Das Virus kümmert es nicht, ob ein Mensch alt oder jung, arm oder reich ist. Für das Klima gilt ähnliches. Und in beiden Fällen ist der globale Süden besonders verwundbar. Was lehrt uns die Pandemie für den Kampf gegen den Klimawandel?
Meine Stadt hat Fieber, sie tropft und klebt. Wir haben schwere Glieder, der Kopf tut weh.“
Seeed
So tönte es letztes Jahr noch am Brandenburger Tor, als die Reggae-Band Seeed bei Fridays for Future auftrat. Tausende waren wie jede Woche zusammen gekommen, hielten Reden auf der Bühne und Schilder in die Luft. Inzwischen hat sich die Lage geändert. Die ganze Welt hat Fieber und nicht nur freitags bleiben die Straßen leer. Ausgangsbeschränkungen haben das Leben in die Wohnungen und den Protest ins Netz verlegt.
Solidarität – Warum erst jetzt?
„Die Jungen schützen jetzt die Alten, indem sie zu Hause bleiben“, so wurde es oft propagiert. Solidarität mit Oma, genauso wie mit Krankenpflegern, alleinerziehenden Eltern und dem angeschlagenen Lieblingsrestaurant. Solidarität ist in aller Munde. Hier und da steckt man sich gegenseitig selbst genähte Masken zu, bestellt jetzt extra häufig beim Dönermann des Vertrauens und kauft für die Kassiererin gleich eine Tafel Merci-Schokolade mit. Man hält ja zusammen, gerade jetzt in diesen Zeiten.„Wer achtlos das Virus weitergibt, gefährdet das Leben seiner Großeltern; wer achtlos CO2 freisetzt, gefährdet das Leben seiner Enkel.“
Dieser Spruch stammt vom renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Dass von Corona nur alte Menschen betroffen sind, ist natürlich nicht ganz richtig. Auch junge Menschen gehören zur Risikogruppe, wenn sie zum Beispiel Vorerkrankungen haben.
Das Prinzip, dass sich die einen einschränken müssen, um das (Über-)Leben der anderen zu schützen, ist nicht neu. Seit über drei Jahrzehnten wissen wir vom Klimawandel und von der Notwendigkeit, den menschlichen Lebensstil für die Bewahrung eines lebenswerten Planeten zu ändern. Wir wissen von der Notwendigkeit, heutige und zukünftige Generationen zu schützen, indem wir fossile Brennstoffe in der Erde lassen, die Wirtschaft transformieren und neue Mobilitätsformen voranbringen. Und wir wissen von der Notwendigkeit, als wohlhabende Länder besonders die im globalen Süden zu unterstützen und schützen, weil sie durch unser aller Handeln früher und stärker direkt leiden als wir. Trotzdem ist bisher bei weitem nicht genug passiert.
Emmanuel M. Emechete (28, Nigeria): „Die mächtigen und entwickelten Länder der Welt bekommen immer noch den größten Teil dessen, was zur Bekämpfung des Problems nötig ist.“ | Foto: © privat
Corona ist jetzt, Klimawandel immer nur „bald“
Bei Corona sind die Auswirkungen der Pandemie sehr schnell für jeden spürbar. Ob reich oder arm, jeder kann am Virus erkranken und möglicherweise sogar daran sterben – und das jederzeit oder in nur wenigen Wochen. Die Bedrohung ist hier ganz unmittelbar. Im Klimawandel werden die Zeithorizonte zwar immer kürzer, aber wir sprechen immer noch von Jahren und Jahrzehnten, statt von Tagen oder Wochen. Dazu kommt die Komplexität: Heute fokussieren wir uns ganz auf das Virus und wie wir uns davor schützen können.Die Logikkette ist relativ simpel: Ein paar Wochen, vielleicht Monate zu Hause bleiben, Kontakte vermeiden, Krankenhäuser nicht überlasten. In der Klimakrise geht das nicht so leicht. Es gibt zu viele Faktoren, zu viele Einflüsse, zu viele Länder, die eine Rolle spielen (müssten). Maßnahmen müssen über Jahre und Jahrzehnte hinweg aufrechterhalten, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig transformiert werden. Es ist ein ungeheurer Kraftakt. Auch deshalb ist es bestürzend, zu hören, wie manche schon nach wenigen Wochen Pandemie fordern, schnellstmöglich zur Normalität zurückzukehren. Wir scheinen wenig resilient für anhaltende Anormalität zu sein.
Damayanti Prabasari (23, Indonesien): „Auch wenn die Pandemie jetzt Unsicherheiten mit sich bringt, brauchen wir mehr langfristig gedachte Anpassungsmaßnahmen und Klimapolitik.“ | Foto: © privat
Corona ist hier, Klimawandel weit weg
Dazu kommt, dass die Coronakrise unser direktes Umfeld betrifft: Die Risikogruppen, zu denen unsere Familienmitglieder gehören, die Kindergärten, die schließen, die befreundeten Krankenschwestern, die in 13-Stunden-Schichten arbeiten. In der Klimakrise geht es bisher vor allem um Solidarität mit heute schon betroffenen Menschen auf der anderen Seite des Planeten. Und die erscheinen nicht nur räumlich sondern auch wirtschaftlich, sozial und kulturell weit weg.Dabei sind Entwicklungsländer, die schon beim Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes „arm dran“ sind, durch die Pandemie zusätzlich getroffen. Emmanuel M. Emechete ist 28 Jahre alt, kommt aus Nigeria und ist neben langjährigem Engagement für die UN-Nachhaltigkeitsziele auch als west- und zentralafrikanischer Ansprechpartner für die Sondergruppe der Vereinten Nationen für Kinder und Jugendliche aktiv. Er sieht in seinem Land klare Parallelen zwischen beiden Krisen: „Sie ähneln sich darin, dass Afrika nach wie vor besonders gefährdet und am wenigsten vorbereitet ist. Es fehlt an Wissen über das Virus, vor allem in den ländlichen Gemeinden. Die mächtigen und entwickelten Länder der Welt bekommen immer noch den größten Teil dessen, was zur Bekämpfung des Problems nötig ist, zum Beispiel Informationen, Ressourcen und Geld.“
Zur schnelleren Entwicklung von Maßnahmen bei Corona meint Emmanuel: „Die meisten Staaten wussten anfangs nicht, wie sie die Pandemie bekämpfen sollten. Beim Klimawandel wissen sie es schon lange, sind aber nicht bereit, die angemessenen Maßnahmen auch zu ergreifen. Es ist nicht unbedingt schlecht, dass sie bei Corona schneller gehandelt haben, aber ich erwarte jetzt auch, dass sie dasselbe gegen den Klimawandel tun.“
Teilweise ähneln die Probleme des globalen Südens sogar den unsrigen in Europa, auch wenn wir davon nichts mitbekommen. Während wir uns in Deutschland vor einem dritten Dürresommer in Folge fürchten, stehen Pläne zur Sicherung der Lebensmittelversorgung in anderen Ländern schon an oberster Stelle. Damayanti Prabasari (23) lebt auf Java, engagiert sich für Frauen- und Kinderrechte und hört zur Zeit weniger über das Klima, sondern vor allem über die Notfall-Landwirtschaftspolitik. Wie Deutschland leidet auch Indonesien unter Dürre und Waldbrandgefahr, dazu kommen Insektenplagen. „Auch wenn die Pandemie jetzt Unsicherheiten mit sich bringt, brauchen wir mehr langfristig gedachte Anpassungsmaßnahmen und Klimapolitik“, meint Damayanti, „wir warten weiter auf die Entscheidungen der UN-Klimakonferenzen und auf Richtungsweisungen auf nationaler Ebene.“
Lisbeth Orosco López (28, Peru): „Die Ungerechtigkeiten und Folgen der Pandemie sind denen des Klimawandels ähnlich.“ | Foto: © privat
Corona ist ein Fenster in die Zukunft mit Klimawandel
Nicht zuletzt zeigt Corona in manchen Entwicklungsländern ganz deutlich, welche Herausforderungen in Krisenzeiten auf sie zukommen können und werden. Genauso wie Emmanuel in Nigeria beobachtet auch die Juristin und Klimaaktivistin Lisbeth Orosco López (28) in Peru: „Die Ungerechtigkeiten und Folgen der Pandemie sind denen des Klimawandels ähnlich: Limitierter Zugang zu Informationen für indigene Bevölkerungsgruppen, mangelnde medizinische Versorgung… Auch die Klimakrise ist eine, die die Gesundheit der Menschen gefährdet. Das Hauptrisiko besteht in jedem Fall für diejenigen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, also die abgelegene und ländliche Bevölkerung, und die, die nicht einmal krankenversichert sind. Die verletzlichsten Gruppen sind die, die am meisten betroffen sind. Diese soziale Ungerechtigkeit merken wir jetzt schon ganz deutlich.“Weitere Ähnlichkeiten sieht Lisbeth darin, dass viele Menschen zur Zeit in ihre Heimatregionen zurückkehren, und in der gebeutelten Landwirtschaft: „Es kommt zu Migrationsströmen, wie wir sie auch durch Klimaflüchtlinge bekommen werden. Und in der Landwirtschaft ist durch die Beschränkungen der Pandemie die Produktion zurückgegangen, so wie wir es im Klimawandel zum Beispiel durch Dürren erwarten können. Durch diese Entwicklungen lernen wir aber auch dazu, können Widerstandsfähigkeit aufbauen. Mehr Menschen begreifen jetzt zum Beispiel, wie wichtig Ernährungssouveränität für jeden Einzelnen ist.“
Ein Markt in Prembun auf Java am 6. Mai 2020. Die indonesische Regierung hat verfügt, dass die Märkte trotz Corona geöffnet bleiben, damit die Lebensmittellogistik aufrecht erhalten wird. | Foto: © privat
Corona ist keine Blaupause, aber Warnung und Chance zugleich
Corona ist eine globale Krise. Wir erfahren von den Entwicklungen auf allen Kontinenten, es gibt internationale Liveticker, die in jedem Land die Zahl der Infizierten und Toten bekanntgeben. Die Klimakrise ist ebenfalls eine globale, aber da erfahren wir nach wie vor primär von den Beschränkungen und Änderungen, die uns im eigenen Land betreffen. Corona lässt Emissionen weltweit sinken, so wie wir es im Kampf gegen den Klimawandel ebenfalls brauchen. Und doch ist Corona keine Blaupause für eine Welt, die dem Klimawandel erfolgreich trotzt. Die Wirtschaft muss nicht still stehen, Menschen müssen sich nicht isolieren, um unseren Planeten zu erhalten.Aber Corona zeigt uns vielleicht eindringlicher als je zuvor, welche Sektoren und Bevölkerungsgruppen besonders schwach und welche (Gesundheits-)Systeme heute schon überlastet sind. Daraus können wir lernen, da können wir endlich gezielt ansetzen. Und wir können versuchen, uns die generationen- und schichtenübergreifende Solidarität zu erhalten und sie in allen Krisen auf alle Menschen weltweit auszudehnen. Vielleicht eine utopische Vorstellung. Aber Corona hat uns eben auch gezeigt: Wir können in einer Krise zusammenhalten. Darauf sollten wir aufbauen.
Mai 2020