Migrant*innen aus Bangladesch in Tschechien  Zweimal den Traum von Europa und einmal Mango Lassi

Freiheit
Freiheit Foto: © Zbyněk Mucha

Wir werfen einen Blick in die indischen Restaurants Prags, deren Mitarbeiter*innen aus Bangladesch unter Bedingungen arbeiten, die für Europäer*innen kaum akzeptabel wären. Hier träumen sie ihre Träume vom Leben im Westen und wachen dann auf. Die, denen sie das Essen servieren, ahnen davon meist nichts. Das galt auch für mich – bis ich sie zur Vorbereitung auf eine Sprachprüfung in Tschechisch unterrichtete.

„An welchem Tag sind Sie geboren?“ Ich spreche Asif, den ältesten der drei Schüler, mit einer deutlichen Aussprache an. Heute haben wir das Thema Datum. Wir haben Tschechisch-Unterricht in einem sonnigen Klassenzimmer der Sprachschule, aber es riecht wie in dem indischen Restaurant, in dem die Schüler arbeiten.

Die Antwort überrascht mich: „Im Reisepass steht der 14. Juli 1985.“ Die Formulierung ist seltsam, aber als Lehrerin weiß ich, dass jede Unterrichtsstunde Überraschungen bereithalten kann, also zwinkere ich nur und antworte verständnisvoll: „Oh, du bist also am 14. Juli 1985 geboren, schönes Datum.“

„Nein, ich wurde am 14. Mai 1986 geboren.“

Ich muss sehr verwirrt aussehen, denn die beiden anderen fangen an zu lachen: „In Bangladesch funktioniert das nicht so wie in Europa, madam.“

Die Erkenntnis, dass nicht überall die Standesämter einen lückenlosen Überblick über die Geburtsdaten ihrer Bürger*innen haben, gibt mir ein intensives Gefühl der Parallelität. Ich dachte früher immer, dass sich unsere Lebenserfahrungen mehr oder weniger überschneiden. Der Kellner, mit dem man nur Englisch sprechen kann, ist hier, weil es seit seiner Jugend sein Traum war, Kellner zu werden. Er hatte wohl den Wunsch, in Prag zu arbeiten, und sein Glück hat in diesem indischen Restaurant auf ihn gewartet. Er ist jedes Mal hier, wenn ich zum Mittagessen herkomme, weil es hier so gut ist. Er lächelt, weil er Spaß an seiner Arbeit hat. Und die Musik, die er immer wieder hört, das sind seine Lieblingslieder.

Sind Blindheit oder Unsichtbarkeit schuld an diesen Mutmaßungen?
Beides.

Bangladescher*innen, die in die Tschechische Republik kommen, werden nicht als „Migrant*innen“ im negativen Sinne wahrgenommen. Als Besitzer von Arbeits- oder Studierendenvisa geben sie keinen Anlass zu großen Ressentiments. Oberflächlich betrachtet sind sie kaum von Inder*innen zu unterscheiden, die in der Regel für Hindus gehalten werden. Obwohl Bangladesch ein mehrheitlich muslimisches Land ist, wird es von uns nicht als solches wahrgenommen, so dass die politisch instrumentalisierte Verbindung zum Islam fehlt. Die meiste Zeit verbringen sie mit ihrer Arbeit, so dass wir sie nur selten zu Gesicht bekommen. Infolgedessen wissen wir sehr wenig über sie.

Drei Phasen der Migration aus Bangladesch

Die steigende Zahl ausländischer Arbeitnehmer*innen aus asiatischen Ländern mit Kurzzeitvisa entspricht einem europaweiten Trend. Laut Zbyněk Mucha, Indologe und Experte für Migration aus Bangladesch von der Karlsuniversität, ist eine fast identische Entwicklung der Migration aus südasiatischen Ländern im benachbarten Polen zu beobachten, wo, wie in der Tschechischen Republik, die Präsenz von Inder*innen, Nepali und Bangladescher*innen deutlich zunimmt. Mehr als 1400 Bangladescher*innen leben derzeit in der Tschechischen Republik, und es kommen immer mehr hinzu. Bei den meisten Neuankömmlingen handelt es sich um Männer mit Kurzzeitvisas.

Mucha zufolge lassen sich die Bangladescher*innen je nach dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in drei Phasen einteilen. Die erste Phase, die hauptsächlich in den 1970er und 1980er Jahren stattfand, war das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der sozialistischen Tschechoslowakei und dem damals ähnlich orientierten Bangladesch. Student*innen aus einer Reihe von Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas kamen mit Stipendien in die Tschechoslowakei. Im Falle Bangladeschs handelte es sich in der Regel um junge Männer, deren Familien Verbindungen zur damaligen politischen Elite Bangladeschs hatten. Viele der Neuankömmlinge blieben nach Abschluss ihres Studiums, heirateten, fanden Arbeit oder gründeten Unternehmen. Nach der Teilung der Tschechoslowakei entstand so ein Netz von Kontakten und Geschäftsstrukturen, auf das andere Neuankömmlinge in den folgenden Jahren, der zweiten Phase der Migration, aufbauten.

Die dritte Phase fällt dann in die Zeit nach 2015, als sich die Zahl der Bangladescher*innen in der Tschechischen Republik aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Arbeitskräften ungefähr verdoppelt hat. Während es in der ersten und zweiten Phase eine kleine, miteinander vernetzte Gruppe von Menschen gab, haben neu angekommene Bangladescher*innen oft keine strategischen Kontakte, sind allein und kennen nur ihre neuen Arbeitgeber*innen oder ein paar Mitschüler*innen von der Hochschule.

Der Traum von Europa

Einer der Vertreter*innen der neuen Generation ist Asif. Auf Drängen seines Vaters, der wollte, dass sein Sohn Arzt wird, studierte er Mikrobiologie in Dhaka. Nach seinem Abschluss beschloss er, sein Glück in London zu suchen, wo ein Freund lebte. Er arbeitete dort zwei Jahre lang in einem Schnellrestaurant. Sein Versuch, zusammen mit seinem Freund ein eigenes Geschäft zu eröffnen, scheiterte nach einer Reihe von Problemen, darunter die Nichtverlängerung seines Visums, und er musste das Land verlassen. Nach seiner Rückkehr nach Bangladesch arbeitete er zweieinhalb Jahre lang als Personalleiter in einer Bekleidungsfabrik, die für europäische und andere Märkte produzierte. Die Arbeit war jedoch zeitintensiv und schlecht bezahlt, so dass er sich entschloss, das Land erneut zu verlassen, um zu studieren. Das war 2017.

„Ich habe mich an eine Agentur gewandt, die Studierenden bei der Ausreise hilft. Neuseeland kam in Frage, weil eine Verwandte dort studierte. Aber sie sagten mir, dass es eine Möglichkeit gäbe, in die Tschechische Republik zu gehen, und dass dort Visa schnell ausgestellt würden. Ich wusste nichts über die Tschechische Republik, aber ich dachte mir, warum nicht. Das Einzige, was ich wusste, war, dass das Land irgendwann einmal um einen Fußballpokal gespielt hatte. Ich kam nach Hause und suchte im Internet nach der Tschechischen Republik. Anhand von YouTube-Videos mit Aufnahmen von Prag urteilte ich, dass es ein schönes Land ist.“

Wie Asif die Wahl seiner Destination beschreibt, zeigt, dass die Entscheidung, in welches westliche Land es gehen soll, eher zweitrangig ist. Mucha weist darauf hin, dass ein Wort, das im Zusammenhang mit der Migration häufig fällt, der Traum ist. Der Traum von Europa, die Vorstellung vom Leben im Westen. Der Traum ist nicht unbedingt eine idealisierte Vorstellung davon, wie das Leben in Europa funktioniert, sondern auch das teilweise Erreichen europäischer Standards: „Der Traum handelt davon, im realen Leben einen Arbeitsplatz zu finden, sozial abgesichert zu sein, sich zumindest das Nötigste leisten zu können und zu wissen, dass man seine Familie ernähren kann.“

In Bangladesch hat sich ein ganzer Wirtschaftszweig um das Geschäft mit den Träumen gebildet. Man kann von einer etablierten internationalen „Migrationsindustrie“ sprechen, die sich auf die Vermittlung von Dienstleistungen für Migrant*innen stützt. Finanzielle Rücküberweisungen, das heißt Geld, das von arbeitenden Bangladescher*innen im Ausland verdient und nach Bangladesch zurückgeschickt wird, sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die bangladeschische Wirtschaft. Migration wird hier als kulturelle Konstante betrachtet; praktisch jede*r kennt eine Person, die ausgewandert ist. Dennoch geht nur ein Bruchteil der Bangladescher*innen nach Europa, die häufigsten Ziele sind die Länder des Nahen Ostens. Asif selbst hat seinen Vater, der in Saudi-Arabien arbeitete, zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren gesehen.
 
Unterwegs

Unterwegs | Foto: © Zbyněk Mucha

Welcome to Prague

Asif hat das Aufnahmeverfahren an einer der Prager Hochschulen erfolgreich absolviert. Der Plan war, hier seinen Master of Business Administration zu machen und dann einen Job zu finden.

„Ein Freund von mir, ebenfalls ein Student aus Bangladesch, wartete am Flughafen auf mich. Er begleitete mich zum Strahov-Wohnheim. Die Unterkunft hatte ich selbst vorher online gebucht, sie kostete 1.500 Kronen [etwa 60 Euro] pro Monat.

Ich hatte kein Smartphone, also nahm mich mein Freund mit nach Chodov, wo sie gebrauchte Telefone verkauften. Die Gebühren für Anrufe waren sehr hoch, zehn Minuten Telefonieren nach Bangladesch kosteten 200 Kronen [etwa 8 Euro]. Ich hatte keine mobilen Daten, ich wusste nichts. Dann fand ich heraus, dass es an den Straßenbahnhaltestellen kostenloses Wifi gab. Ich begann, in verschiedene Restaurants zu gehen und nach Arbeit zu suchen. Aber überall sagte man mir, ich müsse Tschechisch sprechen. Ich musste Teilzeit arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, während ich studierte.“

Über einen Freund fand er schließlich einen Job. „Er gab mir die Adresse eines Bangladeschers, der seit zwanzig Jahren hier lebte und ein indisches Restaurant in Vinohrady besaß. Wir einigten uns darauf, dass ich dort für 52 Kronen [etwa 2 Euro] pro Stunde arbeiten würde, unter der Bedingung, dass ich kommen kann, wenn ich gerade keine Vorlesungen habe.“

Doch am Ende des Monats musste Asif feststellen, dass er zwar viel gearbeitet hatte, der Verdienst aber gering war. Er wusste, dass er etwas verändern musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. „Ein Freund aus Afrika sagte mir, ich könne am Flughafen Koffer verladen. Er sagte, wenn ich zwei- bis dreihundert Koffer am Tag schaffen würde, wäre das auch mit dem Trinkgeld ein ordentlicher Verdienst. Ich verdiente 1.200 Kronen [etwa 48 Euro] in zwölf Stunden, plus weitere 500 [etwa 20 Euro] an Trinkgeld, das war gut. Uni war an etwa drei Tagen in der Woche. Wenn nicht, habe ich gearbeitet. Die Schicht begann um fünf Uhr morgens. Um zwei Uhr nachmittags war ich fertig, aß, ruhte mich ein wenig aus und arbeitete von vier bis zehn im Restaurant. Um elf war ich zu Hause. An vier Tagen in der Woche schlief ich dreieinhalb Stunden pro Tag. An den Tagen, an denen ich Uni hatte, war ich wahnsinnig müde. Ich war geistig schlecht drauf, mein Gehirn funktionierte nicht. Ich habe abgenommen.“

Nach mehreren Monaten in diesem Modus traf Asif in der Moschee in der Vodičkova-Straße einen Bangladescher, der schon lange in Prag lebte. Er appellierte an Asif, dass er lieber dafür sorgen sollte, seine Familie finanziell abzusichern, als mit unsicheren Aussichten weiter zu studieren. Da der Mann ein indisches Restaurant besaß, rief Asif ihn nach einigen Tagen des Nachdenkens an und teilte ihm mit, dass er sein Studium aufgeben und bei ihm arbeiten wolle. Wie Rechtsanwalt Kostelecká betont, ist die Beantragung eines Wohnsitzwechsels ein schwieriges Verfahren, das oft mit einer Ablehnung endet. Für Asif ist das stressige Verfahren gut ausgegangen.

Asif arbeitete fünf Jahre lang in dem zweiten Restaurant. „Verglichen mit dem ersten war es in diesem Restaurant sehr schön. Ich habe jeden Monat Geld bekommen. Das Gehalt betrug 12.000 Kronen [etwa 480 Euro] im Monat, und sie bezahlten Steuern und Unterkunft. Als Kellner verdiente ich außerdem fast 9.000 Kronen [etwa 360 Euro] Trinkgeld pro Monat. Ich habe sechs Tage die Woche gearbeitet, elf bis zwölf Stunden am Tag.“

Als das Restaurant während der Coronapandemie geschlossen wurde, fand Asif eine Stelle in einem Restaurant in der Altstadt, wo er auch heute noch arbeitet. „In den meisten Restaurants gibt es keinen bezahlten Urlaub. Ich hatte Glück, mein Arbeitgeber bezahlt meinen Urlaub. Die Besitzer sagen ihren Angestellten oft, dass sie Steuern zahlen müssen, wenn sie einen Monat Urlaub nehmen um nach Bangladesch zu fahren, sonst sagen sie es dem Ministerium und die Angestellten bekommen Ärger.“

Asif ist mit seinem dritten Restaurant sehr zufrieden. „Ich arbeite nur noch vier bis fünf Tage pro Woche. Mein Verdienst liegt jetzt bei 26.000 [etwa 1.040 Euro] einschließlich Versicherung und Steuern. Dazu kommt das Trinkgeld, das manchmal höher ist als der eigentliche Lohn. Es kommen viele Touristen dorthin. Ich bin entweder von elf bis neun oder von neun bis zehn Uhr auf der Arbeit. Ich bereite die Tische und den Garten vor und sorge dafür, dass alles in Ordnung ist. Wenn die Gäste reinkommen, nehme ich die Bestellungen auf. Wenn es ein Problem gibt, rufe ich den Besitzer an, ich muss mich um nichts kümmern.“

Asif ist sich bewusst, dass er vom ersten Besitzer ausgenutzt wurde. „Wenn jemand hier neu ist, versuchen die Restaurantbesitzer, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie befinden sich in einer günstigen Position, weil sie wissen, dass der Neuankömmling nicht weiß, wie die Dinge laufen sollten.“

Gebunden an die Arbeitnehmerkarte

Das Problem der Ungleichheit zwischen Arbeitgeber*innen und ausländischen Arbeitnehmer*innen wird auch von Barbora Kostelecká hervorgehoben, einer Rechtsanwältin, die Klient*innen der Menschenrechtsorganisation Association for Integration and Migration rechtlich berät. Sie spricht von einem Ungleichgewicht, bei dem auf der einen Seite eine Person mit Kenntnissen des lokalen Systems steht und auf der anderen Seite eine aus dem Ausland, die keinen Zugang zu den notwendigen Informationen hat. Und das ist natürlich ein großes Problem.

„Ich habe zum Beispiel oft mit unbezahlten Überstunden zu tun. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Arbeitgeber den Nettolohn auszahlt, dann aber von den Angestellten verlangt, dass sie die für sie gezahlten Versicherungsbeiträge zurückzahlen. Außerdem muss ich meinen Klienten oft das Konzept des Urlaubs erklären – nicht nur, dass man nicht arbeitet, sondern dass man während seiner Abwesenheit bezahlt wird. Selbst dass es gesetzlich vorgeschriebene Pausen gibt, ist Bürgern anderer Länder oft nicht klar.“

Was das Leben von Drittstaatsangehörigen zu sehr bestimmt, ist die Tatsache, dass die Möglichkeit, sich im Land aufzuhalten, direkt mit einem Langzeitaufenthalt verbunden ist. „Die Art und Weise, wie Ausländer Probleme lösen können, hängt von dem rechtlichen Status der jeweiligen Person in unserem Land ab. Wenn die Aufenthaltsgenehmigung eines Menschen an eine Arbeitnehmerkarte und somit an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden ist, ist das oft sehr problematisch.“ Mit anderen Worten: Wenn Ausländer*innen Probleme mit ihren Arbeitgeber*innen haben, ziehen sie es oft vor, die Angelegenheit nicht zu klären, denn der mögliche Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet auch den Verlust der Möglichkeit, legal hier zu bleiben. Der Wechsel von Arbeitgeber*innen ist für Ausländer*innen oft kompliziert und im Falle einer Arbeitnehmerkarte in den ersten sechs Monaten des Aufenthalts praktisch unmöglich. Da es sich Ausländer*innen nicht leisten können, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren, nachdem sie finanziell und psychisch alles in die Migration investiert haben, verharren sie oft lieber in einer für sie sehr ungünstigen Situation.
 
Aloo begun. Ich habe Aman gebeten, seinen Tag zu dokumentieren.

Aloo begun. Ich habe Aman gebeten, seinen Tag zu dokumentieren. | Foto: © privat

Migration als Luxusgut

„Manchmal komme ich mir vor wie ein Außerirdischer“, antwortete mir Aman einmal, als ich ihn fragte, wie er sich in Prag fühle. Aman ist neunundzwanzig. Er liest gerne, und das merkt man ihm an. Nachdem er in Bangladesch seinen Bachelor-Abschluss in BWL gemacht hatte, arbeitete er eine Zeit lang bei der Tageszeitung Svoboda. In Tschechien arbeitet er schon seit sechs Jahren als Koch in indischen Restaurants.

Er erzählt mir, wie alles für ihn angefangen hat. Als er sagt, dass er 16.000 Kronen [etwa 640 Euro] für zwölf Stunden Arbeit an sechs Tagen in der Woche bekam und der Restaurantbesitzer ihm sagte, dass er anderswo genauso oder noch schlechter bezahlt würde, und ihm drohte, dass er seinen Daueraufenthalt verlieren würde, sollte er den Job wechseln, fühle ich mich schon schlecht. Aber da weiß ich noch nicht, was im nächsten Satz kommt: „Ich habe dem Restaurantbesitzer 10.000 Euro für ein Visum gegeben. Die meisten Bangladescher machen das auch. Er versprach mir, dass ich 3.000 Euro verdienen würde, aber in Wirklichkeit waren es 16.000 Kronen. Ich habe das Geld im Voraus bezahlt. Er behauptete, dass der Mindestlohn in dem Land über 2.500 Euro liege und dass ich noch mehr verdienen würde, wenn ich gut arbeite. Als ich ankam, war ich völlig schockiert, dass alles eine Lüge war.

Ich habe mein Geld nicht zurückbekommen. Als meine Vorgesetzten im Restaurant mich anschrien, dass ich ja gar nichts könne, dachte ich mir, dass ich sowieso umsonst arbeite, denn was ich bekam, hatte ich selbst im Voraus bezahlt. Bis heute hasse ich diesen Kerl. Er war der Nachbar meiner Familie in Bangladesch, ich habe ihm vertraut. Er hat nicht das Gefühl, dass er etwas falsch macht. Ich habe gehört, dass mit dem Geld, das er auf diese Weise von mir und zwei anderen Arbeitern bekommen hat, ein weiteres Restaurant aufgemacht werden soll.“ Seiner Familie, die seine Reise nach Europa bezahlt hat, erzählte er nichts von dem Vorfall.

Die Migration wird häufig von so genannten Dalals vermittelt, die auch als Traumverkäufer bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um informelle Vermittler, sehr oft entfernte Verwandte, die im Ausland leben, oder in Dörfern oder kleineren Städten anwerben. Diese Anwerber werden auch von Arbeitsagenturen angeheuert und bewegen sich weitgehend in einer Grauzone außerhalb der offiziellen Strukturen. Obwohl der bangladeschische Staat einige Anstrengungen zur Regulierung der Migration unternommen hat, indem er beispielsweise Agenturen als einzige legale Migrationsvermittler zugelassen hat, werden diese Regeln in der Praxis kaum durchgesetzt. Und die Menschen, die für Reisearrangements bezahlen, zahlen nicht selten drauf.

Nicht jeder ist im selben Maße darüber informiert, wie das Leben in Europa aussieht. Laut dem Indologen Zbyněk Mucha ist es jedoch keineswegs außergewöhnlich, dass die Menschen relativ gut informiert sind, und vorbereitet auf das, was sie erwartet. „Es gibt viele Gruppen in den sozialen Medien, in denen man sich darüber austauscht, dass die Dinge nicht ganz so rosig sind. Auf der anderen Seite gibt es eine bestimmte Gruppe von Menschen, oft einfach Leute ohne Kontakte im Zielland, die Agenturen bezahlen und sagen: Bringt mich hin. Diese Person hat Geld und die Zustimmung der Familie und erwartet, dass sie für ihr Geld das bekommt, was versprochen wird. Aber es gibt eine Reihe von betrügerischen Agenturen, die genau von dieser Unwissenheit der neuen Migranten profitieren. Junge, relativ solvente Männer, denen das Blaue vom Himmel versprochen wird, sind dann oft das Ziel der Anwerber. Wenn sie in Europa ankommen, stellen sie fest, dass sie betrogen wurden.“

Mucha weist auch darauf hin, dass wir zum Verständnis der bangladeschischen Emigranten berücksichtigen müssen, dass das Auswandern nach Europa in Bangladesch als „Luxusgut“ angesehen wird. Es ist ein Produkt, das viele erlangen wollen, aber nicht alle schaffen es. Und eben die Tatsache, dass es für Menschen aus Bangladesch schwierig ist, auf dem europäischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der Grund für die hohen Preise. Wenn die Auswanderung gelingt, ist die konkrete Form des Erfolgs nicht so wichtig, selbst wenn sie unter für Europäer*innen inakzeptablen Bedingungen erfolgt. Die Migration nach Europa an sich ist das Ziel. Die Maßstäbe dessen, was viele Menschen aus Asien dafür zu ertragen bereit sind, unterscheiden sich von denen in Europa. „Um die Perspektive bestimmter Menschen zu verstehen, muss man auch bedenken, dass das, was wir für inakzeptabel halten, die Lebensrealität eines großen Teils der Gesellschaft in Bangladesch ist. Viele Neuankömmlinge entscheiden sich bewusst für jahrelange harte Arbeit und ein Leben in dieser sehr schwierigen Situation. Sie opfern sich für ihre Familien und für ein besseres Leben auf, das in Bangladesch noch in weiter Ferne liegt.“ Die Prämisse, dass es den Migrant*innen hier schlecht geht, sagt also wenig darüber aus, wie sie selbst ihre Situation wahrnehmen.

Geteilte Verantwortung

Mucha zufolge ist die Frage, wer für Geschichten wie die von Aman verantwortlich ist, schwer zu beantworten. „Zunächst einmal ist die Infrastruktur für die Auswanderung in Bangladesch sehr undurchsichtig, und es sind eine Reihe von Akteuren beteiligt, darunter auch die tschechische Botschaft in Neu Delhi. Dieses System gibt vor, klar strukturiert zu sein und dass die Gesetze funktionieren, aber eine Reihe von Einzelpersonen und Personengruppen missbrauchen es aktiv zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn es Probleme gibt, ist es leicht, mit dem Finger auf bestimmte Personen zu zeigen, um die Schuldigen zu finden. Am liebsten auf den Dalal, der sozusagen außerhalb des Systems steht.“

Die bereits erwähnte Abhängigkeit Bangladeschs von Rücküberweisungen stellt in diesem Zusammenhang ebenfalls ein großes Problem dar. Das System der Ausstellung von Arbeitnehmerkarten ist kontingentiert, sodass pro Jahr nur eine begrenzte Anzahl von Karten für eine bestimmte Region ausgestellt wird. Bangladesch fällt unter die Vertretung in Delhi, für die eine jährliche Obergrenze von eintausendeinhundert Karten gilt. Die Tatsache, dass Bangladesch hierbei mit dem wesentlich bevölkerungsreicheren Indien konkurriert, führt dazu, dass es wenig Anreiz hat, sich für die Rechte der Arbeitnehmer*innen einzusetzen, denn wenn es zu einem Problem für den Aufnahmestaat wird, könnte es einen Wettbewerbsnachteil erleiden.

Auch im Falle Europas können wir von erheblichen Problemen auf Seiten der Aufnahmeländer sprechen. Sie beginnen mit der Art und Weise, wie die Migrant*innen behandelt werden. „Sie werden als billige Arbeitskräfte angesehen, und wenn wir sie nicht mehr brauchen, schicken wir sie zurück. Diese Menschen werden wie eine Ware behandelt. Die Staaten sind nicht verpflichtet, die Visumspflicht zu verlängern. Die Frage ist, was mit ihnen geschieht, wenn das Visum nicht verlängert wird. Im Idealfall stellen wir uns vor, dass die Menschen ausreisen, wenn ihr Visum abläuft, aber das ist natürlich nicht der Fall. Oder wir schicken sie zurück, was sehr teuer ist, also wird auch das nicht passieren. Und deshalb ist es so einfach, ausländische Arbeitskräfte auszubeuten. Die Gesetze lassen das zu, es gibt nicht viel Schutz. Die Tschechische Republik weiß, wie die Anwerbung von Arbeitskräften abläuft, wie intransparent das System ist und wie wir durch unsere Aktivitäten und unser Desinteresse dazu beitragen, dass es so weitergeht. Natürlich tragen wir einen großen Teil der Verantwortung“, sagt Mucha.
 
Wirst du Erfolg haben, wenn du mich verlässt?

Wirst du Erfolg haben, wenn du mich verlässt? | Foto: © Zbyněk Mucha

Familienprojekt

Die Enttäuschung und der Vertrauensverlust, die Aman nach seiner Ankunft in Europa erlebte, sind immer noch ein schmerzhaftes Thema für ihn. Er lässt seine Familie in dem Glauben, dass es ihm in Europa gut geht und er erfolgreich ist. „Wenn sie die Wahrheit wüssten, würden sie sich schlecht fühlen. Meine Mutter weint immer noch jedes Mal, wenn wir uns sprechen. Ich bin ihr jüngstes Kind, sie hätte mich gerne bei sich. Ich habe Angst. Meine Mutter wird älter und ist krank. Sie ruft mich jeden Tag an. Sie weiß nicht wirklich, welcher Arbeit ich nachgehe. Das macht mich sehr traurig. In unserer Kultur opfern die Eltern alles für uns.“

Das Trauma nicht teilen zu können, kann zur Isolation von der Familie führen, die ohnehin bereits Tausende von Kilometern entfernt ist. Amans Worte verdeutlichen auch die Tatsache, dass Bangladescher*innen nicht nur für sich selbst auswandern. Das Ziel der Auswanderung ist es, das Leben der gesamten Familie zu verbessern, und oft sind es Familienmitglieder, die die Reise finanzieren. Manche leihen sich Geld von ihren Eltern, um es ihnen in den ersten Jahren in Europa zurückzuzahlen, oft verkaufen sie auch Grundstücke und nehmen Hypotheken auf andere Vermögenswerte auf. In anderen Fällen verschulden sich die Menschen durch Wucherkredite. Außerdem können die Schulden eine Rückkehr nach Bangladesch unmöglich machen: Wenn die Migrant*innen feststellen, dass die Dinge anders sind, als ihnen gesagt wurde, sitzen sie in der Falle, weil sie keine Chance haben, ihre Schulden in Bangladesch zurückzuzahlen.

„Der Grund, warum so viele Menschen Bangladesch verlassen, ist die hohe Arbeitslosigkeit. Viele Menschen sehen in der Migration den einzigen Ausweg. Sie können es sich oft nur leisten, nach Europa zu gehen, weil ihr Vater oder ihre älteren Brüder zum Arbeiten in den Nahen Osten gegangen sind. Ich höre oft Geschichten wie ‚bevor mein Vater oder älterer Bruder nach Bahrain ging, hatten wir nichts, jetzt geht es uns gut. Wir haben mehr Land gekauft, mein jüngerer Bruder studiert an der Universität, wir konnten unser Kind zum Studium ins Ausland schicken...‘ Die Leute schicken Fotos nach Hause, auf denen natürlich nur die schönen Dinge zu sehen sind, und die schlimmen Dinge bekommen die Angehörigen gar nicht erst mit“, sagt Mucha.

Wenn die Nüchternheit einsetzt, lösen einige ihre Situation, indem sie in die Illegalität flüchten und in ein anderes europäisches Land ziehen. Das ist eine riskante, aber bewährte Vorgehensweise. „Natürlich kann man in einem neuen Land nicht legal arbeiten, aber das macht nichts, denn viele Menschen sind damit erfolgreich, nur wenige sind es nicht, und die Vorteile sind enorm. Das ist das gängige Narrativ und eine ziemlich verbreitete Praxis.“

Aman bestätigt, dass viele Migrant*innen darüber nachdenken, ihr Glück in einem anderen Land zu versuchen als in dem, für das sie ein Visum erhalten haben. „Ich hatte einen Freund, der zwei Monate lang jeden Tag weinte. Alle dachten, er würde in Europa erfolgreich sein. Er erzählte mir, dass er morgens um fünf Uhr anfängt zu arbeiten und abends zurückkommt, dass er nicht genug verdient. Dann warf er seine Ausweispapiere in Portugal weg und nutzte die Tatsache, dass Portugal zu dieser Zeit Migrant*innen, die illegal eingereist waren, die Möglichkeit einer Legalisierung ihres Aufenthalts bot. Jetzt hat er einen portugiesischen Pass. Aber wenn er nach Bangladesch reist, braucht er ein Visum. Als er in Portugal war, starb seine Mutter. Er konnte nicht dorthin reisen. Die Entscheidung ist ihm sehr schwergefallen.“ Aman selbst ist sich in diesem Punkt sicher: „Ich habe nie über diese Möglichkeit nachgedacht. Wenn ich hier keinen Erfolg habe, werde ich nach Bangladesch zurück gehen. Ich habe eine Frau, eine Familie, ich muss eine Chance haben, zurückzukommen.“

Reisepass mit 100 Stempeln

Aman arbeitete sechs Monate lang in seinem ersten indischen Restaurant, dann zog er weiter. Sie zahlten 18.000 Kronen [etwa 720 Euro], und er arbeitete zwölf Tage die Woche. Nach einem Jahr wechselte er in ein drittes indisches Restaurant, wo er immer noch als Koch arbeitet. Die Arbeitszeiten sind dieselben geblieben. Zusätzlich zu den 35.000 Kronen [etwa 1.400 Euro] im Monat zahlt sein Arbeitgeber seine Unterkunft. Eine Variante des Happy Ends? Aman sieht das anders: „Ich habe meine Freiheit verloren, ich habe meinen Traum verloren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal in einem Restaurant kochen würde. Ich wusste nicht einmal, wie man ein Ei kocht. Ich träumte davon, dass ich, wenn ich einmal sterbe, einen Reisepass haben würde, in dem steht, dass ich hundert Länder besucht habe. Und dass es in meinem Haus ein Zimmer mit einer Bibliothek geben würde, in der mindestens dreitausend Bücher stehen würden, die ich gelesen hätte.

Jede Nacht denke ich daran, wie ich einschlafe und dann aufwache und zur Arbeit gehen muss. Schlaf bedeutet Arbeit. Wenn ich aufwache, muss ich mich für die Arbeit fertig machen. Deshalb versuche ich, später ins Bett zu gehen, es aufzuschieben. Ich fühle mich wie ein Schüler, der morgens nicht zur Schule gehen will. Es ist, als ob meine Eltern mich zwingen würden, zur Schule zu gehen. Derjenige, der mich zwingt, ist unsichtbar, aber er zwingt mich“. Mit solchen Gefühlen ist er nicht allein. Außer Aman und Asif habe ich noch drei weitere Restaurantangestellte aus Bangladesch unterrichtet. Der Kurs begann um acht Uhr morgens, sonst hatten sie keine Zeit. Sie sahen alle viel zu oft erschöpft aus.

Das Einkommen hat sich verbessert, aber die Arbeitsbedingungen machen Aman zu schaffen. Als er sich vor einiger Zeit in einem Restaurant mit heißem Wasser an Händen und Beinen verbrühte, erlaubte ihm sein Arbeitgeber erst nach zwei Wochen, einen Arzt aufzusuchen. Er sagte, es gäbe einen Mangel an Arbeitskräften und Amans Krankenhausaufenthalt würde dem Unternehmen Verluste einbringen. Angesichts des drohenden Verlusts seines Visums widersprach Aman lieber nicht. Arbeitsbedingungen? Ich erinnere mich an einen Satz, den der Indologe Mucha während unseres Gesprächs zitierte: „Working conditions is a fancy word.“ Mit anderen Worten: Wenn man die Möglichkeit hat, über die Arbeitsbedingungen zu sprechen, ist das schon ein Zeichen dafür, dass es einem nicht allzu schlecht geht.

In einem Punkt sind sich die Bangladescher einig: Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kommen, haben sie in der Regel keine Energie für etwas anderes als für das Scrollen im Internet. Aman ist seit kurzem verheiratet und hat noch keine Kinder, aber Asif macht sich Sorgen, wie sich die Arbeit auf die Beziehung zu seiner achtjährigen Tochter auswirken wird. Er befürchtet, dass er die Kindheit seiner Tochter verpassen und sich von ihr entfremden wird: „Meine Tochter geht jetzt in die erste Klasse. Sie ist bis vier Uhr in der Nachmittagsbetreuung, und ich habe nach neun Uhr Feierabend. Wenn meine Frau und ich abends von der Arbeit nach Hause kommen, schläft unsere Tochter, und wir wissen nicht wirklich, was sie zu Hause gemacht hat, nur dass sie an ihrem Tablet oder Telefon war. Ich habe keine Zeit, mich mit ihr zu beschäftigen. Gelegentlich fragt sie mich etwas, und ich sage ihr, dass sie eine Minute warten soll, aber dann vergessen wir beide es oft. Ich bin erschöpft, und meine Frau ist es auch. Ich kann mir nicht mehr als zwei Tage am Stück frei nehmen, um mit meiner Familie irgendwohin zu fahren, weil wir zu wenig Personal haben. Wenn ich die Daueraufenthaltsgenehmigung habe, möchte ich eine andere Arbeit finden, vielleicht in einem Supermarkt oder einem Café, wo man nicht abends arbeiten muss.“
 
Fancy words

Fancy words | Foto: © Zbyněk Mucha

Eine Zukunft mit Daueraufenthaltsberechtigung

Einige Monate nach unserem ersten Gespräch ist Asifs Traum von einer passenderen Arbeit näher gerückt: Er hat eine Daueraufenthaltsberechtigung erhalten. Ich frage ihn, wie er sich angesichts dieser Nachricht fühlt. „Ich bin jetzt frei. Vorher war ich das nicht, weil meine Aufenthaltsberechtigung an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden war, so dass ich keine Wahl hatte. Manchmal wollte ich etwas sagen, aber ich zog es vor zu schweigen.“

Für Drittstaatsangehörige bringt die Erteilung einer Daueraufenthaltsgenehmigung eine Reihe von Vorteilen mit sich, darunter der freie Zugang zum Arbeitsmarkt. Voraussetzung dafür ist, dass Ausländer*innen fünf Jahre lang legal in der Tschechischen Republik gelebt (wobei das Studienjahr bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer nur als halbes Jahr zählt) und eine Prüfung der tschechischen Sprache bestanden haben. Das erforderliche Niveau wurde 2021 von A1 auf A2 angehoben. Wie Asif selbst sagt, kann das scheinbar niedrige Niveau für Ausländer*innen eine große Herausforderung darstellen.

„Ich weiß, wenn ich in einem tschechischen Umfeld gearbeitet hätte, wäre ich nach all den Jahren in der Lage gewesen, gut Tschechisch zu sprechen. Aber mit den Kollegen spricht man normalerweise Bengali, Hindi oder Englisch. Diejenigen, die am Wochenende einen Tag in der Woche frei haben, haben keine Chance, die Sprache zu lernen. Die Schule ist dann geschlossen und sie schaffen es an diesem einen Tag kaum, sich zu etwas aufzuraffen.“

Asif denkt nicht an die Vergangenheit und seine zerstörten Träume, damit er weitermachen kann. Er hat eine klare Vorstellung von seiner Zukunft: Er will kein Angestellter sein. „Jetzt will ich eine Zeit lang hart arbeiten, etwas Geld sparen und dann mein eigenes Geschäft eröffnen. Ich möchte ein bangladeschisches Restaurant haben, kein indisches, denn die indische Küche kennt hier schon jeder. Meine Frau könnte einen Konditorkurs machen, damit wir auch Desserts verkaufen können. Ich habe nicht vor, nach Bangladesch zurückzukehren. Ich würde wieder bei null anfangen.“

Aman hat einen sehr ähnlichen Plan. Vorrangiges Ziel ist es, die Prüfung zu bestehen und eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Gleich danach will er seine Frau in die Tschechische Republik holen. Aman beschreibt die vor ihr liegende Reise als einfach, wahrscheinlich auch in Anbetracht seiner eigenen extremen Erfahrungen als einer der Migrant*innen der ersten Generation, die ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert waren. „Sie wird ein- oder zweimal nach Indien fahren müssen, weil es in Bangladesch keine tschechische Botschaft gibt, dann kaufen wir Flugtickets und das war`s.“

Amans Frau erwartet keine Zukunft im Restaurant: Sie verdient ihren Lebensunterhalt mit der Erstellung von Websites. Aman möchte mit einem Freund ein eigenes Restaurant eröffnen, aber sie haben sich noch nicht entschieden, welche Art von Küche sie anbieten werden. Außerdem plant er, Textilien aus Bangladesch zu importieren. Auch er würde es vorziehen, in der Tschechischen Republik zu leben. Allein schon deshalb, weil eine tschechische Ausbildung bessere Aussichten für seine zukünftige Familie bedeutet.

Aman lebt derzeit mit zwei Kollegen in einer Wohnung, die der Restaurantbesitzer zur Verfügung stellt. Wenn Amans Frau nachkommt, teilt der Besitzer dem Paar eine andere Wohnung zu. Aber Aman muss sich nicht allzu sehr beeilen mit dem Umzug: Angesichts des langwierigen Genehmigungsverfahrens wird der Prozess wahrscheinlich noch mehrere Monate dauern.
 
Erhalt der Daueraufenthaltsgenehmigung. Zeichnung von Asifs Tochter.

Erhalt der Daueraufenthaltsgenehmigung. Zeichnung von Asifs Tochter. | © privat

Mangobaum

„Ich fühle mich, als würde ich einen Stein gegen einen Mangobaum werfen, vielleicht treffe ich eine Frucht, vielleicht auch nicht“, fasste Aman in unserer letzten Unterrichtsstunde zusammen, was er von der Tschechisch-Prüfung hielt, auf die ich ihn und die anderen Bangladescher vorbereitet habe. Er sagt, die Sprache sei das Einzige, was er an der Tschechischen Republik nicht mag. Abgesehen vom Schwierigkeitsgrad der tschechischen Sprache machte er sich auch Sorgen darüber, dass er sich bei seinem Arbeitspensum nicht auf das Lernen konzentrieren kann.

Ein paar Monate später bin ich gerade auf der Mánes-Brücke, als ich eine Nachricht von Aman erhalte. Er hat die Prüfung nach mehreren Versuchen bestanden.
 
„Ihre Prüfung war erfolgreich. Weitere Informationen erhalten Sie von der Schule. Bitte nicht antworten, nicht telefonieren.“

„Ihre Prüfung war erfolgreich. Weitere Informationen erhalten Sie von der Schule. Bitte nicht antworten, nicht telefonieren.“


Es ist Morgen. Ich gehe über die Brücke ins Zentrum von Prag, wo Aman bald mit dem Schneiden von kiloweise Gemüse beginnt und Asif ein paar Straßen weiter Tische für neue Kund*innen vorbereitet. Ich erinnere mich an einen Satz, den Asif gesagt hat, nachdem er seine Daueraufenthaltsgenehmigung erhalten hatte:

„Ich bin nicht mehr im Gefängnis.“

Interaktives Memory 

Perspectives_Logo Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift revue Prostor, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

Das könnte auch von Interesse sein

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.

Empfehlungen der Redaktion

Failed to retrieve articles. Please try again.

Meistgelesen

Failed to retrieve articles. Please try again.