Die „Sprache“ der Tiere  Spreche und herrsche!

Spreche und herrsche! Foto: Daniel Cano via unsplash | CC0 1.0

Warum der Mensch glaubt, über den Tieren zu stehen, und warum die Tiere das nicht interessiert. Sprechen Tiere? Benutzen sie „Sprache“? Wenn Tiere in vollwertigen Sprachen kommunizieren oder fähig sind, die menschliche Sprache zu lernen, müssen wir unser Verhältnis zu ihnen radikal neu denken. Oder ist unser Konzept der Sprache nur ein Instrument der Herrschaft des Menschen über die Tiere, fragt der Dichter Jan Škrob.

Primitive Sprachen

Unsere – „europäische“ – Linguistik ging sehr lange davon aus, dass manche Sprachen komplex, entwickelt und „vollwertig“ sind, andere hingegen primitiv. Es ist kein Zufall, dass als Maßstab zur Reife einer Sprache Latein, Griechisch und Deutsch herangezogen wurden: Die Pioniere der europäischen Linguistik wollten in ihren Vorstellungen von Hierarchien und Entwicklungsstufen der Sprachen natürlich sich selbst an der Spitze sehen.

Als hochentwickelt galt also die indoeuropäische Grammatik und falls eine andere Sprache ihre Legitimität und ihr Existenzrecht verteidigen wollte, so musste sie das mithilfe der indoeuropäischen Terminologie tun. In der Praxis führte das zu bizarren Situationen. Ein gutes Beispiel führt die Forscherin Rachael Gilmour in ihrem Buch Grammars of Colonialism an: den britischen Missionar Henry Hare Dugmore, der sich dem Studium der südafrikanischen Sprache Xhosa widmete. Dugmore versuchte die britische Kolonialmacht vom Sinn seiner Bemühungen und seines Dialogs mit den Sprechern der Xhosa-Sprache zu überzeugen, indem er indoeuropäische grammatische Begriffe auf das Xhosa anwandte. Grammatikalische Phänomene dieser Sprache bezeichnete er mit Begriffen aus einer völlig anderen Welt.

Das „primitiv“ und „entwickelt“ ziemlich relative Konzepte sind, zeigt das folgende Beispiel: Die traditionelle Linguistik nach Ferdinand de Saussure, die die indoeuropäischen Sprachen an die Spitze einer vorgestellten Rangfolge stellte, ging von der Annahme aus, dass hochentwickelte Sprachen flektierende Sprachen seien – also solche, die sich durch ausgeprägte grammatische Beugungen auszeichnen. Eine typische Eigenschaft einer flektierenden Sprache ist, dass ein Laut (oder ein Zeichen) mehrere Informationen transportiert. Zum Beispiel zeigt die Endung -o im spanischen Wort tengo („ich habe“) die erste Person, das Singular, die Gegenwart und den Indikativ an. Auch wenn die Vorstellung, dass solche Sprachen „hochentwickelt“ seien, einer gewissen Logik folgt, kann ihr doch genauso einfach dadurch widersprochen werden, dass agglutierende Sprachen – also diejenigen, die grammatische Kategorien durch spezielle Präfixe, Suffixe oder Infixe ausdrücken – in der Lage sind, sehr komplexe Sachverhalte mit einem einzigen Wort zu artikulieren, wenn auch mitunter einem ziemlich langen.

Die Linguistik gelang allmählich zu der Einsicht, dass sich Sprachen auf diese Weise nicht miteinander vergleichen lassen und schließlich, dass sie sich überhaupt nicht vergleichen lassen. Jede Sprache trägt in sich nämlich das Grundprinzip, dass man mit ihr all das ausdrücken kann, was ihre Sprecher*innen benötigen. Alles andere ist unwichtig.

Tiersprachen

Wenn jemand nach dem Verhältnis von Tieren zur Sprache fragt, können damit zwei verschiedene Dinge gemeint sein. Zum einen könnte es um die Fähigkeit von Tieren gehen, die menschliche Sprache zu verstehen und gegebenenfalls in ihr zu kommunizieren. Zum anderen könnte das Interesse darin bestehen, ob die verschiedensten Formen der Kommunikation, die wir im Tierreich ausmachen, als Sprache verstanden werden können.

Die Antwort auf beide Fragen hängt eng damit zusammen, wie wir Sprache definieren. Eine ganze Reihe von Definitionen geht dabei a priori davon aus, dass Sprache eine „menschliche Fähigkeit“ sei. Es wird behauptet, dass die Kommunikationssysteme anderer Lebenwesen, ob es nun Bienen, Elefanten, Delfine oder große Affen sind, in sich geschlossen und begrenzt sind auf einen sehr kleinen Bereich von Themen, die sie ausdrücken können. Laut Steven Pinker und Ray Jackendorff (siehe ihr Artikel The faculty of language: what's special about it?, veröffentlicht in der Zeitschrift Cognition) erfüllen sie ebensowenig eine ganze Reihe von Kriterien, die traditionell als typisch für Sprachen gelten. Dazu gehören die Arbitrarität (zwischen dem Wort und dem Sachverhalt, den es beschreibt, besteht keine direkte Beziehung), die Kreativität (aus einer endlichen Menge von Elementen, lassen sich theoretisch unendlich viele Äußerungen formen) oder die Tatsache, dass wir uns auch über Dinge unterhalten können, die wir gerade nicht sehen und/oder erleben.

Möchten wir Sprache als etwas exklusiv den Menschen Vorbehaltenes verstehen, ergibt es keinen Sinn, sich überhaupt mit der Frage zu beschäftigen, ob oder ob es nicht möglich ist bei Tieren von „Sprache“ zu sprechen: Natürlich ist es das nicht – genausowenig wie man bei Menschen von Bienentänzen sprechen kann.

Sind es aber wirklich qualitative Unterschiede, die die menschliche Sprache radikal von den Verständigungsmitteln anderer Lebewesen unterscheiden? Das Problem ist, dass das nicht logisch ist. Wenn wir davon ausgehen, dass sich der Mensch radikal von anderen Lebewesen unterscheidet, können wir auch die menschliche Kommunikation ohne Weiteres als etwas ganz Außergewöhnliches begreifen, und genau die Dinge betonen, die sie von anderen unterscheiden. Wenn wir uns aber für einen Augenblick frei machen vom Gedanken der menschlichen Exklusivität, stellen wir fest, dass sich die gleichen Erwägungen auch über die Kommunikation von Bienen oder Delfinen anstellen lassen. Wenn wir die Exklusivität der menschlichen Sprache und des Menschen als solchen aus den einzigartigen Eigenschaften der menschlichen Sprache ableiten, sind wir inkonsequent. Delfine zum Beispiel sind fähig über viele Kilometer hinweg ohne technische Hilfsmittel zu kommunizieren und teilen miteinander sehr anspruchsvolle Informationen. Die menschliche Sprache vollbringt diese „Leistung“ nicht. Delfine könnten also ebenso als Maßstab für die Kommunikationsfähigkeiten anderer Lebewesen herangezogen werden. Auch wenn das absurd scheint, unterscheidet sich das nicht wesentlich von der Realität, in der wir jetzt leben – beziehungsweise davon, wie wir als Menschen uns üblicherweise selbst sehen.

Die Frage lautet also offenbar: Wie „gründlich“ muss man Sprache definieren? Wenn ich sie nicht als etwas a priori Menschliches begreifen möchte, finde ich von den existierenden Definitionen diese passend: Sprache ist ein Instrument zur Kommunikation. Wenn wir Sprache auf diese Weise verstehen, müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Bienen, Delfine, Elefanten, Präriehunde, Großaffen, Vögel und weitere Lebewesen auf die Bezeichnung „Sprache“ das gleiche Anrecht haben wie der Mensch. Möchten wir aber Sprache als etwas exklusiv den Menschen Vorbehaltenes verstehen, ergibt es keinen Sinn, sich überhaupt mit der Frage zu beschäftigen, ob oder ob es nicht möglich ist bei Tieren von „Sprache“ zu sprechen: Natürlich ist es das nicht – genausowenig wie man bei Menschen von Bienentänzen sprechen kann.
Die Tanzsprache ist eine der wesentlichen Kommunikationsformen der Honigbienen. Durch das Tanzen werden mehrere Arten von Informationen unter anderem über Futterquellen vermittelt. Die Tanzsprache ist eine der wesentlichen Kommunikationsformen der Honigbienen. Durch das Tanzen werden mehrere Arten von Informationen unter anderem über Futterquellen vermittelt. | Foto: Boba Jaglicic via unsplash | CC0 1.0

Tieren die Menschensprache beibringen

Ein etwas anderes Thema ist die Fähigkeit von Tieren zu lernen, „in Menschensprache zu reden“. Wenn wir die Vorstellung akzeptieren, dass die Kommunikationsinstrumente anderer Lebewesen eine „Sprache“ sein können, genau wie die, die wir gewohnt sind bei Menschen als Sprache zu begreifen, verliert diese Frage an Attraktivität. Zu einem gewissen Grad ist sie doch wieder nur eine Frage, die mit der zuvor gestellten zusammenhängt, nämlich ob sich Mensch- und Tiersprachen fundamental unterscheiden.

Es ist unbestreitbar, dass die Vorstellung von einem sprechenden Tier den Menschen gleichzeitig fasziniert und beunruhigt. In einem sprechenden Tier durchdringen sich zwei Welten, die wir streng voneinander getrennt haben. Vielleicht auch deshalb finden wir in Vergangenheit und Gegenwart eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Enthusiasten, die versucht haben, Tieren das Verstehen oder sogar das Sprechen der „Menschensprache“ beizubringen, beziehungsweise Zeichensprache zu benutzen. Und wir sind konfrontiert mit vielen konkreten Tieren, die wohl fähig waren oder sind, mit einem Menschen nach dessen Regeln zu kommunizieren. Manchmal handelt es sich dabei um Betrug, manchmal um unbelegbare Behauptungen, manchmal erweist sich ein vermeintlich überzeugendes Beispiel als unstimmig. Der Schimpanse Nim Chimpsky lernte Zeichensprache und formte regelmäßig auch relativ lange Sätze, der längste bestand aus 16 Wörtern, beziehungsweise Zeichen. Er lautete: „Geben-Orange-ich-geben-essen-Orange-ich-essen-Orange-geben-ich-essen-Orange-geben-ich-du“. Obwohl Nim also offensichtlich die Bedeutungen der einzelnen Zeichen verstanden hat, lässt sich nicht überzeugend behaupten, dass er fähig gewesen wäre, einen verständlichen Satz auf der Grundlage von irgendwelchen grammatikalischen Regeln zusammenzusetzen.
 

Sprache als Ideologie

In den Rassentheorien des 19. Jahrhunderts war auch ein sprachlicher „Rassismus“ angelegt, der Sprachen – unter anderem – von afrikanischen und nordamerikanischen Völkern als unterentwickelt und primitives Kauderwelsch bewertete. Es wurde behauptet, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen nicht gut genug spreche, oder sogar noch nicht mal fähig sei, überhaupt zu sprechen – im wahrsten Sinne des Wortes. Dass man diese Menschen nicht ernst nehmen müsse und sie auch umbringen könnte. Wie Tiere.

Gegen die Logik eines solchen sprachlichen Rassismus widersetzten sich Menschen, wie der oben erwähnte Henry Hare Dugmore, die sich bemühten die Welt davon zu überzeugen, dass Sprachen wie Xhosa laut den indoeuropäischen Maßstäben legitim und mit indoeuropäischen Sprachen sehr gut vergleichbar seien. Ihrer Argumentation lagen gute Absichten zugrunde, aber schon eine flüchtige Kenntnis der betreffenden Sprachen macht deutlich, dass sie falsch war.

Erst etwas später verbreitete sich unter Linguisten die Ansicht, dass jede Sprache vollwertig ist. In jeder Sprache lässt sich das ausdrücken, was ihre Sprecher*innen ausdrücken müssen. Auf nichts anderes kommt es an, und die meisten anderen möglichen Maßstäbe hängen davon ab, aus welchem Umfeld die Person stammt, die Sprachen beurteilen möchte – was Tschech*innen elegant und wohlklingend erscheint, könnte auf Deutsche völlig anders wirken, von Xhosa oder Yoruba ganz zu schweigen.

Die Menschheit ist vom Tierreich getrennt

Gerade solche Auffassungen und Bewertungen sind Bestandteil des Konzepts der Sprachideologien. Wie wir sprechen, ist notwendigerweise verbunden mit dem bewussten und unbewussten Blick darauf, wie wir selbst und wie die anderen sprechen. Die Forscherin Judith Irvine definiert Sprachidelogie konkret als „das kulturelle System der Vorstellungen über soziale und sprachliche Beziehungen, zusammen mit ihrer Aufladung durch moralische und politische Interessen“ (When Talk Isn’t Cheap: Language and Political Economy, 1989). Sprachideologien sind oft Produkte und „Unterarten“ von weiter gefassten Ideologien und Weltanschauungen.

Hier geht es konkret um die Ideologie von der Menschheit als etwas qualitativ gänzlich Unterschiedliches vom restlichen Tierreich. Sprache wird gemeinsam mit Religion, Kultur und weiteren Dingen traditionell als ausschließlich den Menschen vorbehaltene Eigenschaft verstanden. Wie oben bereits angedeutet, geht es in der Praxis darum, die eng definierte Sprache, wie der Mensch sie benutzt, auf das Podest der Außergewöhnlichkeit zu heben. Die Argumente für diese herausragende Stellung aber entspringen, ob wir nun wollen oder nicht, „dem Wunsch als Vater des Gedanken“.

Die Kommunikation von Bienen oder Elefanten wird ebenso vollwertig und komplex stattfinden, egal ob wir ihr den Status einer Sprache zuerkennen oder nicht. Warum sollten wir Tieren nur dann Respekt erweisen, wenn sie die Bedingungen erfüllen, die wir ihnen auferlegen?

Jan Škrob | „Spreche und herrsche!“

Zu beweisen, dass Tiere mit vollwertigen Sprachen kommunizieren oder fähig sind die menschliche Sprache in ihrer Gänze zu erlernen, würde am Ende dieser Gedankenkette zur Einsicht führen, dass wir Tiere ernst nehmen müssen, dass es nicht in Ordnung ist, sie gedankenlos zu töten und dass es legitim ist – und vielleicht auch geboten – für ihre Rechte zu kämpfen. Im Subtext und mit etwas Ironie ließe sich dann umgekehrt konstatieren, dass wenn Affen es nicht schaffen, zusammenhängend und „grammatisch“ Zeichensprache zu benutzen, es auch keinen Sinn hat, sich mit ihnen als lebendige Kreaturen zu beschäftigen.

Und was meinen die Tiere dazu?

Wir verlieren dabei die Tatsache aus den Augen, dass Tieren in Wirklichkeit nichts an den von uns gestellten Bedingungen liegt. Wenn wir darauf bestehen wollen, dass Sprache eine ausschließliche menschliche Eigenschaft ist, kommen die Tiere auch ohne sie klar. Die Kommunikation von Bienen oder Elefanten wird dann ebenso vollwertig und komplex stattfinden, egal ob wir ihr den Status einer Sprache zuerkennen oder nicht. Warum sollten wir Tieren nur dann Respekt erweisen, wenn sie die Bedingungen erfüllen, die wir ihnen auferlegen?

Wenn wir glauben, dass es nicht auf konkrete grammatische und lexikalische Eigenschaften einzelner Sprachen ankommt, sondern darauf, ob sie „funktionieren“, müssen wir – wenn wir ehrlich sind – genauso auch die Arten und Weisen anerkennen, wie Tiere mit einander kommunizieren. Es ist notwendig, Sprache nicht mehr als etwas ausschließlich Menschliches zu begreifen, und zu beginnen, sie als spezifische Form der Kommunikation zu sehen, die für die Menschen das ist, was zum Beispiel für die Bienen ihr Tanz bedeutet.

Ist Sprache als Konzept ein Instrument der Herrschaft des Menschen über die Tiere? So kann man das sicher nicht formulieren. Ziemlich sicher aber stellt sie einen Fixpunkt für die menschlichen Vorstellungen von (unserer) Erhabenheit und unserer Stellung außerhalb des restlichen Tierreichs dar. So wie eine konkrete Sprachideologie zu einem Argument werden kann gegen eine Minderheit, die eine Sprache spricht, die nicht „gut“ genug ist, oder die zwar die richtige Sprache spricht, aber diese nicht gut genug, kann auch Sprache allgemein (beziehungsweise die menschliche Sprache) ein ideologisches Werkzeug der Exklusivität, der Überlegenheit und der Herrschaft sein.

Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass ein Hund in der Lage ist soundsoviele menschliche Wörter zu verstehen, leiten uns zu der hierarchischen Vorstellung von einer Welt, in der an der Spitze der Rangliste mentaler und sprachlicher Fähigkeiten niemand anders steht als – welche Überraschung – wir selbst.

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