Onlinemagazin „Da Hog’n“  „Es gibt keinen unabhängigen Lokaljournalismus“

Foto von Stephan Hörhammer
„Da Hog’n“-Gründer Stephan Hörhammer: „Guter Lokaljournalismus sollte frei von Angst vor Konsequenzen sein.“ Foto: © privat

Vor sechs Jahren wagte der Journalist Stephan Hörhammer ein Experiment und gründete das Online-Magazin Da Hog’n. Heute gehört Da Hog’n zum medialen Establishment des Bayerischen Waldes – auch weil das Magazin vieles anders macht als die Lokalzeitung.

Für die Nicht-Bayern unter uns: Was bedeutet Da Hog’n eigentlich?

Da Hog’n ist vermutlich das älteste Nachrichtenüberbringungsmittel des Bayerischen Waldes. Das Hog’n-Prinzip lautet: In das mit einem Schlitz versehene Ende eines Haselnuss-Steckens beziehungsweise Gehstockgriffs wurde in früheren Zeiten ein Nachrichtenzettel mit allen ortsrelevanten Informationen geklemmt: Wer hat geheiratet, wer ist gestorben, wer wurde geboren, wann ist die nächste Dorfversammlung, wann der nächste Ausflug etc.

Da Hog’n, ein zumeist aus Nussbaumholz besonders gebogener Ast, wurde dann von Haus zu Haus weitergereicht – jeweils von Türklinke zu Türklinke –, bis er schließlich wieder am Ausgangsort – also dem Hog’n-Beauftragten – ankam. Da Hog’n ist quasi die analoge Form einer Whatsapp-Nachricht. In manchen Dörfern geht da Hog’n auch heute noch um, wie man im Bayerwald sagt.

Du hast 2012 einen festen Job als Redakteur aufgegeben, um ein Online-Magazin zu gründen. Was hat dich dazu motiviert, dieses Risiko einzugehen?

Aufgegeben wäre zu unpräzise ausgedrückt. Vielmehr wurde – wie in der Branche durchaus üblich – mein auf ein Jahr befristeter Vertrag bei einer oberbayerischen Tageszeitung nicht verlängert, worüber ich im Nachhinein nicht besonders unglücklich war. Denn nur so konnte etwas völlig Neues wie das Online-Magazin Da Hog’n entstehen, das ich gemeinsam mit einer ehemaligen Schulkameradin auf experimenteller Basis 2012 ins Leben gerufen hatte.

Ein Scheitern war immer erlaubt. Was jedoch nicht heißen sollte, dass wir nicht von Anfang an versucht hatten, den Hog’n auf stabile Beine zu stellen.“

Im Gegensatz zu heute war ich damals familiär ungebunden und konnte dieses Experiment, ein Online-Medium für den Bayerischen Wald zu gründen, relativ frei und zwanglos wagen. Das Risiko war daher relativ gering – auch deshalb, weil ich einen Existenzgründungszuschuss erhielt und sich der wirtschaftliche Erfolgsdruck, wenn es diesen zur damaligen Zeit überhaupt schon gab, in Grenzen hielt. Ein Scheitern war immer erlaubt. Was jedoch nicht heißen sollte, dass wir nicht von Anfang an versucht hatten, den Hog’n auf stabile Beine zu stellen. Denn: Halbe Sachen zu machen war nicht unser Ding.

Wenn du an die Gründungsphase zurückdenkst: Was war die größte Hürde, „Da Hog’n“ zu einem erfolgreichen Medium zu machen?

Da gab es nicht die eine große Hürde. Es gab mehrere Fronten, an denen wir uns zu beweisen hatten. Zum einen war es uns natürlich wichtig, ein für die Menschen in der Region relevantes und lesenswertes Nachrichtenmedium zu schaffen, das ausschließlich online publiziert. Gut recherchierte Inhalte, eine zusätzliche Öffentlichkeit zum bereits bestehenden Angebot sowie neue Perspektiven auf aktuelle sowie althergebrachte Themen – das hat uns angetrieben. Unser Ziel: Die Leser mit qualitativ-hochwertigen Geschichten auf uns aufmerksam zu machen und sie dauerhaft an uns zu binden. Das journalistische Handwerk hatten wir alle erlernt. Mit Laptop, Internetanschluss, Handy und Fotokamera konnten wir sogleich loslegen.

Professionelle Inhalte allein machen aber noch kein erfolgreiches journalistisches Produkt…

Zum anderen sollte Da Hog’n natürlich auch ein Projekt werden, in das nicht nur Zeit und Geld investiert wird, sondern das irgendwann auch wirtschaftlich überlebensfähig ist – und bestenfalls uns selbst ernährt. Dafür benötigten wir ein entsprechendes Konzept, das wir uns selbst überlegt und erarbeitet hatten. Unsere Haupteinnahmequelle bis heute sind: kurzfristige wie längerfristige Werbepartner, die auf unserer Seite hogn.de ihre Inserate in Form von Bannern oder Textanzeigen schalten.

Wie habt ihr diese Werbepartner akquiriert?

Werbekunden wurden dabei zunächst aus unserem Bekannten- und Freundeskreis zur Werbeschaltung animiert. Dies lief gut an, denn viele fanden unser Projekt unterstützenswert. Danach gingen wir über zur Kalt-Akquise bei Fremdkunden, die für uns Journalisten dem berühmten Sprung ins kalte Wasser glich. Ein Sprung, dem von Beginn an das Credo „Geschichte vor Geld“ zugrunde lag. Denn wer sich im Netz ganz offensichtlich verkauft, der wird es nicht schaffen, dauerhaft zu überleben. Die eigene Credibility ist ein sehr hohes Gut, das es zu hüten gilt.

Heute weiß so gut wie jeder medieninteressierte Bewohner des Bayerwalds, was Da Hog’n ist und für was wir stehen.“

Alles in allem war für die Etablierung des Hog’n viel Ausdauer, Hartnäckigkeit, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit von Nöten. Eine Anstrengung, die wir – nachdem wir unser Schiff auf Kurs gebracht hatten und wir merkten, dass das Experiment Hog’n tatsächlich mehr als eine Eintagsfliege werden könnte – solange betrieben, bis der Knopf endlich aufging. Heute weiß so gut wie jeder medieninteressierte Bewohner des Bayerwalds, was Da Hog’n ist und für was wir stehen.

Und was sind heute die größten Herausforderungen?

Zu den heutigen größten Herausforderungen gehört es, dem eigenen journalistischen Anspruch weiterhin gerecht zu werden und – nachdem sich die familiären Lebenssituationen meines Kollegen sowie meine eigene (Heirat, Nachwuchs, Immobilie) entsprechend verändert haben – den Hog’n auch wirtschaftlich so weiterzuentwickeln, damit es am Ende für alle zum Leben reicht. Der Grat ist schmaler geworden, die Zeit noch knapper. Ein gutes Management ist hierbei wichtiger denn je. Darauf gilt es sich einzustellen, daran gilt es im mittlerweile sechsten Jahr unseres Bestehens zu arbeiten.

Bei Lokaljournalismus denken ja viele an Kaninchenzüchtervereine und Feuerwehrfeste. Was zeichnet für dich guten Lokaljournalismus aus?

George Orwell hat ja angeblich den Satz geprägt: „Journalismus bedeutet etwas zu bringen, von dem andere wollen, dass es nicht veröffentlicht wird. Alles andere ist PR.“ Eine sehr idealistische Perspektive, die aus meiner Sicht auch heute noch begrüßenswert, jedoch in der journalistischen Medienlandschaft quasi nicht oder nicht mehr existent ist, wenn sie denn überhaupt je existiert hat.

Und das gilt auch für „Da Hog’n“?

Wir Hog’nianer können gewiss unabhängiger und weniger PR-lastig über gewisse Themen berichten als größere Zeitungs- und Verlagshäuser. Doch ganz frei von PR – ob freiwillig oder unfreiwillig – sind sicherlich auch wir nicht. Denn jeder Journalist bringt ganz unweigerlich und meist unbewusst sein eigenes Weltbild in seine Arbeit mit ein. Jedes Wort, das er niederschreibt, bringt seine Persönlichkeit, seine Werte, seine Ansichten zum Vorschein. Deshalb kann es meiner Meinung nach auch keinen „neutralen Journalismus“ in Reinform geben. Guter Lokaljournalismus sollte von einer Schreibe frei von Angst vor Konsequenzen geprägt sein. Sollte frei sein von wirtschaftlichem wie finanziellem Druck, von persönlichen Animositäten und Weltanschauungen. Ein Unterfangen, das insbesondere im Lokalen niemals zu 100 Prozent umsetzbar ist.

Wir müssen niemanden zufrieden stellen und sind niemandem etwas schuldig.“

Im Lokaljournalismus ist die Nähe zwischen Reporter und dem Berichtsgegenstand ja meist noch größer als im überregionalen Journalismus. Nicht umsonst heißt es auf dem Land: Jeder kennt jeden. Was bedeutet das für die Unabhängigkeit des Lokaljournalismus?

Es gibt keinen unabhängigen Lokaljournalismus. Lokaljournalisten gehen eine gewisse, manchmal ganz unbewusste „Abhängigkeit“ ein – allein schon, wenn sie den Hörer in die Hand nehmen und sich mit jemandem über ein Thema unterhalten, den sie zuvor bewusst als Ansprechpartner ausgewählt haben, oder wenn Sie mit Zettel und Stift an einem Termin teilnehmen und dort auf Personen treffen. Sie entwickeln aus rein menschlichen Gründen Sympathien und Antipathien, knüpfen Bande und Verbindungen, gehen Beziehungen und Vermeidungshaltungen ein, sie werten, urteilen, ordnen Dinge und Menschen gemäß ihres eigenen Weltbildes ein.

Doch da dies alles der menschlichen Natur entspricht, ist es auch nicht verwerflich. Die hochtrabende Mär vom unabhängigen Lokaljournalisten existiert – zumindest bei uns – jedoch nicht. Wir befragen zu einem kontroversen Thema freilich immer alle Seiten, lassen jeden zu Wort kommen. Doch die schlussendliche Form der Veröffentlichung, die Gewichtung und Anordnung des Gesagten, die Wahl der Worte in der Überschrift und im Text, der Aufbau eines Artikels – all das spiegelt letzten Endes bei genauerem Hinsehen dann doch die innere Weltsicht des Autors wider. Eines eben nicht unabhängigen Autors.

Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?

Das Schreiben. Der direkte Umgang mit Texten. Sie wie einen Edelstein zu schleifen, bis das Wesentliche zum Vorschein kommt.

Was macht „Da Hog’n“ anders – oder besser – als bestehende Lokalmedien in eurer Region?

Es gibt in unserer Region nur ein bestehendes Lokalmedium: die Tageszeitung. Was wir anders machen? Wir können uns unsere Themen aussuchen und müssen nicht all das abdecken, was die Leser einer Tageszeitung verlangen und einfordern. Wir müssen niemanden zufrieden stellen und sind niemandem etwas schuldig. Wir sind nicht dazu da, die Jahreshauptversammlung der Feuerwehr zu dokumentieren oder den aktuellen Schützenkönig aus dem Dorf XY. Das ist Aufgabe der Zeitung, die die Kollegen in eingeschliffener Weise auszuführen haben. Ein selbstauferlegter Stein des Sisyphos, der meines Erachtens guten und gelungenen Lokaljournalismus bei Tageszeitungen verhindert.

Da Hog’n

Zusammen mit seinem Kollegen Helmut Weigerstorfer leitet Stephan Hörhammer (37) Da Hog’n, das als „Onlinemagazin ausm Woid“ (Hochdeutsch: Onlinemagazin aus dem Wald) Nachrichten und Geschichten aus dem Bayerischen Wald veröffentlicht – und jenseits desselben. Dabei blicken die „Hog‘nianer“ immer wieder auch über die Grenze nach Tschechien: Vom Redaktionssitz im bayerischen Freyung bis zum Grenzort Strážný sind es nur 22 Kilometer. Seit das Magazin im Jahr 2012 online gegangen ist, ist es den Gründern zufolge stetig gewachsen: Die Besucherzahlen liegen heute bei 1.000 bis 1.500 pro Tag.

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