250 Jahre Alexander von Humboldt  Kratzer am Denkmal

Kritische Stimme rütteln am Denkmal des Naturforschers Alexander von Humboldt.
Kritische Stimme rütteln am Denkmal des Naturforschers Alexander von Humboldt. Foto (Zuschnitt): © picture-alliance/dpa-Zentralbild/Heinz Krimmer

Die Glorifizierung des Forschers Alexander von Humboldt stößt auch auf Kritik: Zum 250. Geburtstag des wissenschaftlichen Superstars warnen Experten vor einer Überhöhung seiner Person. An seinen Leistungen als Forscher zweifelt indes niemand. 

Von den Dächern von Ciudad Bolivar im Herzen Venezuelas kann man den Blick weit über das Delta des Orinoko-Flusses und den Urwald im Hintergrund schweifen lassen: Die Luftfeuchtigkeit beträgt in der Regenzeit nahezu 100 Prozent, die Temperatur sinkt auch nachts nur wenig unter 30 Grad. Hier kann man erahnen, welche Strapazen der Forschungsreisende Alexander von Humboldt im Februar 1800 auf sich nahm, als er zu einer Expedition über den Orinoko von Caracas zum Rio Negro aufbrach. Es war die erste Expedition des Berliner Wissenschaftlers. Diese Forschungsreise, die von vielen als die wissenschaftliche Entdeckung Südamerikas gefeiert wurde, bedeutete auch den Beginn einer Karriere, die ihn weltweit berühmt machen sollte. 
 
Die Begeisterung über den wohl ersten Superstar der aufgeklärten Wissenschaftsgeschichte und einen der letzten Universalgelehrten ist auch heute noch ungebrochen. Seine Lehre von der gegenseitigen Wechselwirkung der Entwicklungen in der Natur, seine Reisetagebücher und seine Abenteuerlust haben ihn zur Legende gemacht. Nach Humboldt sind Universitäten und Schulen benannt, sogar ein Meer des Mondes. Am 14. September 2019 hätte er 250 Kerzen auf seiner Geburtstagstorte auspusten müssen. Da ihn dies vermutlich eine ganze Zeitlang beschäftigt hätte, hat die nach ihm benannte Stiftung gleich ein ganzes Humboldt-Jahr ausgerufen. Zahlreiche Veranstaltungen widmen sich 2019 dem Werk des preußischen Offizierssohnes. 

Fang der Zitteraale mit Pferden auf dem Orinoco. Von Humboldt bewies mit diesem Experiment, dass Aale auch Landtiere angriffen. Holzstich aus dem Jahr 1870. Fang der Zitteraale mit Pferden auf dem Orinoco. Von Humboldt bewies mit diesem Experiment, dass Aale auch Landtiere angriffen. Holzstich aus dem Jahr 1870. | Foto: © picture alliance/akg-images Mit ihrem Buch Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur hat die Autorin Andrea Wulf einen Bestseller gelandet. Darin und in dem zweiten Band, Die Abenteuer des Alexander von Humboldt, schreibt sie dem Forscher wegweisende Erkenntnisse zu. Er habe „schon 1800 den von Menschen bewirkten Klimawandel vorhergesagt“, heißt es darin beispielsweise. Auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte zur Eröffnung des Jubiläumsjahres bei einer Rede in Ecuador fest: „Er war einer der größten Naturvermittler überhaupt.“ 

„Humboldt wird maßlos überschätzt“

Doch diese Einschätzungen halten einige Naturwissenschaftler für allzu überhöht. „Bei aller Verehrung – Humboldt wird maßlos überschätzt“, urteilt beispielsweise der Leiter des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg, Matthias Glaubrecht. Laut der Autorin Wulf habe er „die Natur erfunden“ und den menschengemachten Klimawandel vorhergesagt. „Humboldt hatte eine ganz andere Vorstellung von der Welt“, erläutert der Zoologe, „den Gedanken einer Entwicklung hat er abgelehnt.“ Nicht ohne Grund sei Humboldts Naturverständnis spätestens in dessen Todesjahr 1859 von Darwins Evolutionstheorie abgelöst worden. Auch die Erkenntnis aus Humboldts Expeditionsreise durch Venezuela, dass das Abholzen von Wäldern das Klima beeinflusst, ist laut Glaubrecht kaum als Warnung vor einem bedrohlichen Klimawandel zu verstehen. 

Handlanger des Kolonialismus?

Porträt des Naturforschers Alexander von Humboldt von Friedrich Georg Weitsch, 1806 Porträt des Naturforschers Alexander von Humboldt von Friedrich Georg Weitsch, 1806 | Foto: © Wikipedia, gemeinfrei Kontrovers wird auch die Einstellung Humboldts zu Sklaverei und Kolonialismus diskutiert. So wendet sich die Initiative „No-Humboldt21“ gegen die geplante Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin und kritisiert dabei unter anderem die Namensgebung. Der größte Museumsneubau Deutschlands im wieder aufgebauten Berliner Schloss soll Ende des Jahres 2019 eröffnet werden und unter anderem die außereuropäische Sammlungen vereinen. In einer Resolution der Initiative heißt es, die Erkundung der Welt durch europäische Forscher habe wesentlich zur Ausbeutung der Regionen beigetragen: „Entsprechend verkörpert Preußens ‚wahrer Entdecker Amerikas‘, der sogar bestattete Menschen raubte und nach Europa verschiffte, koloniale Dominanz.“ Den Aktivisten zufolge wurde Humboldt von der spanischen Krone bei seinen Forschungen unterstützt, etwa durch umfassende Reiseerlaubnisse, und habe sich im Gegenzug mit politischer Kritik zurückgehalten. Die spanische Krone wiederum habe von seinen Informationen über die von ihm bereisten Gebiete profitiert.
 
Diese Sichtweise stößt bei Humboldt-Expertin Andrea Wulf auf Widerspruch. Die Idee des Kolonialismus und der Sklaverei habe er abgelehnt, die Revolution in Venezuela unterstützt: „Er sprach über die Barbarei des zivilisierten Mannes, als er sah, wie die Einheimischen von Kolonialisten und Missionaren behandelt wurden.“ Humboldt habe die ungerechte Landverteilung, Monokulturen, Gewalt und Arbeitsbedingungen in den Kolonien kritisiert. 
 
Auch der Münchner Historiker Frank Holl weist die Vorwürfe der Berliner Initiative vehement zurück und verweist auf Humboldts Schriften. Er habe beispielsweise festgestellt, dass es in Amerika kein dauerndes Glück geben werde, bis die „durch lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte Rasse alle Vorteile teilt, welche aus den Fortschritten der Zivilisation und der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen“. Für Holl ist das „ganz klar eine antikolonialistische und republikanische Haltung“, die  „keineswegs vorsichtig oder zurückhaltend“ formuliert sei.
 
Trotz dieser Relativierung hat das Denkmal vom Superstar der Wissenschaft im Jubiläumsjahr durchaus auch ein paar Kratzer abbekommen. An der Bedeutung Alexander von Humboldts für die Naturforschung ändert das allerdings nichts.

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