Claudia Pricilla und Kiko Goifman  Bixa Travesty: “Das Leben der Hauptfigur ist größer als der Film”

Bixa Travesty
Bixa Travesty Foto: Nube Abe

Weltpremiere des brasilianischen Dokumentarfilms über das Leben der Trans-Küstlerin Linn da Quebrada in der Sektion Panorama der Berlinale.

In ihrem Film Bixa Travesty (Tranny Fag) widmen sich die brasilianischen Dokumentarfilmer Claudia Priscilla und Kiko Goifman dem Leben der Sängerin Linn da Quebrada, und beschäftigen sich mit Rassismus, Homophobie und vor allem der Konstruktion von Trans-Identität. Der aus Konzertausschnitten, Archivbildern und zahlreichen intimen Momenten mit Freundinnen und der Familie montierte Film zeigt die ganze Bandbreite eines Universums, das sich aus einem sich transformierenden Körper heraus ständig erneuert. „Aus Angst, nicht dazuzugehören, habe ich schließlich für mich einen Raum geschaffen, der mir passt. Aber das ist nicht dauerhaft. Bald werde ich wieder woandershin gehen“, sagt Linn in dem Film. Im Interview erzählen die Regisseure von der Entstehung des Films und sprechen über LGBTQ in Brasilien.

Wie war euer Arbeitsprozess an „Bixa Travesty“?

Kiko Goifman: Claudia hatte bereits etwas mit Linn für das Fernsehen gemacht und erzählte mir, wie unglaublich sie sei. Ich war zurückhaltend, weil Linn damals erst 25 Jahre alt war und ich mich fragte, ob so eine junge Person viel zu erzählen hat. Bis zu dem Moment, als Claudia mich zu einem Konzert von Linn mitnahm, das mich beeindruckt hat. Allmählich fand ich die Geschichten, und das sind nicht wenige. Also begannen wir, mit Linn diesen Film zu drehen und nicht über sie..

Claudia Priscilla: Ich habe eine Obsession für Recherche. Ich habe Linn vor drei Jahren kennengelernt und begonnen, mir alles von ihr anzuschauen. Die Idee, Linn selbst für das Drehbuch zu verpflichten, hatte ich, weil sie Künstlerin ist, Sängerin, Schauspielerin, Performerin, und es geht ja um die Frage des Selbsterzählens. Sie setzt ihr Leben und ihren Körper als Kunstmittel ein. Es war für uns interessant, aufzunehmen, wie Linn sich in einem Film selbst gern erzählen würde. Es war eine sehr ruhige, sehr kreative Zusammenarbeit. Linn war sehr engagiert und hat sich dem Film sehr gewidmet. Ihre Handschrift durchzieht den gesamten Film.

Bixa Travesty Bixa Travesty | Foto: Nube Abe Im Film fällt eine große Nähe zu euren Protagonisten auf. Wie habt ihr diese Nähe erreicht?

Claudia Priscilla: Das Einzige, um das uns Linn bat, für den Film, war Gefühl. Das war Konsens über die gesamte Produktionszeit hinweg und war unser größter Trumpf, um diese Nähe auch zeigen zu können. Zum Beispiel entschieden wir alle drei, dass Linns Partnerin Jup, die überall im Film erscheint, im Drehbuch eine starke Präsenz haben sollte. Also baten wir sie dazu, um mit ihr zu reden, um zu fragen, ob sie mit einigen der Situationen, die wir geschrieben hatten, einverstanden war. Alles ist im Rahmen dieser so geschaffenen Beziehung gemacht worden, im Konsens und mit großer Nähe. Es sind Leute, die auch uns aufgenommen haben.

Kiko Goifman: Unsere Wohnung ist auf der einen Seite Produktionsfirma, auf der anderen Seite wohnen wir. Man kommt herein, und wir gehen zum Beispiel erst einmal in die Küche. So wie sie uns in ihre Wohnung gelassen hat, haben wir ihr unsere Tür aufgemacht. Am Anfang gab es die Verunsicherung, weil wir nicht schwarz sind und nicht trans, was für den Film von Bedeutung ist. Aber innerhalb dieses Verhältnisses von Zuneigung und Aufnahmebereitschaft wurden auch wir sozusagen ausgewählt, um diese Geschichte zu erzählen.

Bixa Travesty Bixa Travesty | Foto: Nube Abe Linn beschäftigt sich in dem Film mit Genderfragen und spricht von Transvestitismus im Verhältnis zu Weiblichkeit. Wie seht ihr die Konstruktion von Gender-Identitäten in Brasilien?

Claudia Priscilla: Brasilien ist das Land, in dem die meisten Trans-Menschen und Homosexuelle getötet werden, und gleichzeitig das Land, in dem die Nachfrage nach Filmen mit Trans-Leuten auf Redtube am größten ist. Ein absurdes Paradox. Seit einiger Zeit gibt es eine Gruppe von Sängern und Sängerinnen wie Linn, die etwas sichtbarer sind. Es gibt da ein sehr großes, sehr schönes Universum, zu dem viele dieser Leute, wie auch Liniker, der auch in dem Film ist, einen Zugang bekommen und das über ein LGBT-Publikum hinausgeht. Im akademischen Leben gibt es Amara Moira und ein paar andere Leute, die nicht mehr nur Objekt der Forschung, sondern Subjekte der Diskussion selbst sind. Da verändert sich etwas, und auch wenn es noch keine Revolution ist, erhebt sich doch eine Stimme. Im Kino wird Linn, da sie die Macht der Erzählung hat, als Person existent. Und wir beginnen, Linn mit diesem Wunsch und mit diesem Verständnis zu sehen, was Respekt hervorruft und Sichtbarkeit. Linn ist in der Frage des Körpers ein Paradigma. Wenn sie „um pau de mulher“ (ein Frauenpenis) singt, ist das bezeichnend. Es geht um Linns Körper und nicht mehr um einen, der, wie es noch vor einiger Zeit war, das Ideal einer Frau imitiert. Es ist ein neuer Rahmen, um Körper und Gender zu denken. Linn bringt dies sehr bejahend zum Ausdruck.

Kiko Goifman: Wir erleben gerade eine sehr konservative Bewegung, sehr stark und extrem rechts. In Brasilien werden Theaterstücke und Ausstellungen zensiert. Es ist nicht so, dass Trans-Leute mehr Raum bekämen, sie erstreiten ihn sich mit viel Kraft und viel Auseinandersetzung. Es ist ein Kampf. Es gibt Statistiken, dass 90% der Trans-Frauen irgendwann einmal in der Prostitution tätig sein mussten. Transsexuelle werden nicht eingestellt. Wir wollten ein Trans-Team zusammenstellen, aber wir haben die Leute nicht finden können, weil sie vom formalen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind.. Also haben wir uns für ein Team aus Frauen entschieden. Der für uns gangbare Weg entlang eines Diskurses gegen den weißen Alpha-Mann, wie ihn auch Linn führt. Eine andere Statistik gibt die Lebenserwartung von Trans-Personen in Brasilien mit 35 Jahren an. Das heißt, weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Lebenserwartung von 75 Jahren.
  Was ist für euch beim Drehen eines Dokumentarfilms besonders wichtig?

Kiko Goifman: Wenn wir mit wenigen Protagonisten arbeiten, ist das Herstellen von Intimität von fundamentaler Bedeutung, auch um die Aussagen nicht immer gleich klingen zu lassen. Es ist auch wichtig, einen Zeitplan mit Raum für den Zufall zu erstellen. Es ist fundamental, diesen Raum für Entdeckungen zu haben. Wichtig ist auch, dass wir uns immer ein Team von kreativen Leuten zusammenstellen und diese Kreativität auch zulassen. Wir haben diesen Wunsch, dem Anderen zuzuhören, nicht nur den Protagonisten, sondern auch dem Team. Wir verwenden auch viel Zeit auf Diskussion über den Blick und auf das Anschauen von Beispielen.

Claudia Priscilla: Wir haben eine Grundprämisse: Das Leben der Hauptfigur ist größer als der Film. Es wird niemand geopfert, und wir achten sehr auf diese Grenze. Der Film rechtfertigt keine Respektlosigkeit.