Die eigene Muttersprache nicht zu mögen ist, wie wenn man seine Mutter nicht mag. Das geht einfach nicht. Der Buchhändler und Schriftsteller Petr Linduška aus Litovel (Littau) ist geborener Hanáker, seine Muttersprache ist also der Dialekt der Haná – eine nette und gemütliche Sprache, wie er findet.
Anmerkung der Übersetzerin: Der im Originaltext in der direkten Rede gesprochene hanakische Dialekt kann nur schwer im Deutschen wiedergegeben werden. Aus diesem Grund stehen einige Passagen, Zitate und Begriffe in drei Sprachen: auf Deutsch und beim Fahren mit dem Mauszeiger auf den Link auch auf Hanákisch und in schriftsprachlichem Tschechisch. Die Besonderheiten des hanákischen Dialekts können so zumindest formell nachvollzogen werden.
Hanakisch musste Petr Linduška nicht erst lernen, ganz im Gegensatz zum Tschechischen. Zuhause haben sie hanakisch gesprochen, also haben ihn die Lehrerinnen in der Schule manchmal ermahnt, er solle tschechisch sprechen. Die Lehrer würden das vielleicht nicht erkennen, aber wenn er zehn Kilometer weiter weg geboren worden wäre, würde schon ein anderes Hanakisch sprechen. Die Region Haná ist eine der größten in der Tschechischen Republik, und so ist auch der Zungenschlag dort anders. Die Grundlagen sind die gleichen, klar. Natürlich beansprucht jedes Dorf für sich, das einzige und reinste Hanakisch zu sprechen, und erkennt die Versionen der anderen nicht an. „Das riecht so ein bisschen nach Nationalismus, aber so ist das eben“, neckt der hanátische Autor die übrigen Patrioten. ( Hanakisch & Tschechisch ) Mit der Schriftlichen Form ist es das Gleiche: Soll ein hanátischer Text Dächlein über den Buchstaben „o“ und „e“ haben?
Sicher ist, dass keine vereinheitlichte Form existiert. Es gibt zwar verschiedene Online-Wörterbücher für das Hanakische, und Linduška selbst hat auch Linduškas kleines Lehrwörterbuch Hanakisch (Linďákuv malé hanácké slovníček poočné) zusammengestellt. Aber wer nicht in der Haná geboren ist, hat Pech, denn man wird ihm das immer anmerken, auch wenn er fleißig lernt. Genau wie zum Beispiel bei Russen, von denen es in Tschechien viele gibt – oft können sie hervorragend tschechisch, aber man hört immer, dass ihre Erstsprache eine andere ist. Auf jeden Fall hat Petr Linduška angeblich noch nie einen Menschen getroffen, der Hanakisch lernen wollte.
Die Hanakische Botschaft
Damit wenigstens diejenigen bei der hanakischen Sprache bleiben, die sie sprechen können, organisiert er viermal im Jahr mit der Hanakischen Botschaft die Veranstaltungsreihe Přendite si splknót (Tschechisch: Přijdete si spolknout, Deutsch etwa: Kommen und schlucken). Die Hanakische Botschaft ist eine Initiative zur Erhaltung der Sprache und kein Gebäude – das wird es geben, wenn es auch genug Interessenten für einen Kurs gibt. Das ist aber noch eine Utopie. Neben den gebürtigen Hanákern kommen auch manchmal Nicht-Hanáker zum „Konversationskurs“. Wenn sie lachen, ist klar: Sie verstehen. Während des Programms macht aber fast keiner mit, auch wenn der Veranstaltungstitel dazu auffordert. Erst wenn das Programm vorbei ist, gibt es endlose Diskussionen. Auch das gehört zur Haná dazu.Wenn der hanakische „Erwecker“ schätzen sollte, wie viele Menschen den Dialekt wohl beherrschen, würde er auf etwa 400.000 tippen. Nicht immer wird es sich dabei aber um Sprecher des echten Hanakisch handeln, eher um eine angetschechischte Form mit Einflüssen verschiedener Dialekte. Es handelt sich aber um Menschen, die ein falsches Hanakisch erkennen. Deshalb lachen sie auch nicht über Witze, die es nur nachahmen, wie zum Beispiel den hier:
Přijde Hanák do restaurace a ptá se: „Máte kolo?”
„Ne, kolo fakt nemáme.”
„Tak fanto.“
Hier wird mit der vermuteten Ähnlichkeit zwischen den Worten „kola“, also Coca Cola, und dem Wort „kolo“ (Fahrrad) gespielt: Ein Hanáker kommt ins Restaurant und möchte eine Cola, was angeblich auf hanakisch wie „Fahrrad“ klingt, das man in diesem Restaurant aber wirklich nicht da hat. Also nimmt der Gast stattdessen eine Fanta (fanto).
Petr Linduška meint, das müsse man leider auch in Olomouc (Olmütz) erklären, der größten Stadt in der Haná. Hier haben sich auch viele Leute von außerhalb Mährens niedergelassen, es gibt viele Ausländer hier. Mit ihnen klappt es auf Hanakisch nicht, sie würden nichts verstehen. Also muss die halbvergessene Muttersprache von Petr Linduška weichen.
Eine malerische Sprache, die einen zum Lachen bringt
Wenn er in seiner Buchhandlung in Litovel ist, spielt Linduška mit sich selbst ein Spiel. Er rät, wer von den Kunden hanakisch kann. „Meistens liege ich richtig und dann halten wir ein schönes Schwätzchen. Es ist mir nämlich sympathisch wenn derjenige merkt, dass wir als Ethnie noch nicht ausgestorben sind. Ansonsten muss ich dann halt schnell umschalten ins Tschechische.“ ( Hanakisch & Tschechisch )Petr Linduška mag den Dialekt der Haná, aber wenn er Bücher oder für das Feuilleton schreibt, nimmt er sich auch nicht zu ernst. Er hat die Fähigkeit, sich über sich selbst und das Leben lustig zu machen. Die Aufgabe, die er sich gestellt hat, also das Hanakische unters Volk zu bringen, lässt sich ja nicht mit Gewalt durchsetzen. Die Menschen brauchen einen positiven Impuls und Zugang, sagt er. Und wenn er das auf Hanakisch sagt, wird gleich deutlicher, wie er es meint. „Die Leute müssen lachen, denn nur so merken sie, wie malerisch diese Sprache ist. Das Hanákische ist genau wie unser Tschechisch. Man kann es auskosten, mit ihm spielen und umformen wie man will, ohne es zu zerstören oder, wie ich immer ein bisschen ordinär sage, zu ,versauen‘.“ ( Hanakisch & Tschechisch )
Das älteste, auf Hanakisch geschriebene Buch, das Petr Lindušk je gesehen hat, war aus dem Jahr 1769, er besitzt viele vom Ende des 19. Jahrhunderts. In den letzten fünfzig Jahren sind aber nicht viele dazu gekommen. Anscheindend war es dem Hanakischen nicht vergönnt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Manche versuchen die Sprache „aufzuwecken“ wenn sie das Gefühl haben, dass sie zu verschwinden droht. Manchmal vergebens. Leute im Alter von 30 und jünger interessieren sich schon nicht mehr groß für den Dialekt. Die Musik ist allerdings ein möglicher Zugang, und wenn die Band Stracené ráj (Tschechisch: Ztracený ráj, Deutsch: Verlorenes Paradies) aus Olomouc ihren Bigbeat mit dem Dialekt der Haná begleitet, dann ist sich der Schriftsteller sicher, dass er mit seinen 57 Jahren noch nicht zu den letzten Hanakisch-Muttersprachlern gehört.
Die Globalisierung: Ein Feind des Hanakischen
Und wenn das Hanakische verschwinden würde? Eine allzu düstere Vision, sagt Linduška. Er erinnert aber an Zeiten, als das geschah. „Als die Tschechen um ihre Muttersprache gebracht wurden, verloren sie auch ihre Identität. Wie viele Jahrhunderte hat man bei uns nur deutsch gesprochen!“ ( Hanakisch & Tschechisch )Diejenigen, die dem Volk dann seine Sprache zurückgegeben haben, werden heute gefeiert, erinnert er. „Und trotzdem stellen wir jeden Tag fest, dass das Tschechische plötzlicher mehr Englisch als Tschechisch ist. Der Fortschritt ist erbarmungslos, die Globalisierung lauert an jeder Ecke. Es gibt einfach keine Nationen mehr. Es ist ein Horrorszenario, aber es sieht so aus, als könnte dem niemand entgehen. Wenn das Hanakische aus der Welt verschwindet – und das passiert in dem Moment, wenn der letzte Hanáker stirbt – wird diese Welt um eine schöne und malerische Sprache ärmer sein. Dann sind wir keine Exoten mehr, viele missgünstige Menschen atmen dann erleichtert auf. Ich hoffe, dass es noch sehr lange dauert, bevor es dazu kommt. Aber das haben sie auch über die weißen Nashörner gesagt“, erinnert er an das letzte weiße Nashornmännchen Sudán im Zoo von Dvůr Králové, das wahrscheinlich nie ein Wort Hanakisch gehört hatte. ( Hanakisch & Tschechisch )
Genau wie denen, die diesen mährischen Dialekt nicht kennen, könnten ihm die Worte aber angenehm in den Ohren klingen. Zum Beispiel Linduškas Lieblingswörter:
bzdina (Tschechisch: pšouk, Deutsch: Pups)
šofan (naběračka, Schöpfkelle)
osohlena (zima, kalt)
kvičeró (k večeru, zum Abend hin)
Litovel (Haná)
Juli 2018