Im März 2014 brannte Libušín nieder. Diese Baude (Berghütte) ist ein Wahrzeichen des Dörfchens Pustevny in den mährisch-schlesischen Beskiden und ein berühmtes Werk des slowakischen Architekten Dušan Jurkovič (1868 – 1947). Das Gebäude wird nun in den Zustand von 1925 zurück versetzt.
Dieser Artikel erschien bereits im Magazin Material Times. Wir bedanken uns für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.
Libušín ist ein Fachwerkbau, den der slowakische Architekt Dušan Jurkovič im Jahr 1899 vollendete. Zum Ensemble gehört auch die benachbarte Baude Maměnka, die noch etwas früher fertig war als die Wirtshütte Libušín. Jurkovič entwarf beide Gebäude in einem sogenannten Volksjugendstil (Tschechisch: lidová secese) und beteiligte sich auch 48 Jahre später an der Reparatur beider Bauden. Der ursprüngliche Denkmalwert der Baude Libušín ging leider bei dem Brand im Jahr 2014 verloren. „Die Baukonstruktion war zu 85 Prozent beschädigt, bei der technischen Ausstattung waren es 100 Prozent und bei der Inneneinrichtung 90 Prozent“, so Olga Holišová vom Walachischen Freilichtmuseum (Valašské muzeum v přírodě – VMP), das das Objekt in Pustevny verwaltet.
Nun wird Libušín neu errichtet. Experten des Museums entschieden, das Bauwerk in die Gestalt des Jahres 1925 zurückzuversetzen. Während des zurückliegenden Jahrhunderts hat sich die Baude stark verändert. Auf den ersten Blick wird der Besucher nun von einer neuen Farbigkeit vereinnahmt, die für Jurkovičs Bauten typisch ist. Libušín bekam die ursprünglichen Farbtöne zurück, die eine Untersuchung bestätigt hatte. Neue Farbe bekam auch die benachbarte Baude Maměnka, die vor dem Brand gerettet werden konnte.
Die benachbarte Baude Maměnka (im Vordergrund) konnte vor dem Brand gerettet werden. | Foto: © Tomáš Rubín
Bei einer wissenschaftlichen Rekonstruktion geht es aber längst nicht nur um Farbe. Sowohl außen wie auch innen müssen die traditionellen handwerklichen Arbeitsweisen eingehalten werden, ob es nun um die Anfertigung von Fenstern, Türen, Zargen, Balkonen, Fußböden, Konsolen, Regalen oder Wandverkleidungen geht. Aufwändig ist auch die Herstellung von Repliken der ursprünglichen Möbel – Tische, Stühle, Bänke, Anrichten und Kronleuchter. All diese Arbeiten beaufsichtigte der Restaurator und Konservator Luděk Dvořák, ebenfalls Mitarbeiter des Walachischen Freilichtmuseum.
Zum ersten Mal bin ich Dvořák begegnet bei einem Kurs des Nationalen Amtes für Denkmalschutz (Národní památkový ústav – NPÚ), den er auf dem Gelände des Walachischen Freilichtmuseums in Frenštát pod Radhoštěm (Frankstadt unter dem Radhoscht) leitete. Er hatte für uns einen Workshop über die Holzbearbeitung mit traditionellen Techniken vorbereitet, er zeigte uns traditionelle Werkzeuge und machte mit uns auch eine Führung durch die Baustelle der Baude Libušín.
Luděk Dvořák verfügt über langjährige Erfahrung als Restaurator. Früher arbeitete er für eine private Restaurierungsfirma, die für die Prager Burg tätig war. Danach stand er zehn Jahre lang in Diensten der Familie Schwarzenberg. Seit 2008 ist er Mitarbeiter des Walachischen Freilichtmuseums. Nach dem Brand wurde Dvořák Mitglied des Expertenteams, das den Wiederaufbau der Baude Libušín betreut. Gerade hier kann er seine Erfahrung in der traditionellen Holzbearbeitung zur Geltung bringen. Libušín ist nämlich durch und durch aus Holz.
Luděk Dvořák bringt den Handwerkern bei, zu denken wie ihre historischen Vorgänger. | Foto: © Tomáš Princ Dvořák und seine Kollegen sind überzeugt, dass Holz wesentlich widerstandsfähiger gegen Alterung und Wettereinflüsse ist, wenn es richtig bearbeitet wird. Für das Fachwerk von Libušín wird Holz aus der Winterernte der Umgebung verarbeitet. Die Bearbeitung des Holzes mit Maschinen kann dabei nicht immer die gleiche Qualität garantieren wie die manuelle Bearbeitung. Wenn Holz aus dem Stamm von Hand geschlagen wird, spaltet es sich natürlich entlang der Faserung. Eine Maschine hingegen komprimiert das Holz und stört damit sowohl seine natürliche Faserung als auch seine Oberfläche – vor allem bei einem tangentialen Schnitt. Solches Material ist anfälliger für äußere Einflüsse. Dies gilt vor allem, wenn es am Außenbau eingesetzt wird, bei einer erhöhten Feuchtigkeit aber auch im Inneren. Ähnlich ist es beim Hobeln.
„Früher versuchte ein Handwerker das Holz, das er auf dem Stoß liegen hatte, so effektiv wie möglich zu verwerten. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass wir in Fachwerkhäusern Holzdecken aus unterschiedlich breiten Brettern haben. Es gab keinen Grund, sie auf genau die gleiche Größe zu schneiden. Das wäre zusätzliche Arbeit gewesen und außerdem eine Verschwendung von Material. Über so etwas macht sich heute niemand mehr Gedanken. Mit der Maschine lässt sich alles Mögliche auf alle möglichen Größen sägen. Es fehlt das Bewusstsein für größere Zusammenhänge“, meint Dvořák.
Was in der heutigen Praxis in Vergessenheit geraten ist, versucht Luděk Dvořák mit einem Team von Handwerkern der Firmen Archatt und Teslice wiederzubeleben. Nur so könne die Baude Libušín auch zukünftigen Generationen noch ein authentisches Zeugnis ihrer Entstehungszeit ablegen. „Ich gebe ihnen keinen Unterricht. Ich gebe ihnen nur meine Erfahrungen weiter und sage dabei immer, dass sie besser sein müssen als ich. Das ist die Visitenkarte eines Meisters, dass der Lehrling besser ist als der Meister selbst“, beschreibt Dvořák seine Rolle. Damit also Libušín die folgenden Generationen überlebt, sei es notwendig gewesen, beim Wiederaufbau wieder die Arbeit mit den Händen ins Spiel zu bringen. Das geht zwar langsamer, aber umso größer ist dann die Wirkung des Ergebnisses.
Die Dächer sind mit hölzernen Schindeln gedeckt. | Foto: © Tomáš Rubín
Verlorene Ehre
Dvořák zufolge ist die fehlende Anknüpfung an handwerkliche Traditionen ein Problem seiner Branche. Während unseres Treffens kommt er immer wieder auf dieses Thema zurück. Traditionelles Handwerk wird heute in der Ausbildung kaum mehr vermittelt, und deshalb haben die Handwerker, die Denkmäler restaurieren, damit keine Erfahrungen. „Noch vor dreißig Jahren gab es eine gewisse Handwerkerehre. Ein anständiger Handwerker hat automatisch traditionelle Techniken angewandt. Früher gab es gute Handwerker und neben ihnen Schlendriane. Mein Meister hat mir gesagt, ich würde es noch erleben, wie sich das Verhältnis umdreht, dass die meisten Schlendriane sein werden und man mich für einen Verrückten halten wird“, erinnert sich Dvořák. „Und heute ist das manchmal tatsächlich so.“
„Ich will, dass die Lehrlinge besser sind als ich“, sagt Luděk Dvořák. | Foto: © Tomáš Princ
Schnitte durch Holz – a) Querschnitt, b) radial, c) tangential | Illustration: © Nauka o materiálech (Lehre von Materialien), Zdeňka Křupalová, Sobotáles 2009
„Als ich in der Ausbildung war, musste ich einen Stoß Holz sortieren in radial, halbradial und tangential geschnittenes Material. So etwas macht man heute nicht mehr. Anstatt die hochwertigsten halbradial geschnittenen Bretter anzubieten, versuchen die Handwerker heute die Kunden zu überzeugen, Bretter aus Furnierholz zu kaufen. Denn das krümmt sich nicht und ist billiger. Und weil das so gemacht wird, merkt niemand, dass es nicht massiv ist“, so Dvořák. Solches Holz gehöre aber nicht in Denkmäler. Und deshalb könnten in Pustevny die „modernen Verbesserungen“ langfristig nicht bestehen. Die Qualität der Arbeit bemisst sich nicht nur danach, ob das Holz manuell oder mit der Maschine bearbeitet wurde. Von grundlegender Bedeutung ist auch die Auswahl hochwertigen Materials und die Art, wie es getrocknet wird.
„Zum Beispiel ist es in Schlössern meist sehr feucht, deshalb muss man das Material sozusagen an die Umgebung gewöhnen. Wenn früher ein Handwerker dort einen Boden legen sollte, hat er zuerst das Holz dorthin gebracht, damit es sich akklimatisieren kann und fing erst danach mit der Verarbeitung an. Er wusste, dass sich Holz, dass er in der Werkstatt vorbereitet, am Einsatzort nach einer Woche setzen und krümmen würde. Heute interessiert das niemanden mehr“, beschwert sich Dvořák. In der Baude Libušín wurde deshalb darauf geachtet, dass sich das Holz vor der Verarbeitung akklimatisieren konnte. Hölzerne Elemente der Inneneinrichtung wurden direkt an Ort und Stelle bearbeitet – mit Hobeln, Meißeln, Beilen und weiteren Werkzeugen, die keinen elektrischen Strom brauchen.
„Die Jungs sind nicht ungeschickt, man muss es ihnen nur beibringen. Als sie merkten, dass sie vier Meter lange Bretter hobeln sollen, waren sie erst entsetzt, aber dann haben sie es einfach ganz normal erledigt. Etwas anderes ist die Herstellung der Schmuckelemente für die Balkone, und für die Decken- und Wandverkleidungen im Speisesaal. Ich muss sie dazu bringen, dass sie vergessen, was sie gelernt haben. So, wie wenn man den Strom abschaltet. Wenn die Konsolen maschinell und computergesteuert hergestellt würden, dann würden alle nach einer Schablone gleich gemacht. Aber an Ort und Stelle passen sie dann nicht. Dadurch, dass sie sie hier manuell herstellen, stellen sie fest, dass das nicht immer nach der einen Schablone klappt. Ich bringe ihnen bei, ein Gefühl zu entwickeln für die verschiedenen Krümmungen von Ellipsen, damit das optisch hinhaut. Manche Konsolen sind zwar länger, aber sehen gleich aus. Darin liegt die Grundlage manueller Produktion: Nicht ist gleich, selbst wenn ich das wollte. Diese Tatsache ist ihnen viel schwieriger beizubringen als wie man einen Hobel benutzt. Es hat mich gefreut, dass die meisten Handwerker beginnen, diesen Rückfall in die Vergangenheit anzunehmen“, lobt Dvořák die Arbeit in Pustevny.
Schindeln sind eine traditionelle, dauerhafte Abdeckung. An der Baude Libušín wurden sie auch zur Verkleidung von Fassaden eingesetzt. | Foto: © Tomáš Rubín
Farbe ist eine Frage des Auftrags
Libušín, beziehungsweise Jurkovič, steht außer für Holz auch für Farbe. Bei der Rekonstruktion werden ausschließlich traditionelle Ölfarben verwendet, sowohl innen als auch außen. Leider werden bei der Wiederherstellung von Denkmälern häufig synthetische Farben eingesetzt, die aus ästhetischer Sicht nicht dem ursprünglichen Aussehen der Denkmäler entsprechen, und die auch bei zukünftigen Erneuerungen von Farbschichten problematisch sein können. Zudem verfällt Holz schneller unter synthetischen Farben, denn manche Farben lassen Feuchte nicht ausreichend entweichen, das Holz kann nicht atmen.Die Meisterschaft liegt aber nicht allein in der richtigen Wahl der Farbe, sondern auch darin, wie sie aufgetragen wird. „Mit Ölfarben geht man anders um. Sie verlangen eine andere Technik des Auftragens. An einem Tag wird die Farbe mit dem Pinsel aufgetragen, am nächsten Tag mit einem Lappen. Die Deck- und die Lasurschicht mache ich mit derselben Farbe. In Brno haben die Handwerker an der Jurkovič-Villa Ölfarbe verwendet. Bloß haben sie sie zu sehr verdünnt und das ist schlecht. Ihre Annahme war, dass man Ölfarbe stark verdünnen muss, um sie als Lasur verwenden zu können. Aber tatsächlich ist die Arbeit mit der Lasur eine Frage der Technik des Farbauftrags“, erklärt Dvořák, der über mehr als 35-jährige Erfahrung mit historischen Farbschichten verfügt und Jurkovičs Vorgehen ausführlich untersucht hat.
Kompliziert ist das nicht: Je stärker ein Pigment verdünnt wird, desto mehr trennt man seine Verbindung zum Öl und der Anstrich ist dann minderwertig. Deswegen verwendet man für die Lasuren nicht einfach verdünnte Farbe, sondern man verteilt die Farbe über eine größere Fläche. Ideal ist es, wenn ein Handwerker sich das Pigment selbst je nach dem Verwendungszweck mischen kann. Für Libušín werden jedoch bereits fertige, hochwertige schwedische Farben verwendet.
Dvořák machte uns auch auf ein scheinbares Detail an den Fenstern aufmerksam, das für heutige Betrachter ungewohnt ist. Deren Rahmen wurden früher nur auf den Ansichtsseiten angestrichen, an den Seiten oder unter dem Kitt waren sie nicht angestrichen. Wichtig ist also nicht nur die Art der Farbe und ihres Auftrags, sondern auch das Bewusstsein dafür, dass Handwerker damals völlig anders gedacht haben und vorgegangen sind.
Feilschen um Jahre und Millimeter
Das Zeitalter der Maschinen hat Arbeitsprozesse beschleunigt, es hat neue Materialien und Vorgehensweisen hervorgebracht und vielen Handwerkern die Arbeit erleichtert. Jedoch haben diese dann unter dem Einfluss verschiedener soziokultureller Umstände die Verbindung zu traditionellen, üblicherweise zeitintensiveren handwerklichen Vorgehensweisen verloren. Bei der Rekonstruktion der Baude Libušín ist es im Sinne einer konsequenten Denkmalpflege gelungen, sich diesem Trend zu verweigern. „Uns geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität“, betont Dvořák die Bedeutung der wissenschaftlichen Rekonstruktion, die der Baude Libušín ein langes Leben garantieren soll.Der Wiederaufbau begann im Jahr 2017 und ursprüngliche sollte er im Herbst 2019 abgeschlossen sein. Schließlich aber wird Libušín erst im Jahr 2020 wieder für die Öffentlichtkeit zugänglich gemacht. Ingesamt schreiten die Arbeiten an der Baude langsamer voran als gewohnt. Die Handwerker sind vor allem auf die Fähigkeiten ihrer Hände angewiesen. Unter der Aufsicht von Luděk Dvořák haben sie sich mit der Methode Versuch und Irrtum traditionelle Vorgehensweisen angeeignet und gelernt, anders zu denken.
Die Hand ist nicht perfekt und man kann sie nicht mit der Maschine vergleichen, geschweige denn sie mit ihr in Wettstreit treten lassen. Arbeit von Hand ist ein anderer modus operandi – und vor allem auch eine andere mentale Einstellung. Mit seinem kompromisslosen Ansatz versucht Dvořák diese Mentalität zu fördern. So ist die Baude Libušín ist ein gutes Beispiel für alle: Hier wird gewissermaßen die Handwerkerehre gerettet und vorgeführt, dass manche Fehler bei der manuellen Bearbeitung sogar erwünscht sind.
„Fehler sind etwas Natürliches. Bloß gehen Handwerker heute meistens nach geometrischen Erwägungen vor und wollen alles perfekt genau. Ein Handwerker, der ausschließlich von Hand arbeitet, wird allerdings niemals so genau wie eine Maschine sein. Letztendlich sind es gerade die Fehler, die die Schönheit eines Denkmals ausmachen“, sagt Dvořák, während er einige Unregelmäßigkeiten der Baude Libušín betrachtet, deren Wiederaufbau nun bald abgeschlossen sein wird.
Mit Rücksicht auf die Bedeutung und die Identität des Ortes ist es logisch, dass Jurkovičs Meisterwerk wieder so aufgebaut wird, wie es war. So bleibt die Kontinuität erhalten und Pustevny, beziehungsweise Jurkovič, so wie wir gewohnt sind. Denkmäler sind ein Teil unseres kulturellen Erbes. Sie sind hier seit Jahrhunderten und sie sollten noch weitere Jahrhunderte überdauern als Zeugen ihrer Zeit.
November 2019