Männer in Frauenberufen  Keine Extrawurst für männliche Hebammen

Keine Extrawurst für männliche Hebammen
Keine Extrawurst für männliche Hebammen Foto: Alex Hockett via unsplash | CC0 1.0

Bei „Quote“ oder „Diskriminierung“ denken viele fast unweigerlich an Frauen, die in traditionellen Männerberufen lernen und arbeiten. Andersrum geht das aber auch – zwei Männer erzählen von ihrer Arbeit als männliche Hebammen und welche Herausforderungen sie dabei erleben.

Tobias Richter ist Anfang 20, hat mehr als 300 Kindern auf die Welt geholfen und gefühlt wohl auch genau so viele Interviews über seine Berufswahl gegeben: „Manchmal denke ich: Eigentlich bin ich Hebamme und nicht jemand, der ständig in der Zeitung drin ist. Das war jetzt nicht mein Plan“, sagt er ganz ohne falsche Koketterie. 2018 hat Richter sein Examen absolviert, arbeitet seitdem im Schichtdienst in einem Berliner Krankenhaus und ist damit einer von gut zehn Männern, die in Deutschland aktiv im Beruf Hebamme arbeiten. Zudem betreibt er als @heb.tobi98 einen Instagram-Account, auf dem er mittlerweile über 2600 Abonnent*innen seinen Berufsalltag zeigt.
 

Tobias Richter ist Jahrgang 1998, stammt aus Brandenburg und wollte schon als Teenager Hebamme werden. Seit 2018 ist er examinierte Hebamme und arbeitet heute in einem großen Krankenhaus in Berlin.

Erst seit Anfang 2020 gilt die weibliche Berufsbezeichnung auch für Männer – bis dato hießen sie „Entbindungspfleger“: „Wir sind aber keine Entbindungspfleger - wir sind Hebammen. Wir machen keine Entbindungspflege, weil wir niemanden pflegen“, so Richter. Seine Aufgaben unterschieden sich nicht von denen seiner Hebammen-Kolleginnen. Er selbst hat als Bundesdelegierter im Bundesrat der werdenden Hebammen daran mitgewirkt, dass sich die Bezeichnung ändert. Und so ist es jetzt in Artikel 3 des Hebammengesetzes verankert: „Die Berufsbezeichnung ‚Hebamme‘ gilt für alle Berufsangehörigen.“

Viele andere hätten schon hingeschmissen

Richter wollte schon als Teenager Hebamme werden – und schaffte den Einstieg mit der Unterstützung seiner Mutter, die ebenfalls Hebamme ist. Der gebürtige Brandenburger lernte in Thüringen, wo er nach eigener Aussage zwar nicht der erste Mann war – aber wahrscheinlich der zweite. Fragt man ihn nach Reibungspunkten als Mann in der Hebammenausbildung, bleibt er vorsichtig mit Kritik: „Ich war im Osten komplett was Neues. Das hat man schon gemerkt und ich hatte es da schon ganz schön schwer gehabt. Ich weiß nicht, ob es in Berlin oder in Westdeutschland deutlich anders geworden wäre.“

Tobias Richter, Hebamme Hebamme Tobias Richter über seine Ausbildung: „Ich hatte es da schon ganz schön schwer gehabt.“ | Foto: © Fräulein Fotograf Berlin Im Lehr-Kreißsaal wurden dann immerhin alle gleich mies behandelt: „Es war eine strenge Hierarchie, in der die Schüler*innen nichts zu melden hatten, manche Sachen waren menschlich echt unterste Schublade.“ Einige ältere Hebammen lehnten Richter damals auch ganz offen ab oder ignorierten ihn. Für ihn ist diese sture Haltung bis heute nicht nachvollziehbar. Im Kreißsaal selbst erlebt er von Müttern und deren Partner*innen keine Ablehnung – auch wenn seine Anwesenheit manchmal noch überrascht. „Manche schrieben mir nach der Geburt Dankeskarten: ‚Im ersten Moment war ich natürlich schon ein bisschen über dich verwundert.‘ Der nächste Satz ist dann aber oft: ‚Im Nachhinein war das völlig unbegründet‘“, sagt Richter.
 
Ähnliches hat auch Konstantin Wroblewski erlebt, der in den letzten Zügen seines Hebammen-Examens liegt: „Ich glaube, keiner, der die Ausbildung gemacht hat, hat es leicht gehabt als Mann. Man wird oft genug dumm angemacht bis hin zu Mobbing“, so Wroblewski. Er selbst erinnert sich an zahlreiche Situation: An die kräftezehrende Bewerbungsphase vor allem in katholischen Häusern, an persönliche Beleidigungen und Anfeindungen in Ausbildung und Praxisdienst, an einen ihm parteiisch erscheinenden Personalrat, an eine Lehr-Hebamme, die ihn nachweislich durch eine Prüfung fallen ließ.
 

Konstantin Wroblewski ist Anfang 20 und stammt aus Lutherstadt Wittenberg. Zum Zeitpunkt unseres Telefonats befindet er sich am Ende seiner Ausbildung als männlicher Hebammenschüler. Seine Ausbildung fand in unterschiedlichen Teilen Deutschlands statt, vor allem aber in Bayern.

Viele andere hätten hier schon hingeschmissen. Doch Wroblewski hat sich bis hierher durchgebissen – er kam nach einem Arbeitsunfall und abgebrochener Tischlerlehre in den Beruf und sieht darin seine Zukunft. Nach seinem Examen will er deutschlandweit quasi als „Wanderhebamme“ in Zeitarbeit tätig sein, später vielleicht auch einmal in Österreich.

Hebammen verteidigten Beruf gegen männliche Ärzte

Männer in der Geburtshilfe sind in der europäischen Geschichte nichts komplett Neues – doch waren sie oft eher eine Mischung aus Barbier, Zahnarzt und Chirurg. Besonders bei schwierigen Geburten rief man sie, bei denen das Leben von Mutter oder Kind in Gefahr war. Historisch haben sie kaum Spuren hinterlassen, obwohl „die Hebammengeschichte an sich eine relativ gut aufgearbeitete Geschichte ist,“ so der Medizinhistoriker Pierre Pfütsch vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. „Knallharte Eckdaten, wer beispielsweise die erste männliche Hebamme war und wo, gibt es aber nicht.“
 
Auch der Deutsche Hebammenverband bestätigt, dass die Geschichte männlicher Geburtshelfer in Deutschland nicht speziell dokumentiert werde – wer danach sucht, muss viel telefonieren und sich in Archive vergraben. Pfütsch erklärt, dass dies unter anderem daran läge, dass der Hebammenberuf eben ein traditionell von Frauen geprägter Beruf ist – dessen historisches Narrativ deswegen auch stark feministisch gefärbt sei.
 
Ein weiterer Grund, warum es so wenige männliche Hebammen gibt, liegt jedoch in der (europäischen) Geschichte der Medizin selbst: „Mit der Herausbildung der akademischen Medizin im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten die Ärzte die Geburtshilfe als Feld für sich. Damit fingen die Abgrenzungskämpfe an: Die Ärzte – vulgo Männer – versuchten, die Hebammen zu diskreditieren“, so der Medizinhistoriker.
 
Geburtshilfe durch Hebammen wurde als „Hokus-Pokus von Dorfweibern“ zunehmend schlecht gemacht, mancherorts mit Hexerei gleichgesetzt – schließlich hatten Hebammen auch Kenntnisse über Verhütung und Abtreibung. Die Hebammen selbst wehrten sich, indem sie Männer in der Geburtshilfe als unsittlich, lüstern und grausam darstellten. Pfütsch geht davon aus, dass es durch den Wunsch nach Autonomie zu einer geschlechtsspezifischen Schließung des Berufs kam, die bis heute fortwirkt.
 

Kein Karrierehindernis – Männer in Frauenberufen

1985 war es dann aber doch einmal soweit – Männer konnten in der BRD ganz offiziell den Beruf des Entbindungspflegers erlernen. Doch lange tat dies erst einmal niemand, die Datenlage dazu bleibt sehr vage. Pfütsch geht davon aus, dass es eigentlich keine echte Nachfrage unter Männern nach dem Beruf gab, sondern die Öffnung eher ein Ergebnis der allgemeinen Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik ist. Doch diese zeigt Wirkung: Heute sind Erzieher, Pfleger und Putzmänner zwar noch immer in der Unterzahl, aber sie sind vielerorts normaler geworden – und bieten Männern auch Karrierechancen. „Mann zu sein in einem Frauenberuf ist kein Aufstiegshindernis – eher umgekehrt“, so Michaela Kuhnhenne, Forschungsreferentin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Männer in traditionellen Frauenberufen seien meist sichtbarer und nähmen öfters Leitungspositionen ein – für sie gelte nicht die hinderliche „gläserne Decke“, sondern der förderliche „gläserner Fahrstuhl“, so die Referatsleiterin.
 
Die Akademisierung der Hebammen-Ausbildung werde jedoch nicht unbedingt viel am Geschlechterverhältnis ändern, so Kuhnhenne. Zum einen schließe der Studiengang „Bachelor of Midwifery“, den angehende Hebammen seit Anfang 2020 absolvieren müssen, Menschen ohne (Fach)hochschulreife erst einmal aus. Andererseits seien die Karriereoptionen als freie oder im Krankenhaus tätige Hebamme auch begrenzt, daran ändere auch das Studium nichts.
 
Etliche ausgebildete Hebammen arbeiten bereits heute aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihrem Beruf – und die Akademisierung könnte diese Entwicklung paradoxerweise sogar vorantreiben. Auch Hebamme Richter sieht dies ähnlich: Zwar sei das Studium gut, denn die Geburtshilfe werde zunehmend komplexer, da medizinische und technische Möglichkeiten zunähmen. Aber: Hebamme ist weiterhin ein Praxisberuf, der viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen braucht – egal, wer schlussendlich dem Kind auf die Welt helfe.

Bier statt Fencheltee im Geburtsvorbereitungskurs

Und doch bewegt sich etwas: Zum einen stoßen männliche Hebammen selbst politische Diskussionen an, fordern Stereotype heraus und bringen frische Perspektiven mit – oder auch mal ein paar Flaschen Bier. Diese waren ein echter Erfolg bei den werdenden Vätern in seinem Geburtsvorbereitungskurs, so Wroblewski. Auch im Unterricht ergreift er Partei für angehende Väter, die im Kreißsaal manchmal nicht wüssten, was sie tun sollten und auch Angst hätten, etwas falsch zu machen. Diese Sichtweise werde aber oft gar nicht vermittelt, so Wroblewskis Eindruck: „Wenn ich mich einbringe, gibt es dann zu allen möglichen Themen immer zwei Perspektiven. Entsprechend kann man dann auch später anders mit den Paaren im Kreißsaal umgehen“, so sein Erfahrung. Weder er noch Richter wollen etwas Besonderes sein oder sich durch ihre Berufswahl als „Karrieremänner“ profilieren – sondern vielmehr, dass es normal wird, dass Männer Frauenberufe ergreifen können, genauso wie das umgekehrt der Fall ist. Wroblewski selbst wünscht sich wie Richter eines Tages eine Familie mit Kindern: „Dann möchte ich einfach Papa sein und danebenstehen und mich von einer Hebamme anschreien lassen, was ich falsch mache“, lacht er.

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