Positive Zukunftsbilder und -erzählungen sind rar, doch genau das brauchen wir, um von Polarisierung und Ohnmacht ins aktive Handeln zu kommen. Ein Appell für konstruktive Klimakommunikation.
Dieser Artikel erschien zuerst in Zeitgeister, dem globalen Kulturmagazin des Goethe-Instituts.
Was fehlt, ist ein Zukunftsdiskurs, der Hoffnung macht und ohne Feindbilder und Beschuldigungen auskommt. Ein Diskurs, der Menschen in ihren Sehnsüchten anspricht, eine bessere, schönere Welt erfahrbar macht und unsere Kreativität und Gestaltungswillen weckt.
Mit positiven Visionen Lust auf Zukunft wecken
Eine erfolgreiche Klimakommunikation setzt bei unseren Grundbedürfnissen und dem, was für viele ein glückliches Leben ausmacht, an – gelingenden Beziehungen, Gesundheit und körperliches Wohlbefinden, Sicherheit, das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Empfinden von Schönheit. Die Befunde aus der Neuro- und Verhaltensforschung legen nahe, dass positive Klimakommunikation zentral für die Bewältigung der Krise ist. Aus der Kognitionsforschung wissen wir, dass Fakten allein Menschen nicht zum Handeln bewegen, und dass es eher Hilflosigkeit und Verlustangst provoziert, wenn sich die Debatte häufig um Mängel dreht.Wollen wir konstruktiv kommunizieren, gilt es, das Lebenswerte an einer nachhaltigen Zukunft – das Mehr an Lebensqualität und Verbundenheit, das Weniger an Lärm und Egoismus, den Mehrwert gesunder Lebensmittel und langlebiger Elektroprodukte – konkret zu beschreiben, durch Geschichten und Bilder, die uns Menschen als multisensorielle Säugetiere mit Schönheit und Ästhetik erreichen.
Die meisten Visionen, die wir öffentlich wahrnehmen, sind technologische Utopien: intelligente Benutzeroberflächen, Robotik und schlaue Algorithmen versprechen, uns das Leben einfacher zu machen und die Klimakrise zu lösen. Die Gefahr besteht darin, dass sich diese Visionen nicht erfüllen, sie uns stattdessen zu passiven Konsument*innen reduzieren und wesentliche Zukunftskompetenzen wie Empathie, Kooperation, systemisches Denken und Kreativität nicht vermitteln. So werden wir zum Beispiel mit Entwürfen smarter Zukunftsstädte konfrontiert, die zwar energieeffizient und computergesteuert sind, aber selten sozialen Zusammenhalt, den Wert von Gemeinschaft und die aktive Mitgestaltung eigener Lebensräume thematisieren. Ebenso bleibt ungeklärt, ob der absolute Energie- und Rohstoffverbrauch durch künstliche Intelligenz und E-Mobilität reduziert werden, solange die Ursachen und Folgen der aktuellen Wirtschaftsweise, das “Immer-Mehr”, nicht adressiert wird.
Nachhaltigkeit ist weder links noch rechts, urban oder dörflich, reich oder arm, liberal oder konservativ. Sie ist ein gesamtgesellschaftliches Unterfangen, das alle Berufsgruppen, und Altersklassen existenziell betrifft.
Reallabore und Realutopien sichtbar machen
Pionierprojekte in Städten, Gemeinden oder Regionen, in denen die Zukunft gemeinsam erforscht und entwickelt wird, können als inspirierende Beispiele in der Kommunikation dienen. Orte wie Barcelona, dessen Bewohner*innen ein eigenes genossenschaftliches Energiesystem auf die Beine gestellt haben, das von Bürger*innen gesteuert und der Stadt finanziell gefördert wird, oder auch Kopenhagen – Vorreiter für grüne urbane Infrastrukturen – leben nachhaltigen, lebenswertsteigernden Wandel bereits vor können als Beispiel für neue, positive Erzählungen dienen. Auch die Permakultur und Syntropic Farming, zwei Formen der regenerativen Landwirtschaft, die auf hohe Diversität und den Erhalt und Bodenqualität abzielen, sowie foodsharing, eine Mitmach-Initiative gegen Lebensmittelverschwendung, machen Wandel greifbar und entwerfen durch Prinzipien wie Regeneration, Regionalität, Kooperation und Partizipation eine bessere Zukunft für alle Generationen.Eine konstruktive, zukunftsorientierte Klimakommunikation durch Politik, Verwaltung, Journalismus und Zivilgesellschaft kann diese sogenannten Realutopien aufgreifen und in Zukunftsdiskurse einbringen. Die oft noch wenig verbreiteten Konzepte haben das Potenzial, in größere Kontexte übersetzt zu werden. Sie demonstrieren, dass ein klimafreundlicher Lebensstil und eine Abkehr vom materiellen Wachstum keine Einschränkung des Lebensstandards sein müssen, sondern eine Bereicherung im eigenen Leben sein können. So geht es in der solidarischen Landwirtschaft beispielsweise nicht darum, Profite zu maximieren, sondern eine nachhaltige Bewirtschaftung der Böden zu gewährleisten und Transportwege zu verkürzen. Die Mitglieder tragen die Kosten eines regionalen Betriebs, erhalten frische regionale Lebensmittel und bauen einen persönlichen Bezug zueinander und den Landwirt*innen auf. Die Fahrradautobahnen von Kopenhagen haben zwar den Autoverkehr zurückgedrängt, aber wesentlich dazu beigetragen, dass das Wohlbefinden von Stadtbewohner*innen gestiegen ist und mehr Menschen schnell und auf gesunde Weise zur Arbeit kommen.
Nachhaltigkeit ist weder links noch rechts, urban oder dörflich, reich oder arm, liberal oder konservativ. Sie ist ein gesamtgesellschaftliches Unterfangen, das alle Berufsgruppen, und Altersklassen existenziell betrifft. Ein gegenseitiges Beschuldigen bringt uns in aktuellen Zukunftsdebatten nicht voran und Debatten in ideologischen Schützengräben verschärfen die gesellschaftliche Spaltung. Eine gewaltfreie und lösungsorientierte Zukunftskommunikation, in der der Fokus auf unsere eigentlichen Grundbedürfnisse gelegt und Meinungsverschiedenheiten toleriert werden, kann einer weiteren Polarisierung entgegenwirken und kreative Kräfte entfesseln. Machen wir Lust auf Zukunft!
Oktober 2021