„Engagierter“ Journalismus  „Für mich sind alle Themen sozial“

Gaby Khazalová Foto: © Deník Referendum

Gibt es neutralen Journalismus? Darüber, wo die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus liegt, und warum sich männliche Journalisten so wenig für soziale Themen interessieren hat JÁDU-Autorin Tereza Hotová mit Gaby Khazalová gesprochen, die als Journalistin für das Onlinemagazin Deník Referendum schreibt.

Wenn man deinen Namen in eine Suchmaschine eingibt, erfährt man, dass du „Journalistin und Aktivistin“ bist. Stört dich diese Zuschreibung nicht?

Ich würde eher sagen, dass ich vor allem an der Universität eine Aktivistin war, damals war ich aber noch keine richtige Journalistin. Heute sehe ich mich eher als Journalistin, aber eigentlich denke ich, dass sich beides nicht ausschließt.

Bei deiner heutigen Arbeit versuchst du also, diese beiden Bereiche gezielt voneinander zu trennen?

Das kommt darauf an, ob du jenen Typ Journalismus meinst, der oft abfällig als „aktivistisch“ bezeichnet wird, oder ob du zum Beispiel an Journalist*innen denkst, die zugleich selbst Demonstrationen veranstalten oder sie besuchen.

Und du kennst beides?

Ich denke, dass beides oft vorkommt. In den westlichen Ländern gibt es mehr Journalist*innen, die sich als Aktivist*innen für ein bestimmtes Thema einsetzen, vor allem, wenn sie selbst davon betroffen sind, zum Beispiel, wenn jemand queer ist. Meinen Zugang zum Journalismus würde ich nicht als „aktivistisch“ bezeichnen, eher als „engagiert“.

Was bedeutet es für dich, eine engagierte Journalistin zu sein?

Das Attribut „engagiert“ bräuchte ich da gar nicht, denn meiner Meinung nach gibt es gar keinen objektiven und wertfreien Journalismus. Ich denke, dass nicht einmal Nachrichten als Genre komplett objektiv sein können, denn ein Journalist tut seine Einstellung zu bestimmten Werten schon allein durch die Wahl eines Themas kund, das er in die Medien und dadurch in die öffentliche Debatte bringen will.

In Tschechien gibt es etwa seit den 90er Jahren die Vorstellung, dass Journalismus komplett objektiv und wertfrei sein soll, weshalb viele Medien behaupten, sie seien neutral. Sie bekennen sich nicht offen dazu, dass sie bestimmte rechte oder linke Werte vertreten, sondern präsentieren sich als objektiv und unparteiisch. In den westlichen Ländern ist das nicht so, dort sagen Medien oft ganz offen, aus welchen Wertevorstellungen sie hervorgehen. Dieser Zugang sagt mir mehr zu. Wenn man einen Kiosk betritt, hat man die Auswahl zwischen mehreren Qualitätsmedien und weiß vorher, dass die eine Zeitung konservativ, die nächste linksliberal und eine andere rechts ist. Das ist auch die Herangehensweise des Onlinemagazins Deník Referendum, für das ich arbeite, und von ein paar weiteren Medien. In der Tschechoslowakei der 20er und 30er Jahre äußerten die Medien noch relativ deutlich, welche Ideologien und Werte sie vertreten.

Denkst du, es schadet dem tschechischen Journalismus, wenn wir uns nicht eingestehen wollen, dass der „objektive Journalist“ gewissermaßen nur eine Utopie ist?

Zum einen kann das für die Leser*innen verwirrend sein, zum anderen ist das ein Problem für den Beruf als solchen. Ich finde es fair, dem Leser offen zu sagen: Wir schreiben, seien es Nachrichten oder Reportagen, mit diesen oder jenen Wertvorstellungen. Sie kennen sie gut, das heißt, Sie verstehen, wie wir schreiben.

Im Buch Tschechische Journalisten aus komparativer Sicht (Čeští novináři v komparativní perspektivě) von Marína Urbániková und Jaromír Volek wird beschrieben, wie viele Journalist*innen in Tschechien sogenannte „rechte“ und wie viele „linke“ sind. Dabei kann man sehen, dass die linken in der deutlichen Minderheit sind – nur dass sich linksorientierte Journalist*innen auch oft öffentlich als solche bekennen, rechte nicht. So entsteht die unausgesprochene Annahme, dass objektiv sein in der Realität rechts sein bedeutet. Das verschiebt den Diskurs des Mainstreams auf eine bestimmte Seite. Eher rechtes Gedankengut wird für normal und deshalb objektiv gehalten, während linke Einstellungen als etwas Ideologisches angesehen werden.

Und vielleicht vor allem wenn das Thema mit etwas Linkem verbunden ist, dann bekommt so ein Journalismus automatisch das Prädikat engagiert. Aber das ist unfair, denn auch die rechtsdenkenden Journalist*innen lassen ihre Ansichten natürlich in den Text einfließen.

Diese Debatte findet nicht zum ersten Mal statt, ähnliche Auseinandersetzungen gab es früher beispielsweise in der Wissenschaft, wo darüber diskutiert wurde, ob sie engagiert oder neutral sein soll. Ich lehne das Attribut „engagiert“ eigentlich gar nicht ab, ich fühle mich davon auch nicht beleidigt. Ich habe nicht das Gefühl, dass das den Wert meiner Arbeit schmälern würde. Meiner Meinung nach zeigt sich die Qualität journalistischer Arbeit aber eher in einem verantwortungsvollen Umgang bei der Bearbeitung eines Themas.

Aber kann Engagement nicht vielleicht auch zu weit gehen? Zum Beispiel wenn es in Aktivismus übergeht, der schon die Grenzen des Journalismus überschreiten würde?

Es liegt wohl an jedem einzelnen, diese Grenze für sich selbst festzulegen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jemand, der sich für eine Analyse oder Reportage mit der Situation alleinerziehender Mütter und Väter beschäftigt, nach und nach selbst für das Thema engagiert. Ich weiß nicht, ob man das Aktivismus nennen kann, aber es ist eine Folge dessen, dass sich jemand als Journalist*in lange professionell mit dem Thema beschäftigt hat. Für mich ist das kein Problem. Der endgültige Text sollte nach seiner Qualität bewertet werden und nicht danach, ob sich der Autor auch in seiner Freizeit für das Thema einsetzt.

Hast du persönlich schon einmal so einen moralischen oder Wertekonflikt erlebt?

Es ist mir in dem Sinne noch nicht passiert, dass ich darüber nachdenken musste, ob ich gerade eine Grenze überschreite. Aber vor allem im Terrain sollte man als Journalist*in seine Rollen unterscheiden können. Als ich vor ein paar Jahren auf der sogenannten Balkanroute unterwegs war, um über Geflüchtete zu schreiben, bin ich im Norden Griechenlands in anarchistische Kollektive geraten, die vor Ort Hilfe verteilt haben. Ich wusste, dass ich ihnen offen sagen muss, dass ich als Journalistin gekommen bin und nicht als Freiwillige, die Kleidung oder Essen bringt. Der Umgang mit mir war dann natürlich auf einmal ein ganz anderer, die Leute waren viel vorsichtiger. Das ist das gleiche, wie wenn ein Journalist eine Reportage von einer Demonstration macht, dort sollte er auch als Journalist hingehen und nicht als Teilnehmer.

Vielleicht bringt uns das wieder ein bisschen zum Anfang zurück, als wir darüber gesprochen haben, dass es bei Objektivität und Unparteilichkeit zum großen Teil um ein transparentes Aufzeigen von Sichtweisen geht. Wenn sich ein Journalist öffentlich als freiwilliger Helfer engagiert, wissen das die Leser*innen über ihn und können seine Arbeit unter diesem Blickwinkel betrachten. Liegt darin die Fairness?

Den Leser*innen gegenüber auf jeden Fall. Wenn ein Journalist verantwortungsvoll an einen Text herangeht, sieht er seine Arbeit so, dass er nach einer Wahrheit sucht und grundlegende Regeln einhält, das heißt, allen beteiligten Seiten gleichviel Platz einräumt. Es ist meiner Meinung nach absolut in Ordnung, wenn er die Reportage aus seiner subjektiven Sichtweise oder mit einem bestimmten Ziel schreibt, denn wir müssen uns eingestehen, dass schon die Themenwahl des Journalisten widerspiegelt, was seiner Meinung nach mehr in der öffentlichen Debatte diskutiert werden sollte.

Hast du das Gefühl, dass sich dieser Zugang verändert hat, seitdem du im Journalismus tätig bist? Halten immer weniger Redaktionen am utopischen Ideal des objektiven Journalisten fest und streben stattdessen Offenheit dem Leser gegenüber an?

Ich würde sagen, dass der klassische Zugang immer noch überwiegt. Wir sehen das an Themen wie der Klimakrise. Die ist wissenschaftlich belegt, aber dennoch stellen sich viele Medien Unparteilichkeit so vor, dass sie einem Klimaaktivisten oder einer Wissenschaftlerin fünf Minuten Raum geben und fünf Minuten geben sie einem Leugner des Klimawandels.

Fällt dir etwas Konkretes ein, was sich ändern müsste? Oder ist das nur eine Frage der Zeit und der Entwicklung in der Gesellschaft?

Ich bin mir nicht sicher, was sich ändern sollte. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen, dass wir als Medium versuchen, transparent zu sein und offen zu sagen, dass wir aus einer sozial-ökologischen Perspektive schreiben. Dass wir die Vision einer besseren Gesellschaft aufzeigen, die wir erreichen wollen. Etwas anderes, das man als Journalist*in tun könnte, fällt mir nicht ein.

Das bringt uns zur sozialen Thematik als solcher, die mit deiner journalistischen Karriere eng verbunden ist. War das schon von Anfang an so?

Vor allem als ich angefangen habe, jetzt lasse ich das immer mehr hinter mir. Als ich über diese Themen geschrieben habe, sind sie im Mainstream noch nicht so oft aufgetaucht, vermutlich wollte ich deshalb darüber schreiben. Aber seit ein paar Jahren habe ich das Gefühl, dass die gesamte Gesellschaft mehr nach links gerückt ist und mit ihr auch die Medien, das hängt sehr eng zusammen. Daraus ergibt sich, dass es heute auch in den Medien der Mitte ein größeres Interesse an sozialen Themen gibt. Ich muss zugeben, dass mich die Thematik vielleicht deshalb nicht mehr so interessiert, ich habe das Gefühl bekommen, dass die Nachfrage gewissermaßen gedeckt ist.

Kannst du sagen, was dich damals zu den sozialen Themen gebracht hat?

Zum einen auf jeden Fall das Umfeld in der Redaktion. Wir haben immer versucht, über Themen zu schreiben, die uns in der öffentlichen Debatte gefehlt haben. Der heute in Tschechien von allen verwendete Begriff „Geschäft mit der Armut“ wurde bei uns zum ersten Mal verwendet. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass ich aus Brno komme und dass hier auch unsere Redaktion sitzt. Da der Großteil der Medien aus Prag kommt, wird über sehr viele Themen, die sich anderswo abspielen, gar nicht oder nur sehr wenig berichtet. Der Lokaljournalismus ist – wie wir wissen – in einem enormen Verfall begriffen. Als wir vor sechs Jahren unsere Reportageabteilung aufgebaut haben, haben wir uns deshalb auf Themen fokussiert, die für die Leute außerhalb von Prag und den größeren Städten relevant sind, und das waren oft eben gerade soziale Themen. Vermutlich hat auch eine Rolle gespielt, dass ich Soziologie studiert habe.

Da fällt mir ein: Wir reden über soziale Themen, aber wie werden die eigentlich definiert?

Jetzt merke ich gerade, dass ich den Begriff vermutlich ziemlich stereotyp verwende, so, wie ihn sich Leser*innen wahrscheinlich vorstellen. Aber sozial sind für mich eigentlich alle Themen, denn alles hat einen sozialen Aspekt, ob wir nun über die Klimakrise schreiben, oder investigativ unterwegs sind. Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen und diese Ebene beim Schreiben mit einzubeziehen.

Wenn wir uns die tschechische Medienlandschaft anschauen, gehören zu den bekanntesten Namen, die sich sozialen Themen widmen, neben dir Jana Ustohalová, Saša Uhlová, Apolena Rychlíková – also überwiegend Frauen. Hat das einen Grund?

Ich sehe dafür zwei Gründe. Zum einen teilen Frauen vermutlich gemeinsame Lebenserfahrungen, die Männern nicht zu vermitteln sind – auch wenn ich keine essentialistischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen sehe. Das ist ähnlich wie mit verschiedenen ethnischen Minderheiten, was auch der Grund dafür ist, dass sich Redaktionen in westlichen Ländern um Diversität bemühen. Die wissen nämlich genau, dass man von Natur aus anders an ein Thema herangeht, wenn man nun eine Frau oder ein weißer Mann ist oder im Schwarzen Ghetto aufgewachsen ist.

Der zweite Grund, warum Frauen öfter Reporterinnen sind als Politik-, Sport-, oder Wirtschaftskommentatorinnen, ist mehr oder weniger struktureller Natur. In den Redaktionen werden manche Themen immer noch als weniger wichtig angesehen, es sind weniger Mittel dafür vorgesehen und diese Themen landen oft bei Frauen. Wahrscheinlich ist das ähnlich wie in der Politik, wo Frauen öfter Ministerinnen für Arbeit und Soziales sind, aber keine Wirtschaftsministerinnen. Dennoch denke ich, dass sich die Situation ändert und dass es immer mehr gelingt, diese Themen durchzusetzen, wodurch auch die Autorinnen für ihre Arbeit mehr Ansehen erfahren.

Die Namen der genannten Journalistinnen haben also geholfen, dass die soziale Thematik in der Hierarchie der Redaktionen aufgestiegen ist?

Ich denke, dass die ganze Mitte der Gesellschaft nach links gerückt ist, ungefähr zu der Zeit, als Miloš Zeman zum tschechischen Präsidenten gewählt wurde. Damals kam eine erhöhte Nachfrage danach auf, zu erklären, wer eigentlich seine Wähler*innen sind und zu verstehen, wie es ihnen in unserem Land geht und warum sie das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird. Das hat zu Reportagen geführt, für die die Journalist*innen anfingen in die Regionen zu fahren, es wurde über Pfändungen und Ähnliches geschrieben.

Ich komme noch einmal zu den sozialen Themen im Allgemeinen zurück. Lässt sich sagen, dass die journalistische Arbeit über diese Themen in irgendeiner Weise spezifisch ist?

Oft ist das eigentlich so ein storytelling, die Themen stützen sich auf „tiefgreifende Geschichten von Menschen“. Ich habe dabei oft gemischte Gefühle. Man nutzt die Interviewpartner*innen im Terrain gewissermaßen aus – man fragt sie nach privaten Dingen und macht daraus eine Geschichte für andere, die deren reales Leben nicht teilen.

Das kann aber auch speziell in der Hinsicht sein, dass es manchmal schwierig ist, an Menschen aus bestimmten Gruppen heranzukommen. Zum Beispiel hat eine Kollegin eine Serie über Frauen, die als Prostituierte arbeiten, geschrieben. Solche Interviews sind schwieriger, man muss eine Menge Sensibilität und Empathie dafür aufbringen.

Gibt es gerade bei diesen Themen eine größere Tendenz in Richtung engagierter Journalismus oder Aktivismus abzurutschen, über den wir gesprochen haben?

Vielleicht hängt das zusammen, denn wenn ich mich zum Beispiel entscheide, über Gewalt in Geburtskliniken zu schreiben, dann kommt diese Idee oft aus einer persönlichen Erfahrung. Das heißt aber nicht automatisch, dass man sich dann auch als Aktivist für das Thema einsetzt, das hängt von der konkreten Journalistin oder dem Journalisten ab. Ich würde nicht sagen, dass es sich da um einen Automatismus handelt.

Aber was die Arbeit mit Gesprächspartner*innen im Terrain angeht? Man trifft ja viel öfter auf Menschen, denen ganz real geholfen werden muss.

Das ist ein gutes Gegenargument. Die Arbeit als Reporter verleitet dazu natürlich mehr, als wenn man vom Schreibtisch aus Kommentare oder Nachrichtentexte schreibt. Aber ich denke, dass das genauso gut zum Beispiel bei Investigativjournalismus passieren kann. Erfahrungen spiegeln sich einfach im Menschen wider und beeinflussen ihn in seinem weiteren Schreiben. Wenn ein Journalist an einer bestimmten Causa arbeitet, die auf dem Land relevant ist, stellt sich bei ihm mit der Zeit vielleicht ein Gefühl der Frustration ein, dass das Thema in den großen Medien nur wenig repräsentiert ist.

Ist das vielleicht etwas, das dir Sinn gibt? Du hast ja gesagt, dass dich soziale Themen nicht mehr so anziehen, wie früher.

Als ich einige Reportagen aus dem Grenzgebiet geschrieben habe, oder als wir außerhalb von Prag oder Brno an Investigativberichten gearbeitet haben, haben wir oft gehört, wir wären „die ersten Journalisten, die danach fragen“. Das habe ich davon mitgenommen: dieses Gefühl der Menschen vor Ort, ungerecht behandelt zu werden, da die Themen, die in ihrer Region relevant sind, nicht in den Medien präsent sind. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Man hat die Wahl, ob man eher das Geschehen in Prag oder zum Beispiel in Pilsen verfolgt. Ich persönlich widme mich lieber Pilsen.
 

Gaby Khazalová studierte Politikwissenschaften und Soziologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk-Universität in Brno. Seit 2014 arbeitet sie für das Onlinemagazin Deník Referendum. Als Reporterin widmet sie sich vor allem sozialen Themen. Sie hat eine Reihe von Analysen zur Wohnungskrise veröffentlicht, eine Reportagereihe über die Probleme der tschechischen Grenzgebiete oder Berichte von der Balkanroute. Außerdem schreibt sie Kommentare zu Frauenthemen.

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