Tiergestützte Therapien  Mit Hunden heilen

Mit Hunden heilen Foto: Eric Ward via unsplash | CC0 1.0

Therapieangebote mit Tieren werden immer beliebter. Gerade, weil Tiere nicht dieselbe Sprache sprechen wie Menschen, sondern besonders empfindsam für andere körperliche Signale sind, können sie trauernden Kindern wie auch anderen Patienten helfen. Nicht nur in der Psychotherapie oder in der Krankengymnastik, sondern sogar bei Zahnärzten werden Tiere inzwischen gezielt eingesetzt. Sie sollen Patienten motivieren oder ablenken, ihnen Freude bereiten, das Lernen erleichtern oder bestimmte Symptome reduzieren. Wie gelingt ihnen das?

Etwa drei Monate nach dem Unfalltod ihrer vierjährigen Schwester betritt Lou zusammen mit fünf anderen Kindern eine Ergotherapie-Praxis im Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Die Siebenjährige kennt zwei der Grundschüler und auch die begleitende Sozialpädagogin schon. Doch in dieser Praxis war sie noch nie. Plötzlich berührt etwas Warmes, Feuchtes Lous Handrücken. Das Mädchen zuckt zusammen. „Sie war so nervös und verunsichert damals“, erzählt ihre Mutter. „Deshalb hat sie den Hund nicht gesehen.“ Als Lou die schwanzwedelnde Hündin sieht, lächelt sie.
 
„Der Hund kam direkt zu mir und hat mich beschnuppert. Zuerst hab ich mich erschreckt, aber dann hab ich mich gefreut“, erzählt das Mädchen später. Alle Kinder in der Gruppe haben jemand aus dem engsten Familienkreis verloren. Um diesen Verlust besser zu verarbeiten, sind sie hier. Die Kinder lernen zunächst, der Hündin Stella kleinere Befehle zu erteilen. „Sitz!“ „Platz!“ „Peng!“ Der Golden Retriever lässt sich auf die Seite kippen und stellt sich tot. Die Gruppe backt Hundekuchen und belohnt die Hündin damit. Und zum Abschluss nach mehreren gemeinsamen Samstagvormittagen kommen dann auch die Eltern dazu und dürfen ihre Kinder als Dompteure im „Hundezirkus“ bewundern. Da springt Stella willig sechsmal durch den Reifen, schlängelt sich durch eine Rolle und balanciert auf einer Bank. Die Kinder sind stolz und die Eltern klatschen begeistert. „Ich glaube, Stella war ziemlich froh, wenn wir da waren. Sie hat immer mit dem Schwanz gewedelt“, meint Lou.
Kunsttherapeut Frank Bartnik setzt die Hündin Fräulein sowohl in der Einzel- wie in der Gruppentherapie ein. Kunsttherapeut Frank Bartnik setzt die Hündin Fräulein sowohl in der Einzel- wie in der Gruppentherapie ein. | Foto: © LWL-Klink Hemer

Mischlingshündin Fräulein bricht das Eis und motiviert

Nicht nur der Einsatz von Tieren, sondern auch die Zahl der Studien, die die therapeutischen Effekte von Tieren untersuchen, steigt. Bei Traumafolgestörungen oder autistischen Symptomen zum Beispiel scheinen die messbaren Erfolge besonders groß zu sein. Alzheimer-Patienten zeigen während der Interaktion mit Therapiehunden bessere Gedächtnisleistungen, Hundehaltern wurde nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall ein geringeres Sterberisiko und Studierenden mit Hund ein geringerer Stresslevel nachgewiesen. Dass Mensch-Tier-Interaktionen generell entspannen und zu einer Ausschüttung des „Bindungshormons“ Oxytocin führen können, wurde ebenfalls durch verschiedene Studien bescheinigt. Doch auch außerhalb von Praxen und Kliniken wirkt allein das Zusammenleben mit Tieren überaus positiv: Wer etwa mit einem Hund aufwächst, senkt damit sein relatives Risiko an Schizophrenie zu erkranken um fast ein Viertel.
 
In der psychiatrischen LWL-Klinik Hemer setzt der Kunsttherapeut Frank Bartnik in seinem Atelier die Hündin Fräulein sowohl in der Einzel- wie in der Gruppentherapie ein. „Wenn ich die Patienten bitte, ihr Selbstbild zu verfassen, dann fällt das häufig sehr negativ aus. Viele der Menschen hier haben schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht. Wenn ich dann aber den Hund in die Mitte setze und sie sollen aufschreiben, was der Hund wohl über sie denkt – dann kommt etwas viel Positiveres dabei heraus“, berichtet er.

Gerade bei depressiven Störungen als Traumafolge, etwa nach einem sexuellen oder anderen Missbrauch in der Kindheit, hat Frank Bartnik seit 2015 gute Erfahrungen mit der tiergestützten Therapie gemacht. Manchmal „malt“ Fräulein sogar mit: Einer Patientin fehlte der Mut, um das am Boden liegende riesige Blatt Papier für sich zu nutzen. Der Hund brach das Eis, indem er mit einer farbigen Pfote das Weiß betupfte. Die speziell ausgebildete Mischlingshündin öffnet Türen und fungiert als Motivator. Sie strahlt Sicherheit aus und wertet nicht. Oft ist es allein die Anwesenheit des Vierbeiners, die die Patienten ins Hier und Jetzt holt. Das hilft insbesondere Menschen, die Schwierigkeiten mit ihrer Konzentration haben oder dissoziieren, quasi „abschweifen“. Sowohl seelisch als auch körperlich können Hunde so heilend wirken.
Physiotherapeutin Marion Jager: „Unsere Hunde verkraften maximal zwei bis drei Einheiten mit Patienten am Tag.“ Physiotherapeutin Marion Jager: „Unsere Hunde verkraften maximal zwei bis drei Einheiten mit Patienten am Tag.“ | Foto: © PhysioTeam Jager

Auch auf die Bedürfnisse des Tieres achten

Die Berliner Physiotherapeutin Marion Jager erlebte das am Beispiel ihrer eigenen Tochter. „Als meine Tochter ein Baby war, hatte sie einen Schlaganfall. In der Folge hatte sie große Schwierigkeiten laufen zu lernen. Wir hatten damals einen Golden Retriever. Und eines Tages beobachtete ich, wie sie sich an dem Fell des Hundes hochzog und das, was vorher unmöglich schien, in Angriff nahm: Sie lernte laufen. Der Hund motivierte sie und half ihr, neue Bewegungen auszuführen.“ Nach dieser bahnbrechenden Erfahrung begann Marion Jager, sich und ihre Hunde gezielt in der tiergestützten Therapie weiterzubilden. „Gerade bei körperlichen Übungen, die ohne Anreiz etwas stumpfsinnig oder auch schmerzhaft sein können, helfen die Hunde enorm.“ Dann liegen zum Beispiel die Hundekuchen so weit hinter dem Patienten, dass er sich weit in der Hüfte drehen muss. Dabei trainiert er automatisch genau die Drehbewegung, die er später braucht, um besser in seine Jacke schlüpfen zu können.

„Wichtig ist, bei einer solchen tiergestützten Behandlung auch auf das Tier zu achten. Unsere Hunde etwa verkraften maximal zwei bis drei Einheiten mit Patienten am Tag“, stellt die Physiotherapeutin Marion Jager klar. Sich auf jeden Patienten neu einzustellen, ist anstrengend für die Hunde. Außerdem muss die Therapeutin das Tier vor unangenehmen Berührungen oder gar Verletzungen schützen. „Solche Übergriffe muss ich im Vorfeld erkennen und vermeiden. Sonst macht der Hund irgendwann nicht mehr mit.“ Insofern ist eine Behandlung mit einem Tier auch für den beteiligten Menschen doppelt herausfordernd: Dieser muss auf die Bedürfnisse des Patienten und auch auf die des Tiers achten. Das Tier ist in jedem Fall nur das Medium. Die Behandlung führt die Therapeutin.
 
Neben Hunden und Pferden gibt es auch tiergestützte Interventionen mit anderen Tieren. Die Bandbreite reicht von Wellensittichen über Meerschweinchen bis zu Bauernhoftieren, wie Eseln, Schafen oder Hausschweinen. Der Einsatz von Tieren macht allerdings nur Sinn, wenn die Klienten nicht allergisch und grundsätzlich tieraffin sind. In der Jugendhilfe kommen sogar Schildkröten zum Einsatz. In deren harten Schutzpanzer können sich Kinder mit Gewalterfahrungen wiedererkennen. Ihnen und vielen anderen kann es helfen, die Welt „aus der Sicht der Tiere“ wahrzunehmen.

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