Online-Dating-Apps  Dating während der Apokalypse

Dating während der Apokalypse Foto: Pratik Gupta via unsplash | CC0 1.0

Unsere Londoner Autorin Gill Fisher hat ausprobiert, wie Online-Dating-Apps während der strikten Quarantäne funktionieren. Können Coronavirus und Pandemie Icebreaker sein? Sind sich die Menschen vielleicht sogar näher als unter normalen Umständen?

Wegen des Coronavirus haben zwar alle Bars zugemacht, doch hat sich dadurch für Singles eine ganz neue Welt aufgetan. Die Zahl der Menschen, die Dating-Apps nutzen, ist in die Höhe geschnellt, und im Videokonferenzsystem Zoom wimmelt es nur so von virtuellen Dating-Veranstaltungen. Die Dating-App Bare berichtete kürzlich von 60 Prozent mehr Neuanmeldungen, während die beliebte Seite Hinge meldete, 70 Prozent der User hätten Interesse geäußert, an digitalen Dates teilzunehmen. Im Zuge des Lockdown, der ein Drittel des gesamten Planeten betrifft, scheint Romantik eine skurrile Sache zu sein – doch zeigt diese Krise, wie lebendig menschliche Kontakte sind, und führte offensichtlich zu einem gewissen „Carpe-diem-Ethos“ unter denen, die nicht in festen Händen sind. Außerdem: Es gibt abends einfach nichts anderes zu tun.

Online-Dating ist nichts Neues für mich, und obwohl ich meine letzten Beziehungen dem Internet zu verdanken habe, hat es mich ziemlich enttäuscht. Die Anzahl der Fehlstarts, angespannten Gespräche und Fragen zu meinen Brüsten hatte mich zermürbt. Untersuchungen legen jedoch nahe, dass der Lockdown eine neue Vielfalt von Online-Verhaltensweisen hervorgebracht hat: Eine, die sich auf gemeinsame Quarantäneerfahrungen und die Sorge um das Wohl anderer konzentriert. Ein Sprecher von Tinder sagte: „Diese Epidemie verändert auch die Grundhaltung der Verbindung an den Orten, die am stärksten betroffen sind. Immer mehr Menschen nutzen Tinder-Bios, um ihre Sorge um andere auszudrücken. Zum Beispiel fragen sie, ‚wie geht es euch allen‘, anstatt ihr Lebensmotto anzugeben.“

Wasch dir erstmal die Hände!

Sieht so aus, als hätten sich Dating-Apps auf die aktuelle Krise eingestellt: Hinge bietet Restaurantkulissen für virtuelle Dates, Bumble verzeichnet einen Anstieg von 31 Prozent bei Videocalls. Es gibt sogar eine neue Dating-App namens Quarantine Together, die den Usern nächtliche Matches schickt – doch muss man zuerst bestätigen, sich die Hände gewaschen zu haben. Tinder hat auch Sensibilität für die Pandemie gezeigt, indem der weltweite Start des apokalyptischen Spiels „Swipe Night“ abgesagt hat. Diese interaktive Story matcht User basierend auf den Entscheidungen, die sie im Zuge einer bevorstehenden Asteroidenkollision treffen. Der Dating-Riese entschied jedoch, dass Armageddon vor dem gegenwärtigen Hintergrund kein gutes Thema ist.

Aus Interesse daran, wie Covid-19 die Online-Dating-Szene beeinflusst hat, registrierte ich mich bei OK Cupid, lud ein Ganzkörperfoto hoch und verfasste eine kurze Bio. Meine Erwartungen waren relativ niedrig, aber binnen weniger Minuten erhielt ich eine freundliche Nachricht von einem Mann namens James, mit der Frage: „Wie geht es dir mit dem Lockdown?“ Kurze Zeit später fragte mich ein User namens Rob: „Alles ok in dieser komischen Zeit?“ Das Coronavirus ist zum eindeutigen Icebreaker geworden! Fast jede Nachricht, die ich bekommen habe, bezog sich im ersten Satz auf die Ausgangssperre oder wurde in einer der ersten drei Nachrichten erwähnt.
Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid
Ein Resultat der Krise ist, dass uns ein gemeinsames Erlebnis – die Quarantäne – verbindet. Der Kampf gegen das Coronavirus ist ein gemeinsames Ziel, das uns als Individuen und als Nation vereint. Wir sind uns näher und wir sind fähiger, auf andere zuzugehen. Die Ausgangssperre bietet uns direkten Einblick in das Leben anderer, weil wir wissen, dass die jeweilige Person den Abend zu Hause verbringt (sofern es sich nicht um eine der heldenhaften „Systemrelevanten“ handelt).

Aber sobald das Gekicher über Tiger King und das Gefeixe über Klopapier vorbei ist, stellt sich die altbekannte Frage, wie man das Gespräch fortsetzt. Erstaunlicherweise hat sich dies während der Quarantäne als einfacher erwiesen. Der Dialog verlief tatsächlich in Echtzeit, wobei die Themen zwischen Interessen, Urlaubspräferenzen und persönlichen Anekdoten schwankten. Dies ist völlig anders als bei meiner Erfahrung vor der Ausgangssperre, als meine Tinder-Inbox ein Friedhof verlassener Gespräche war, die selten über eine flüchtige Begrüßung hinausgingen.

Hauptsache unverbindlich

Nennt mich abgestumpft, aber ich denke, der Anstieg an Gesprächigkeit hat zum Großteil damit zu tun, dass es keine anderen Ablenkungen gibt. Chatten ist jetzt eine Aktivität geworden, während es davor nur eine Nebenbeschäftigung war, etwa wenn man an der Bar in der Schlange stand oder im öffentlichen Verkehr unterwegs war. Ich spüre auch, dass das Leben in einer großen Stadt wie London die Mentalität der Unverbindlichkeit prägt, denn es gibt immer das Gefühl, dass man jemanden Besseren bald entdeckt. Aber ohne die Sogwirkung von Pub crawls, Fitnessstudios oder Meetups nehmen sich die Leute Zeit, sich zu unterhalten und herauszufinden, und was den anderen bewegt. Gut zusammengefasst hat das ein User namens Luke, der auf seinem Profil schreibt: „Brauche einen Covid-19 Lockdown-Chat. Ich denke, das ist ein guter Weg, um jemanden erstmal kennenzulernen.“

Kann es sein, dass die Pandemie eine gute Seite hat? Dass die Verlangsamung und das Daheimbleiben tiefe emotionale Verbindungen mit sich bringen, die dann zu Grundlagen für lebenslange Liebe werden? Hat Covid-19 es geschafft, das Werben via Korrespondenz aus der Zeit von Jane Austen mit weniger Pferden und mehr Badezimmer-Selfies neu zu erschaffen?
Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid
Ermutigt durch den Erfolg der App, beschloss ich, dem Digital Dating eine Chance zu geben und besuchte ein virtuelles Dating-Event. Für 5 Britische Pfund versprach man mir Zugang zu zwölf Männern zu jeweils drei Minuten – via Zoom. Es fühlte sich ziemlich blöd an, Mascara aufzutragen, um sich dann an den Schreibtisch zu setzen, aber auch seltsam erfrischend, einen Grund dafür zu haben. Ich wollte die wenige Zeit nicht damit verbringen, über die Ausgangssperre zu reden, doch es war verständlich, dass fast jedes Mini-Date mit Fragen über die derzeitigen Arbeitsbedingungen und die Wohnsituation begann. Ein paar technische Probleme behinderten den Prozess und ich konnte nicht anders, als darüber zu spekulieren, ob die Typen, mit denen ich sprach, unten ohne waren. Wie auch immer, nach dem Date hatte ich mit drei davon für „Freundschaft“ gematcht, also sind definitiv neue Connections entstanden.

Verführung in Zeiten der Quarantäne

Obwohl die Ausgangssperre einige positive Entwicklungen im Dating-Bereich mit sich gebracht hat, gibt es auch negative Aspekte. Unerwünschte sexuelle Avancen sind leider nichts Neues, doch die Quarantäne hat das Ganze auf eine neue Ebene gebracht. Die Ausgangssperre hat offensichtlich das Denken einiger Männer dermaßen verwirrt, dass sie nicht mehr fähig sind, zwischen Zivilbevölkerung und professionellen Webcam-Dienstanbietern zu unterscheiden. Es ist nicht üblich, dass Frauen den Lockdown damit verbringen, in Dessous herumzuliegen und auf das Dickpic eines Fremden zu warten, das sie in lustvolle Hemmungslosigkeit versetzt.

Ich persönlich finde es gut, zu sehen, wie lang die Haare an meinen Beinen werden können. Doch erhielt ich mehrere Anfragen, Nacktfotos zu schicken, Einladungen zu exquisiten Videocalls und tollpatschige Verführungsversuche. Ein Mann namens Carlos schlug mir sogar vor, dass wir uns im Park treffen, wo ich ihm aus zwei Meter Entfernung dabei zusehen könnte, wie er mit seinem Schwanz wedelt. Ich war leicht gerührt, dass er trotz dieser Schmierigkeit immerhin die Abstandsregel respektierte.

Noch besorgniserregender als die hohe Frequenz gruseliger Inhalte ist die Zahl der Menschen, die gegen die Empfehlungen der Regierung verstoßen, indem sie ein Treffen vorschlagen (ausnahmslos, um Sex zu haben). Als ich einen solchen Mann, er nannte sich Mark, fragte, ob er sich an die Abstandsregeln halte, antwortete er: „Ja, aber wir brauchen Spaß.“ Ein anderer User schien zu denken, es wäre in Ordnung, wenn wir drinnen bleiben, worauf ich ihm einige Links dazu schickte, wie man in Sicherheit bleibt.
Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid Screenshot eines Chats der Autorin in der Dating-App OK Cupid

Wie kann online der Funke überspringen?

Die offensichtlich größte Einbuße beim Dating während der Quarantäne ist die Tatsache, dass sich Dates in absehbarer Zukunft nicht treffen können. Das ist nicht nur sehr frustrierend, sondern birgt auch das Risiko, dass die Sache im „echten Leben“ dann ganz anders aussieht als online. Obwohl ein Abendessen bei Kerzenlicht per Skype oder synchronisierte Spaziergänge via Zoom eine fantastische Ressource bilden, wird daraus einfach nicht klar, ob die Chemie zwischen zwei Menschen wirklich stimmt.

Man kann nicht leugnen, dass Langeweile eine Schlüsselrolle beim Online-Dating-Boom spielt, und einige Leute genießen ganz einfach die kurzen „Rona-Romances“, ohne sie nach der Ausgangssperre fortzusetzen. Als erfahrene Nutzerin habe ich bemerkt, dass einige Männer, die mir sonst nicht mal Hallo sagen würden, Kontakt mit mir aufnehmen, der bestimmt nicht von Dauer sein wird. Leider befürchte ich, dass viele Verbindungen entweder nicht weitergehen, oder in der sogenannten Friendzone enden, und die Aufmerksamkeitsspanne wird nach der Wiedereröffnung der Bars wieder abnehmen.

Wie auch immer, bei allem Realismus will ich nicht pessimistisch sein, und ich denke, für einige Leute tut sich während der Ausgangssperre etwas in der Liebe. Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die man einander schenkt, und eine höhere emotionale Anteilnahme wird einige glückliche Beziehungen hervorbringen. Die Quarantäne kann als großartige Gelegenheit betrachtet werden, um eine verwandte Seele kennenzulernen, ebenso wie die Arbeit an der eigenen Fitness oder ein Onlinesprachkurs. Während sie nicht für alle mit steinharten Bauchmuskeln und einer praktischen Qualifikation zu Ende geht, so doch für manche. Und genauso werden manche direkt von zu Hause in die Arme ihrer neuen Liebe laufen.

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