Im Kampf gegen Rassismus, Ausländerhass und Proletentum schicken die Macher der kontroversen tschechischen Comedy-Serie Most! den Humor an die vorderste Front.
Unweit der tschechischen Grenze zu Sachsen liegt das 70.000-Einwohner-Städtchen Most. Es wird auf der Landkarte gern mal übersehen, obwohl Most in ganz Böhmen und Mähren berühmt-berüchtigt ist wegen seiner sozialen Probleme. Deren heutiges Ausmaß ist eine Folge der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung im letzten Jahrhundert und vor allem des Braunkohletagebaus zur Zeit des Kommunismus.In der Stadt Most mit ihren sozialen Ungleichheiten (und der relativ großen Roma-Minderheit) konnten seit den 1990er Jahren antidemokratische und gegen das System gerichtete politische Gruppierungen sämtlicher politischer Richtungen bereits einige Male Erfolg feiern. So wurde Most zu einer Art Symbol für tschechischen Kleinstadt-Nationalismus und allem, was dazu gehört. Die Stadt ist aber auch ein Schaukasten für ein mangelhaftes Bildungssystem und gescheiterter Integration von Randgruppen.
Die Serie war schon nach den ersten Folgen legendär
Es ist also kein Zufall, dass die Straßen von Most als Kulissen für die gleichnamige Comedy-Serie gewählt wurden. Denn hier wird eine Geschichte erzählt, die ganz anders funktioniert, als all jene, an die das Publikum des tschechischen öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens gewöhnt ist. Für die achtteilige Serie arbeitete der bekannte tschechische Regisseur Jan Prušinovský mit dem Drehbuchautor Petr Kolečko zusammen.In Most! werden Themen behandelt, die zweifellos nicht nur Anhänger rechter Ideologien aus dem Fernsehsessel scheuchen, sondern auch konservative Zuschauer verstimmen, die nicht mit Vulgarismen oder unkonventionellen Lebensentwürfen vertraut sind. Dennoch blieben 2,5 Millionen Zuschauer übrig, für die die Serie – noch bevor sie ihren Höhepunkt erreichte – legendär ist.
Die Themenpalette ist sehr vielfältig: Homophobie, Sexismus, Chauvinismus und extreme Männlichkeit, die leeren Bemühungen, vermeintlich christliche Werte zu schützen (womit gemeint sind: mit Lichterketten verzierte Häuser an Weihnachten, der fette Karpfen – das typische tschechische Weihnachtsgericht, oder die patriarchal organisierte Familie), außerdem der Rassismus und die fehlende finanzielle Kompetenz eines Teils der Gesellschaft. Dazu gesellen sich wirklich viele derbe Ausdrücke, aber so spricht man nun mal auf der Straße.
Die Helden: Eine bizarre, unwahrscheinliche Gemeinschaft von Stammgästen
Die Hauptfigur Luděk (Martin Hoffman) ist der Archetyp einer durchschnittlichen, mittel(ost?)europäischen gescheiterten Existenz. Der geschiedene Mittvierziger ist Alkoholiker, arbeitslos und ohne Perspektive. Sein täglicher Kampf dreht sich um das Bezahlen seiner Schulden. Unaufhörlich nervt seine Ex-Frau, die mittlerweile mit einem Deutschen verheiratet ist, der wenig mehr als eine komische Figur darstellt.Luděk verbringt sein sinnentleertes Leben in einer Kneipe namens Severka, gemeinsam mit einer bizarr anmutenden Gruppe von Stammgästen: ein exkommunizierter, alkoholabhängiger Priester (Cyril Drozda), der junge Čočkin (Vladimír Škultéty), der sein Geld mit dem Verkauf von E-Zigaretten verdient, Eda (Michal Isteník), der aggressive Inhaber der Kneipe und Franta (Zdeněk Godla), einem Rom, über den der Wirt Eda sagt, er funktioniere wie ein „Impfstoff“ – die kleine Menge Gift, die für Immunität sorgt.
Der Bruder kommt als Schwester zurück
Das langsame und stille Dahinvegetieren in der Kneipe durchbricht der Postbote Ondra, der Luděk mitteilt, dass ihn jemand zu Pošta pro Tebe (Post für Dich) eingeladen hat, eine bekannte und in Tschechien tatsächlich existierende Reality Show, bei der sich Freunde, Feinde oder Familienmitglieder nach vielen Jahren treffen, um sich auszusprechen. Luděk willigt ein. Für ihn und auch für die anderen Bewohner von Most bietet sich dadurch die Gelegenheit, vor der ganzen Nation in einer Live-Übertragung die Probleme der Stadt anzusprechen, insbesondere das Zusammenleben mit den „Roma-Parasiten“ aus dem nahen Ghetto Chánov.Luděks Plan wird jedoch gestört von der ihm unbekannten Dáša (Erika Stárková), die ihn in die Sendung eingeladen hat. Dáša stellt sich als Luděks längst vergessener Bruder Pavel vor, der nach Most zurückkehren und gemeinsam mit Luděk im Haus der Eltern wohnen möchte. Luděks Reputation wird durch das Auftauchen seines zur Frau umoperierten Bruders bedroht, doch bleibt ihm aufgrund seiner finanziellen Lage nichts anderes übrig, als Dáša in seinem Haus wohnen zu lassen. Und so sind die Karten verteilt.
Unter der Macho-Kruste: Komplexe, existentielle Ängste und Neurosen
Es folgt eine Reihe bizarrer Situationen voll mit unkorrektem, schwarzem Humor, der auch für den noch so liberal eingestellten Zuschauer da und dort die Grenze des Akzeptablen überschreitet. Doch er kann sich nicht helfen – er hat Spaß, lacht, fasst sich manchmal an die Stirn. Das, was er sieht, ist die bis ins vollkommen Absurde gesteigerte Lebensgeschichte von ein paar dümmlichen Tölpeln, und doch ist sie ein treffendes Abbild des Alltags in tschechischen Kleinstädten und den sozialen Netzwerken.Dem Autorenteam geht es aber nicht darum, sich über das Leben der Gestalten aus der Severka-Kneipe lustig zu machen – im Gegenteil. Unter der Macho-Kruste finden sich angestauter Druck, Komplexe und ungeklärte existentielle Ängste und Neurosen. Einzelne Gestalten leben auf durch die widersprüchlichen Gefühle, die Dáša in ihnen hervorruft.
Wer hätte das gedacht: Daumen drücken, dass der Rom mit der Transsexuellen ins Bett kommt
Spoilerwarnung! Wer sich die Serie „Most!“ ansehen aber nicht wissen möchte, wie es ausgeht, sollte die beiden folgenden Absätze überspringen.
Am deutlichsten zeigt sich dies an der Figur des Wirten Eda, der trotz seines Hasses gegenüber allem, was gegen die Konvention ist, feststellen muss, dass er sich in Dáša verliebt hat. Durch einen kleinen Zufall nimmt Luděks Kampf gegen das Roma-Ghetto in Chánov eine Wendung und ungewollt gründet er die wohltätige Organisation Snědá tíseň (etwa: Braune Not), die den Roma aus der Wohnsiedlung hilft. Absoluter Zuschauerliebling ist der Rom Franta, der als einziger der Protagonisten auf eigenen Beinen steht und dem Geschehen durch seine ironischen Bemerkungen Sinn verleiht. Wer hätte gedacht, dass sich die tschechische Nation für einen Moment eint und einen Rom die Daumen drückt, dass es mit einer transsexuellen Frau im Bett klappt?
Doch leider erwartet uns kein Happy End. Eine scheinbar harmlose, komische Situation endet mit einer Kneipenschlägerei zwischen Roma und Anhängern einer nationalistischen Gruppierung, bei der verängstigte Čočkin an einem Herzinfarkt stirbt. Im allerletzten Teil der Serie findet sein Begräbnis statt, an dem es zu einer bittersüßen Aussöhnung kommt.
Frischer Wind in die tschechische Comedy-Produktion
Es ist schwer vorstellbar, dass ein ähnliches Werk im westlichen Ausland das Urteil des Programmdramaturgen überstehen würde. Es scheint jedoch, als sei gerade der Humor überhaupt das einzige, was die tschechische Nation bisher einen konnte. In der Vergangenheit verarbeiteten die Tschechen die Gräuel des totalitären kommunistischen Regimes und die anschließende wilde Privatisierung und Ausbeutung des Landes zumindest zum Teil dank der legendären Comedy-Serie Česká soda, an die bisher niemand anknüpfen konnte. Ob die Serie Most! eine ähnlichen Stellenwert erreicht, wird sich erst zeigen. Und ob wenn es gelingt oder nicht: Most! hat frischen Wind in die teils steifen Comedy-Produktionen der tschechischen Medienlandschaft gebracht. Schon jetzt freuen sich die Fans auf die Wiederholung.April 2019