Tschechische Poesie Überlebensanleitung für die Alltäglichkeit
In seinem neuen Gedichtband „off topic“ bringt Jan Škrob christliche Symbolik mit linksradikalen Motiven zusammen – in einem bestechenden Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann.
eine tasse asphalt
als fahnenträger werde ich nie
gut genug sein als terrorist
werde ich nie glaubwürdig genug nie
meine fahne ist komplett in schwarz ist eine antwort
Wer die Gedichte von Jan Škrob liest, taucht ein in den Kosmos einer Szene, die sich mit Händen und Füßen wehrt – und dafür auch Gewalt einsetzt. Fahnen in schwarz, Flugblätter in Rot, Blut, besetzte Häuser und der Kampf gegen den Kapitalismus bilden das Vokabular, mit dem der 1988 in Prag geborene Dichter seine sprachgewaltige Lyrik ausstattet.
Vor dem inneren Auge marschiert der schwarze Block auf; bereit, das nächste Gebäude zu „entglasen“ oder brennende Barrikaden zu errichten – auch ohne dass man weiß, dass Škrob sich offen als „linksradikal“ bekennt. Seine Verse sind roh, sie erzählen von einer brutalen Welt, die niemanden verschont:
es gibt keinen tag ohne
hinrichtung direkt auf
der straße blaue uniform bedeutet
tod wenn du gehst
schütze deinen rücken nur keine angst denn
sonst besiegt dich belial
Dem Kapitalismus huldigen
Mit voller Wucht lässt Škrob linke Kapitalismuskritik und christliche Mythologie aufeinanderprallen.
ich mag geld nicht
[…]
verträge unterschrieben mit roter farbe
das blut fließt in neu
eröffnete räume einer lächelt gegen geld
ein anderer streichelt gegen geld jemandes gesicht
schreibt Škrob in das herz der welt ohne herz und prangert den seelenlosen Kapitalismus an, in dem man für Geld alles bekommt, aber Empathie und zwischenmenschliche Herzlichkeit verschwunden sind. Da wirkt Christus, der dem lyrischen Ich als „falbes pferd“ im Moor erscheint, wie ein längst überholtes Konzept; man huldigt jetzt etwas anderem:
zusammenziehen und entspannen des kalten herzmuskels
der welt ohne herz auf den gehweg lege ich eine banknote
als opfergabe
In einem stakkatoartigen Rhythmus schleudert Škrob den Leser*innen seine dystopischen Gesellschaften entgegen und entfaltet eine Sprachlandschaft, in der jedes Wort präzise gesetzt ist. Eine doppelte Herausforderung für Sprachmittlerin Martina Lisa, die einen Teil der Gedichte ins Deutsche übertragen hat: „Das Tschechische hat, anders als das Deutsche, einen offenen Satzbau; das heißt, man kann die Wörter umstellen, ohne die Bedeutung des Satzes zu verändern“, erklärt sie. Zwar gibt es in der tschechischen Sprache Pronomen, doch kann das Geschlecht, zum Beispiel das der Erzählstimme, auch über die Endung des Verbs ausgedrückt werden. Dies mache es leichter, mit Sprache und Doppeldeutigkeiten zu spielen – aber auch schwerer für die Übertragung in eine andere Sprache, sagt die Übersetzerin. Bei der Übersetzung von Lyrik müsse man sich immer entscheiden, ob man näher am Inhalt übersetze oder am Rhythmus entlang arbeite; im Falle von Jan Škrob habe der Rhythmus im Vordergrund gestanden. Trotzdem, so Martina Lisa, sind die Verse in der Übersetzung ungefähr ein Drittel bis ein Viertel länger als in der Originalsprache.
Oft tendieren Lyriker*innen dazu, entweder filigrane Sprachkunst oder die inhaltliche Aussage in den Vordergrund zu stellen; Jan Škrob gelingt es – vor allem dank beschwörender Formeln und Wiederholungen von mit Bedeutung aufgeladenen Begriffen – beides auf kraftvolle Art zu vereinen.