Auf Humboldts Spuren
Interview mit
Jorge Bondanzky
So im Fall von Iracema - uma transa amazônica (1974), eine mit Orlando Senna entstandene Mischung aus Dokumentation und Fiktion, die 1976 im Regiewettbewerb „Quinzaine des Réalisateurs“ in Cannes gezeigt wurde. Angesiedelt im brasilianischen Bundesstaat Pará, begleitet der Film einen Lastwagenfahrer (Paulo César Pereiro) und eine junge Prostituierte (Edna de Cássia) entlang der Transamazônica – jenem umstrittenen Straßenbauprojekt der Militärdiktatur (1964-1985) in den 1970er Jahren, das Atlantik und Pazifik verbinden sollte.
Mit einem Anfangsbudget von zwei Milliarden Dollar wurde die Straße, die in Paraíba beginnt und die Bundesstaaten Ceará, Maranhão, Tocantins, Piauí, Pará und Amazonas durchläuft, bis heute nicht fertiggestellt und ist weitgehend aufgegeben. „Der Bau der Transamazônica war ein Desaster, nicht nur für die Umwelt, sondern auch sozial und wirtschaftlich, doch damals herrschte der überschwänglich-nationalistische Diskurs der Militärs einer nationalen Integration“, sagt Bodanzky. „Der Film versucht zu zeigen, was in Amazonien passiert und worüber damals nur wenig gesprochen wurde, wie die Abholzung des Regenwalds und Sklavenarbeit“, so der Regisseur.
Arbeiterunterkunft des multinationalen Unternehmens Jari in Amazonien. Aus dem Dokumentarfilm Jari (1980), von Bodanzky und Wolf Gauer. | Jorge Bodanzky
Zu Iracema gesellen sich weitere Beispiele, wie der Dokumentarfilm Jari (1980) mit Wolf Gauer über das Unternehmen Jari zur Holzgewinnung und Zelluloseherstellung des nordamerikanischen Magnaten Daniel Ludwig am Ufer des Rio Jari zwischen den Bundesstaaten Pará und Amapá. Oder der ebenfalls mit Gauer gedrehte Dokumentarfilm Terceiro Milênio (1981) über den Politiker Evandro Carreira (PMDB) im Wahlkampf um den Senat für den Bundesstaat Amazonas. „Er war eine folkloristische Persönlichkeit, aber seine Rede verdiente gehört zu werden, denn er propagierte die nachhaltige Selbstversorgung Amazoniens.”
Mit seinen inzwischen 74 Jahren hat sich Bodanzky die Neugier des Reisenden bewahrt, die er auch einem „Erbe Humboldts“ zuschreibt. Im Folgenden gibt er Auskunft über seine Wege durch das Amazonasgebiet in der Vergangenheit und weiterhin.
In den 1980er Jahren stand in Cahiers du Cinéma, Sie folgten den Spuren Humboldts. Gab es diesen Einfluss?
Darüber hatte ich nie nachgedacht, bis ich den Titel dieser französischen Reportage über die Retrospektive zu meinem Werk las. Ich glaube, Humboldt ist bis heute in den Köpfen der Europäer mit Amazonien und seiner Reise nach Amerika verbunden. Aber ich denke, ich habe durchaus einen Humboldtschen Einfluss, diese Neugier des Reisenden, die Sorge um Dokumentation. Wie Humboldt verbinde ich gern Arbeit und Reise, und das umso lieber, wenn das Ziel der Reise fern und beschwerlich ist.
Wann haben Sie Amazonien kennengelernt?
Ende der 1960er Jahre ging ich als Fotoreporter der Zeitschrift Realidade nach Pará, wegen einer Geschichte über das massenhafte Aufkommen von Falschgeld entlang der Fernstraße Belém-Brasília. Der beauftragte Journalist recherchierte und ich blieb zwei Tage an einer Tankstelle am Rande der Überlandstraße. Bei der Beobachtung dieser Szenerie kam mir die Idee zu einem Road Movie mit zwei Figuren, wie sie dort anzutreffen waren: Lastwagenfahrer und junge Prostituierte. Das wurde mein erster Film, und gemeinsam mit meinem damaligen Partner [dem deutschen Produzenten und Drehbuchautor] Wolf Gauer brauchte ich sechs Jahre, um die deutsche Sendeanstalt ZDF davon zu überzeugen, Iracema, uma transa amazônica [deutsch-brasilianische Koproduktion 1974, gedreht von Bodanzky und Senna] möglich zu machen.
Die Schauspieler Paulo Cesar Pereio und Edna de Cássia in einer Szene des Films Iracema (1974) unter der Regie von Bodanzky und Orlando Senna. | Jorge Bodanzky
Hat sich im Lauf der Zeit viel verändert in Amazonien?
Die Größenordnungen der Probleme hat sich verändert. Alle Fragen, die Iracema in der ersten Hälfte der 1970er Jahre aufgreift, sind heute drängender: Sklavenarbeit, Abholzung, Prostitution, die ungeregelte Art, wie der sogenannte Fortschritt in die Region kommt, die Absurdität, Straßen zu bauen anstatt den Fluss als Transportweg zu nutzen. Es bestürzt mich auch zu sehen, dass alle Flüsse das Amazonasgebiets durch Quecksilber vergiftet sind, wegen des Goldabbaus, aber noch verschärft durch die Wasserkraftwerke, die in die Strömung der Flüsse eingreifen, und durch die Abholzung. Die Fische nehmen das Quecksilber auf und, indem sie sie essen, vergiften sich Menschen damit. Um den Rio Tapajós herum beispielsweise gibt es bereits Kinder mit motorischen Störungen, einige sind auf den Rollstuhl angewiesen.
Der brasilianische Filmemacher Nelson Pereira dos Santos drehte damals den Dokumentarfilm Cidade Laboratório de Humboldt 73 (1973). Kennen Sie diese Produktion?
Nein, aber 1973, als ich als Kameramann für das deutsche Fernsehen arbeitete, besuchte die diese „Cidade Laboratório de Humboldt“ [eine 1973 in der Gegend der Stadt Aripuanã (Mato Grosso) errichtete Forschungsstation, mit dem Ziel, eine Modellstadt für den Amazonaswald zu entwickeln. Das von dem Architekten Pedro Paulo Lomba mit Wissenschaftlern der Universidade Federal von Mato Grosse erdachte Projekt wurde von der Militärregierung übernommen und 1978 eingestellt]. Ich glaube, die Ursprungsidee war gut gemeint, aber die Militärs bemächtigten sich ihrer, um zu versuchen, das Bild Brasiliens im Ausland nach dem Baubeginn der Transamazônica aufzubessern, der ja große Umweltzerstörungen nach sich zog.
Damals habe ich auf dem Weg von Cuiabá nach Aripuanã von einem Flugzeug der brasilianischen Luftwaffe aus private Super-8-Aufnahmen gemacht. Wir überflogen das Dorf des indigenen Volkes Paiter Suruí, das damals noch nicht von Weißen kontaktiert worden war. Die Aufnahmen sind übrigens am Anfang des Dokumentarfilms Ex-pajé (2018) von Luiz Bolognesi zu sehen. Am Ende des Super-8-Films sind Aufnahmen der „Cidade Laboratório de Humboldt“, einer riesigen Barackensiedlung mitten im Wald, weit weg von allem.
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