Unterdrückung der kubanischen Opposition  Die unverhohlene Brutalität des Regimes

Armut und Verfall sind allgegenwärtig in der Hauptstadt Havanna. Für viele Kubaner*innen ist die Situation unerträglich geworden..
Armut und Verfall sind allgegenwärtig in der Hauptstadt Havanna. Für viele Kubaner*innen ist die Situation unerträglich geworden.. Foto: © Daniel Ryba

Es ist nicht lange her, da hatte die überwiegende Mehrheit der Kubaner*innen noch kein Internet. Sie verließen sich auf Informationen aus den von der Regierung kontrollierten Medien oder auf das, was ihnen jemand sagte. Sie wussten nicht, wie sie sich richtig organisieren sollten, und vor allem wussten sie nicht, wie sie der Welt zeigen sollten, was sich auf ihrer Insel wirklich abspielte. Jetzt ist alles öffentlicher und die Welt ist genauer im Bilde. Aber paradoxerweise scheint das Regime auch seine Hemmungen zu verlieren. Es wird immer brutaler und geht dabei immer offensichtlicher vor.

Kuba heute

Dieser Artikel ist der dritte Teil unserer Serie über Kuba und die gesellschaftlichen Realitäten und Probleme, denen die Kubaner*innen heute gegenüber stehen. Die Autorin Kristina Böhmer ist Kuba-Expertin. Die Fotos hat JÁDU-Redakteur Daniel Ryba im Januar 2022 auf Kuba gemacht.

Die anderen Teile der Serie sind:

Früher geschah es im Verborgenen, wenn Regimegegner*innen verfolgt und heimlich hinter verschlossenen Türen gefoltert wurden. Das kubanische Regime war schon immer hart, aber im vergangenen Jahr hat es noch rigoroser geworden. Der kubanische Künstler, Journalist und Meinungsforscher Henry Eric Hernandez sagte mir kürzlich, das Regime werde „immer brutaler und immer weniger diskret.“

Die Brutalität wächst proportional zu den Unruhen im Land, da die Kubaner*innen beschlossen haben, die Menschenrechtsverletzungen und das ständig wachsende Elend nicht länger hinnehmen zu wollen.

Manchmal laden sie zu einem 20-minütigen Gespräch ein, das für manche mit 20 Jahren Gefängnis endet.

„Sie haben viele verschiedene Vorgehensweisen“, sagt der unter dem Namen Enrisco bekannte kubanische Schriftsteller und Humorist Enrique del Risco ohne zu zögern, als ich ihn nach den häufigsten Formen der Unterdrückung durch die Regierung frage. Es sind einfach so viele und es passiert so häufig, dass verschiedene Strategien der Repression langsam ineinander übergehen und zu einer dauerhaften Verletzung der Menschenrechte und der Menschenwürde werden.

Das Regime schickt seine Leute vor die Häuser der Gegner*innen, um sie zu beschimpfen und mit Steinen zu bewerfen. Sie werden ins Gefängnis gesteckt, in dunkle Räume, wo sie nicht wissen, ob es Tag oder Nacht ist. Ihre Familienangehörigen werden bedroht. Manchmal laden sie zu einem 20-minütigen Gespräch ein, das für manche mit 20 Jahren Gefängnis endet. Und das Schlimmste ist, dass so auch Kinder im Gefängnis landen, weil Kuba auch Minderjährige inhaftiert.

Direkt von der Straße oder auf Einladung

Im vergangenen Jahr erlebte Kuba die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Regierung hat die Doppelwährung abgeschafft, was an sich keine schlechte Idee war, nur hat der Zeitpunkt nicht gepasst. John Kavulich, der Vorsitzende des amerikanisch-kubanischen Wirtschaftsrats, sagte mir damals, dass dies eine Entscheidung sei, die ein Land in einer Zeit treffen sollte, wenn es über starke Devisenreserven verfügt und die Arbeitslosigkeit niedrig ist.

Allerdings war die Lage auf Kuba diesbezüglich schon damals sehr schlecht. Die Einnahmen aus dem Tourismus waren infolge der Pandemie stark zurückgegangen und die Abschaffung der Doppelwährung ging mit einer derartigen Inflation einher, dass die Kubaner*inne nicht einmal mehr ihre Stromrechnungen bezahlen konnten. Dann begannen die Waren in den Regalen auszugehen und das Land ging nahtlos von einer Wirtschaftskrise in eine Nahrungsmittelkrise über. Den Menschen riss endgültig der Geduldsfaden und sie begannen, Veränderungen zu fordern. Politische Veränderungen.
  Am 11. Juli 2021 erlebte Kuba die größte Demonstration seit der Revolution von Fidel Castro. Und anschließend wahrscheinlich die größten Repressionen. Anstatt Zugeständnisse zu machen, ergriff die Regierung sofortige Maßnahmen. Während die Menschen auf den Straßen schrien, dass sie nichts zu essen für ihre Kinder hätten, warf die Polizei sie unerbittlich zu Boden, drückte ihre Gesichter auf die kaputten Bürgersteige und verhaftete sie.

Die Organisation Justicia 11J, bestehend aus Aktivist*innen und Journalist*innen, hat Namen und Zahlen der Verhafteten überprüft. In einigen Fällen war es jedoch zu kompliziert, weil Menschen einfach verschwanden und niemand wusste, ob sie vermisst oder verhaftet waren. Die Polizei informierte die Familienangehörigen nicht, so dass es vorkam, dass verzweifelte Eltern oder Großeltern auf der Straße nach ihren minderjährigen Kindern suchten, die bereits seit mehreren Stunden hinter Gittern saßen. Das Verzeichnis von Justicia 11J weist über 1300 Häftlinge auf, von denen mehr als 700 vor Weihnachten immer noch inhaftiert waren.

Sie verhaften auch Kinder

Einige wurden erst später wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration verhaftet. Eine häufige Form der Unterdrückung ist laut Enrisco die so genannte citación. „Sie schicken jemandem eine schriftliche Vorladung, in der man aufgefordert wird, zur Polizeiwache zu kommen, und wenn man dort ankommt, geht es sofort zum Verhör, und zwar unter massiven Drohungen und Einschüchterungen“, erklärt er. Einige kehren an diesem Tag nicht nach Hause zurück.

Auch Minderjährige werden auf diese Art und Weise verhaftet. Barbara Farrat Guillen ist die Mutter des 17-jährigen Jonathan. Sie erzählte mir, was eines Tages im August geschah. Zwei Polizisten kamen zu ihrem Haus und forderten sie auf, mit ihnen auf die Wache zu kommen. Ihr Sohn hörte das, kam aus dem Zimmer und fragte, was los sei. Die Polizisten fragten ihn: „Bist du Jonathan Torres Farrat?“ Als er mit Ja antwortete, sagten sie: „Dann bist du derjenige, der mitkommt.“

Barbara sagten sie, sie dürfe nicht mitkommen und dass der Junge nur 20 Minuten auf der Wache bleiben würde. Doch es wurde viel länger und an Weihnachten war er immer noch nicht zu Hause. „Sie folterten ihn, schlugen ihn, warfen ihn 24 Stunden lang in einen kalten Raum“, so die verzweifelte Mutter. Im Gefängnis hat er sich angeblich mit Krätze angesteckt und über zwei Monate lang weigerten sie sich, ihm die benötigten Herzmedikamente zu geben.

Den Listen von Justicia 11J zufolge hat das kubanische Regime mindestens 45 Jugendliche verhaftet, von denen 14 zu Weihnachten noch immer im Gefängnis saßen. Auf Kuba liegt das gesetzliche Mindestalter für die Strafmündigkeit bei 16 Jahren. Aber auch 14- oder 15-Jährige werden dort inhaftiert. Wegen Sabotage, Störung der öffentlichen Ordnung oder Körperverletzung. Einigen drohen mehr als 20 Jahre hinter Gittern.

Im November „repete“

Für den 15. November planten die Kubaner*innen eine weitere Demonstration und das kubanische Regime weitere Verhaftungen. Dieses Mal begannen sie jedoch zeitiger mit den Vorbereitungen. „Wir kennen den acto de repudio auf Kuba schon seit langem“, sagt Henry Eric Hernandez. Das Regime schickt seine Leute vor die Häuser von Regimegegner*innen, sie werden angeschrien, beleidigt und oft auch mit Steinen beworfen. „Verbale Lynchjustiz“ nennt Enrisco das.

Saily Gonzalez Velazquez ist eine der Administrator*innen der Gruppe Archipiélago, einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit mehr als 30.000 Mitgliedern, die einen Wandel auf Kuba und dem Übergang zur Demokratie herbeiführen wollen. Ihr Haus wurde vor dem 15. November von wütenden Anhänger*innen des Castroismus belagert. (Laut Enrisco tun einige von ihnen das jedoch nicht freiwillig.) Die Regimeleute schrien sie an, hielten Schilder hoch und beleidigten sie und ihre Mutter.

Das Regime schickt seine Leute vor die Häuser von Regimegegner*innen, sie werden angeschrien, beleidigt und oft auch mit Steinen beworfen.

Häuser anderer Aktivisten wurden direkt durch die Polizei umstellt. Zum Beispiel das Haus von Yunior García, einem der Anführer von Archipiélago. Er durfte nicht zu der Demonstration gehen, und als er eine weiße Rose, das Symbol der Demonstration, aus dem Fenster zeigen wollte, wurden plötzlich riesige kubanische Flaggen vom Dach aus über alle Fenster heruntergelassen, um ihm die Sicht zu versperren. Einige Tage später ermöglichten sie ihm die Ausreise, um ihn ins Exil zu schicken. Nach Ansicht des Journalisten und Aktivisten Dimas Castellanos ist auch das eine Form der Unterdrückung, „auch wenn es kein Gesetz dafür gibt.“ Diejenigen, die unbequem sind, werden einfach weggeschickt.

Und andere wurden am 15. November in alter Manier verhaftet. So auch der Historiker Manuel Cuesta Morúa, der sofort mitgenommen wurde, als er sein Haus verlassen hatte. „Ich wurde soeben freigelassen“, schrieb er mir ein paar Stunden später auf WhatsApp. Ich frage ihn, ob er verhört worden ist. „Nein, sie haben mich nur eingesperrt und dann nachts wieder freigelassen.“ Er wird nicht einmal mehr verhört, aber wegen seiner Aktivitäten haben sie ihn ständig im Auge und verfolgen ihn. Auch das ist nach Ansicht von Enrisco eine Form der Unterdrückung: Überwachung.

Und was noch?

„Verschwindenlassen und Haft für Stunden, Tage oder Monate, wie im Fall des Sängers Maykel Osorbo und vieler anderer, Hausarrest ohne vorheriges Gerichtsverfahren“, zählt Castellanos auf. Er erwähnt Carolina Barrera, die 200 Tage lang unter Hausarrest bleiben muss, weil sie an der Demonstration am 15. November teilnehmen wollte.

„Drohungen gegen bestimmte Personen oder gegen Familienmitglieder, Kündigung des Jobs oder Rausschmiss aus der Schule, Abschaltung des Telefons oder anderer Kommunikationsmittel“, so Castellanos weiter. Auch er konnte mir erst nach einigen Tagen zurückschreiben, weil man ihm das Internet abgeschaltet hatte.

Das kubanische Regime kämpft hart, aber el pueblo, wie das Volk auf Spanisch heißt, kämpft ebenfalls hart und hat nicht vor, nachzugeben. Selbst wenn der Strom ausfällt und das Internet regelmäßig abgeschaltet wird, können sie sich etwas besser organisieren als damals, als sie noch überhaupt keine sozialen Netzwerke hatten. Sie wollen weder davonlaufen und ins Exil gehen, noch wollen sie sich unterwerfen und stillschweigend weiter im Elend leben. Die Rufe nach ihren Rechten sollen mindestens genauso laut sein wie die Rufe ¡Viva Fidel! oder ¡Viva la revolución!, zu denen die Polizisten sie nach einigen Stunden Schlafentzug im Gefängnis zwingen. Wenn nicht sogar noch lauter.

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