Wasser ist immer wieder ein Thema in lateinamerikanischen Filmproduktionen. Eine Wassertour durch einige neuere Filme.
Wasser kann ein Synonym für Leben und Wiedergeburt sein – aber auch für Tod. Alles ist relativ und was die Existenz erhält, kann sie auch in wenigen Sekunden zerstören. Die Präsenz des Wasser auf der großen Leinwand ist permanent. Bereits bie Brüder Lumière oder einer ihrer Kameraleute hielten die Kraft und Bewegung des Wassers in den ersten Filmen der Geschichte gegen Ende des 19. Jahrhunderts fest.Unter den verschiedensten Formaten an Filmen, die in jüngster Zeit in den lateinamerikanischen Ländern produziert wurden, ist Wasser – sei es in Form eines Flusses, Sees, Meeres, Regen oder auch als stehende, faulige Quelle – ein relevanter Bestandteil der audiovisuellen Aufzeichnungen.
Auch wenn es keine Farben oder Texturen hat, die ein Übermaß an Verderbtheit verraten würden, eröffnet das in einem Pool enthaltene Wasser das Spiel in Lucrecia Martels Debütfilm La Cienaga (2001, dt. „Der Sumpf“) – einem der wichtigsten Filme des Neuen Argentinischen Kinos, der schon aufgrund seines Titels beängstigende Momente erahnen lässt. Während die Geräusche von Metall, das an den Fliesen reibt, das Gefühl einer lauernden Gefahr verstärken und die Eiswürfel die Getränke von beschwipsten Körpern abkühlen, wartet das Wasser dieses Pools in Salta darauf, durchdrungen zu werden, um die hohen
Temperaturen zu beruhigen.
1963 – fast vierzig Jahre zuvor – hatte Leopoldo Torre Nilson schon dieses rechteckige sommerliche Erfrischungsbecken, was ja ein Pool ist, in dem Film La terraza, genutzt. Die Hauptrolle spielte damals Graciela Borges, die auch vierzig Jahre später in La cienaga eine der Hauptfiguren darstellt.
Im Film El abrazo de la serpiente (2015, dt. „Der Schamane und die Schlange“) durchquert der kolumbianische Regisseur Ciro Guerrra zusammen mit zwei weißen Expeditionisten und Wissenschaftlern das Amazonasgebiet über die verschlungenen Flussarme der Region und ihre kleinen Nebenflüsse, die die wahrhaftigen Venen im Bauch des amerikanischen Kontinents sind. Diese Wasserwege werden im Film zu Portalen für Entdeckungen (geografisch und im Inneren) und verdeutlichen, wie überwältigend die Macht der Natur vor dem menschlichen Leben ist.
Im Gegensatz dazu bietet der argentinische Dokumentarfilm Por el Paraná – La disputa por el río (2024, dt. „Um den Paraná – Der Streit um den Fluss“) von Alejo di Risio und Franco González einen alarmierenden Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart der Wasserstraße Paraguay-Paraná. Mit mehr als 3.400 km Länge erstreckt sich der Fluss über Argentinien, Uruguay, Brasilien, Bolivien und Paraguay. Der Film zeigt ein perfektes Beispiel dafür, wie menschliches Handeln ohne Rücksicht auf die Natur die Topographie, die Ökosysteme und das Leben an den Flussufern und auf den Inseln komplett verändern kann.
Die Küsten des Paraná-Deltas in den argentinischen Provinzen Buenos Aires und Entre Ríos waren das Thema gleich in mehreren neueren Filmarbeiten, angefangen bei dem poetischen Werk von Gustavo Fontán La orilla que se abisma (2008, dt. „Die Küste, die sich versenkt“), das sich an die Bücher des Schriftstellers Juan L. Ortiz anlehnt, bis hin zum Einsatz von Thrillerformeln in Todos tenemos un plan (2012, dt. „Wir alle haben einen Plan“) von Ana Piterbarg mit Viggo Mortensen und Soledad Villamil in den Hauptrollen. Wasser kann eine poetische Metapher für das Transzendente oder auch der Hintergrund dessen sein, was dort lauert und droht – habe es eine bestimmte Form oder nicht.
„Ich erinnere mich besonders an die Filme, in denen Wasser vorkam. Wasserfälle, Strände, Meeresgrund, Flüsse und Quellen. Wenn wir nur das Wasserrauschen hörten, mussten wir Kinder automatisch pinkeln. Und wir haben es gleich dort gemacht. Direkt neben der Kinoleinwand.“ Diesen Satz hört man in dem Spielfilm Dolor y gloria (2019, dt. „Leid und Herrlichkeit“) des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar, und er lässt uns sofort an die eindrucksvolle Wirkung von strömendem Wasser denken, egal ob schwach oder stark, rasend oder ruhig. In der brasilianisch-portugiesischen Koproduktion Chuva é Cantoria na Aldeia dos Mortos (2018, dt. „Regen singt im Dorf der Toten“) unter gemeinsamer Regie von Renée Nader Messora und João Salaviza, tief im Inneren der indigenen Gemeinschaft der Krahô gedreht, wird der Wasserfall, zu dem der junge Protagonist immer wieder zurückkehrt, zum äußeren Spiegelbild eines Übergangsrituals. Der Wasserfall ist ein realer Ort und gleichzeitig ein jenseitiger Ort, an dem der junge Mann seine ersten Schritte in den Künsten des Schamanismus tun muss
Auch an einem Ort des Wassers kommt es zum Kontakt mit Verstorbenen in dem Film Los muertos (2004, dt. „Die Toten“), dem zweiten Spielfilm des argentinischen Regisseurs Lisandro Alonso. Die Hauptfigur Argentino Vargas wird aus dem Gefängnis entlassen und muss durch mehrere Flussläufe und Dschungelsümpfe gehen, um wieder bei seiner Tochter zu sein, während die Spiegelung des Wassers seine Ängste und Wünsche ans Licht bringt.
Der peruanische Dokumentarfilm Yakuqñan – Caminos del agua (2021, dt. „Yakuqñan – Wasserwege“) unter der Regie von Juan Durán Agurto zeigt eine dokumentarische Reise über Meere, Amazonasbecken und schneebedeckte Gipfel in der Absicht, das Dringende mit dem Transzendenten zu verbinden. Der Film beleuchtet die unvermeidliche Verbindung zwischen Mensch und Wasser, die – obwohl farb-, geruchs- und geschmackslos doch lebensnotwendig ist.
Die Hauptfiguren der Fiktion innerhalb der Fiktion in dem Film También la lluvia (2010, „Auch der Regen“), einer spanisch-bolivianischen Koproduktion unter der Regie von Icíar Bollaín, fühlen und fordern dasselbe. Der Film erzählt die Geschichte von Statisten aus einem historischen Film über die Eroberung des amerikanischen Kontinents, die beginnen, gegen die bevorstehende Privatisierung des Wassers zu protestieren.
Aber es sind nicht nur Naturgebiete, die Geschichten rund um das Wasser erzählen. Große Städte empfangen Wasserströme vom Himmel und ihr Übermaß kann melancholische Geschichten heraufbeschwören, wie in Lluvia (2008, dt. „Regen“) von Paula Hernández, oder die Katastrophe der Überschwemmung, wie sie im großen gesellschaftskritischen Filmklassiker Los inundados (1961, dt. „Die Überschwemmten“) von Fernando Birri dargestellt wird. Beide sind argentinische Filme.
Und gerade in Argentinien haben städtische Schwimmbäder und das offene Meer ein ganz eigenes Subgenre ins Leben gerufen. So gibt es Geschichten über Schwimmer – wie Agua (2008, dt. „Wasser“) von Verónica Chen oder den Dokumentarfilm La boya (2018, dt. „Die Boje“) von Fernando Spiner – oder Geschichten, in denen kalte und einsame Küstenstreifen, besonders außerhalb der Saison, zum idealen Ort werden, um Dämonen und Ängste auszutreiben. Das ist bei Filmen wie ¿Sabés nadar? (2002 dt. „Kannst du schwimmen?“) von Diego Kaplan und den beiden Filmen mit maritimen Themen von Martín Rejtman: Silvia Prieto (1999) und Dos disparos (2014, dt. „Zwei Schüsse“) der Fall.
Und noch einmal sind es Swimmingpools, die zum Schauplatz in Barrefondo (2018) werden, einem Film von Jorge Leandro Colás nach dem Roman von Félix Bruzzone. Es geht um die Geschichte eines jungen Mannes mit niedrigem Einkommen, der bei der gehobenen Gesellschaft die Privatpools reinigt – ein Statussymbol, ein Spiegel, dessen Spiegelbilder unerreichbar sind. Dieser Protagonist steht vor einer Reihe von gefährlichen Versuchungen
Wasser heilt und verrät, bietet Hoffnung und bedroht, fließt durch weite und großzügige Landschaften und staut sich an den unerwartetsten Orten. Diese Filme spiegeln all dies wider und verwandeln Wasserstoff- und Sauerstoffatome in erzählerische und dramatische Ressourcen. Wasser ist für das Leben genauso wichtig wie für die Kunst, Geschichten mit Bildern und Tönen zu erzählen.