Fahrbares Zuhause  Landhaus auf Rollen

Junge Familie sitzt vor mobilem Eigenheim.
Drei Jahre lang hat Janne am mobilen Eigenheim gebaut. Foto: © privat

Ein Umzug ist schnell erledigt, wenn man wie Janne im Bauwagen wohnen kann. Der promovierte Medizintechniker hat ihn für sich und seine vierköpfige Familie gebaut. Nun steht die mobile Behausung an der frischen Landluft – nicht nur aus Platzgründen.

Es riecht nach Heu und Milch. Die Ziegen blöken, die Schafe mähen und die kleinen Zicklein und Lämmer drängen sich neugierig an die hölzerne Umzäunung ihrer kleinen Gehege. Vorsichtig nimmt Janne ein Ziegenjunges auf den Arm und lässt es an seinem Finger saugen. Der schlanke Mann mit den braunen Dreadlocks lebt seit vier Jahren auf dem Käsehof in Landolfshausen bei Göttingen.

Vorbei geht es an der Käsemanufaktur hinter den Stall auf eine Wiese. Dort steht Jannes Bauwagen. „Ich habe circa drei Jahre daran gearbeitet. Währenddessen habe ich aber promoviert und zwei Kinder bekommen. Deshalb hat es etwas länger gedauert.“ Stolz präsentiert der Medizintechniker ein Fotoalbum mit Aufnahmen, die ihn beim Bau seines mobilen Eigenheims zeigen. 2014 hat er die letzten Arbeiten an dem Gestell beendet – und seitdem steht der Bauwagen in Landolfshausen. Mit vier Schlafplätzen auf zwei selbstgezimmerten Hochbett-Etagen im hinteren Teil bietet der Wagengenug Platz für die Familie. Ein Zimmer haben die vier aber auch im eigentlichen Hofgebäude. Deshalb hatte Janne genug Platz, sich in der Bauwagenküche eine kleine Werkstatt einzurichten. in der er tüfteln kann.

Während Janne am Holzofen steht und kocht, führt sein sechsjähriger Sohn das neueste Projekt seines Vaters vor – einen Literaturautomaten. Er nimmt sich ein 50-Cent-Stück von der Arbeitsplatte und wirft ihn in eine Holzkiste mit Münzeinwurf. Noch während das Gerät rattert, tippelt er ungeduldig mit den Füßen. Stolz präsentiert er nach einigen Sekunden einen Kassenzettel, auf dem ein kurzes, humoristisches Gedicht gedruckt ist. „Auf den Literatomaten bin ich zu später Stunde bei einer Flasche Rotwein gekommen“, erklärt Janne. „Ein Freund von mir, der auch auf dem Hof arbeitet, ist Dichter. Wir haben überlegt, wie man zeitgemäß Gedichte unter die Leute bringt. Und da ist uns die Idee gekommen.“

Zum Mittagessen gibt es Gemüsesuppe mit Nudeln und frischen Ziegenkäse. Gegessen wird auf kleinen Sitzkissen auf dem Boden. Große Fenster – Janne hat sie auf dem Sperrmüll in Berlin gefunden – beleuchten den Raum, der etwa die Maße eines mittelgroßen Seefrachtcontainers hat.

Aus Stadtkind wird Landmensch

Im Jahr 2008 nahm Janne eine Stelle bei einem Fabrikanten für medizinische Geräte in Duderstadt an und zog ins etwa 30 Kilometer entfernte Göttingen, wo 20Prozent der Einwohner Studenten sind. Die Stadt habe ihm damals noch mehr zugesagt, so Janne. Nach anderthalb Jahren kehrte er in seine Heimatstadt Berlin zurück und schloss im Jahr 2014 seine Promotion ab. Noch im selben Jahr boten ihm die befreundeten Hofbesitzer in Landolfshausen einen Stellplatz für den Bauwagen und eine Unterkunft für die Familie an. Seitdem wohnt Janne auf dem Käsehof. „Ich helfe am Wochenende immer gerne, die Ziegen einzufangen, wenn die mal wieder ausgebrochen sind.“ Das käme gar nicht so selten vor, fügt er lachend hinzu.
  Der 36-Jährige möchte seinen Kindern eine nachhaltige Lebensweise nahebringen. „Wir essen zum Beispiel nur ganz wenig Fleisch – ich esse nur das Fleisch von den Tieren auf dem Hof, aber meine Frau ist streng vegetarisch. Wir versuchen das vorzuleben, was wir für richtig halten. Ich möchte meine Kinder aber auch nicht dazu zwingen“, erklärt Janne. Sein sechsjähriger Sohn kann bereits Vögel, Bäume und Tierspuren auf Deutsch und Tschechisch korrekt benennen, er ist ein wahrer Naturbursche. Auch Janne selbst verbringt viel Zeit unter freiem Himmel. Jeden Tag führt sein Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad über die Dörfer um Göttingen. Währenddessen hat er viel Zeit, die frische Landluft zu genießen. Er sei einfach kein Stadtmensch mehr, betont der gebürtige Berliner. In der Gegend um Landolfshausen gebe es genug zu entdecken: Felswände zum Klettern, Seen zum Baden. Wenn Janne morgens aufsteht, trennen ihn nur einige Schritte von der Natur.

Zu alternativ für die Landbevölkerung?

„Ich bin nicht oft mit Vorurteilen wegen meiner Lebensweise konfrontiert“, sagt der 36-jährige, der seine braunen Dreadlocks mit einem Tuch bändigt. In Göttingen leben viele Studenten. Viele von ihnen verschlägt es auch ins Göttinger Umland. So sind alternative Lebensentwürfe auch dort keine Seltenheit. „Nur einmal bin ich von Polizisten im Harz aufgehalten worden. Die haben mich gefragt, ob ich Drogen nehme, auf Demos gehe und ob ich einer bestimmten politischen Gruppe angehöre. Seitdem denke ich darüber nach, meinen Doktortitel auf den Führerschein drucken zu lassen“, lacht Janne, der sich überall nur mit dem Vornamen vorstellt.

Hauptberuflich war Janne an der Universität Göttingen als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Spezialisiert ist er auf Handprothesen. Nun aber hat es ihn und seine Familie für ein halbes Jahr in das Heimatland seiner Frau verschlagen. Janne hat ein Stipendium bekommen und wird an der Technischen Universität Brno (Brünn) auch weiterhin an Handprothesen forschen – in Zukunft sollen die Anwender damit fühlen können.

Er hat sich mit seiner Familie ein kleines Grundstück am Stadtrand von Brno gemietet. Für seinen Bauwagen reicht der kleine Garten aber nicht. Eigentlich hatte Janne den Bauwagen gebaut, weil Arbeiten in der Wissenschaft häufige Standortwechsel bedeutet. Nun aber muss die mobile Behausung in Landolfshausen warten, bis die Familie nach einem halben Jahr wieder zurückkehrt. Wohin sie dann verschlagen wird, ist ungewiss. Mit der mobilen Behausung bleiben sie jedenfalls flexibel. Fest steht: Wohnen will Janne wieder auf dem Land: „Mir reicht es, wenn die Stadt in der Nähe ist.“ So wie in Landolfshausen. Anfang Mai fand dort der alljährliche Almauftrieb der Ziegen und Schafe statt. Jedes Jahr kommen Hunderte Besucher zu den Festlichkeiten. Auch Janne hat es sich nicht nehmen lassen, zu diesem Anlass wieder aufs Land zu kommen und seine Freunde zu besuchen.

Landolfshausen

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