältnis zur argentinischen Währung abrupt im Wert steigen wird. Schließlich wird die Frau entlassen, weil sie über das interne Funknetz des Museums während der Arbeitszeit erotische Botschaften mit einem Kollegen ausgetauscht hat.“Un movimiento extraño”. Argentina, 2024. Diretor: Francisco Lezama. Na foto: Sofía Palomino, Laila Maltz. Berlinale Shorts, 2024. | © 36 caballos Das Geld aus ihrer Abfindung tauscht sie in Dollar, der, wie von ihr ausgependelt, tatsächlich im Wert steigt. Dabei geht sie eine sexuelle Beziehung mit einem Geldwechsler von der Straße ein. Fast wie in einer Komödie ist Un movimiento extraño ein Film über die volatile Wirtschaftssituation eines Landes und darüber, wie dies sich im Alltag der Menschen, auf ihre Wünsche und ihr Tun auswirkt.
Februar 2024