Ökozid im Schwarzen Meer  Russland hat 50.000 Delfine getötet

Im Nationalpark Tuslyer Limane, September 2023
Im Nationalpark Tuslyer Limane, September 2023 Foto: © Mariana Verbovska

Seit mehr als zwei Jahren herrscht in der Ukraine ein totaler Krieg, unter dem nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und ganze Ökosysteme leiden. Unter ihnen sind Zehntausende von Vertretern der Ordnung der Wale, die an den Küsten der Ukraine, Bulgariens, Rumäniens und der Türkei gestrandet sind. Ukrainische Expert*innen schätzen, dass mindestens ein Fünftel der Delfinpopulation im Schwarzen Meer – mehr als 50.000 Tiere – durch die russische Aggression vernichtet wurde. Dies wird Auswirkungen auf einen großen Teil der im Schwarzen Meer lebenden und im Ökosystem miteinander verbundenen Arten haben.

Verschmutzung

Laut Oleksandr Krasnolutskyi, Erster Stellvertretender Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen der Ukraine, war die Situation im Schwarzen Meer nach der Sprengung der Wasserkraftwerke von Kachowka besonders bedrohlich. Im Juni 2023 wurden rund 80 Siedlungen in der Region Cherson nach der Sprengung des Wasserkraftwerks überflutet. Das in den Turbinen und Transformatoren des Wasserkraftwerks gespeicherte Öl gelangte ins Wasser. Es floss ins Schwarze Meer und innerhalb von zwei Wochen wurden mehr als 150 tote Delfine, die vermutlich an einer Vergiftung gestorben waren, von der Strömung an die Küsten von Bulgarien und der Türkei getragen.
 
Oleksandr Krasnolutskyi, stellvertretender Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen der Ukraine

Oleksandr Krasnolutskyi, stellvertretender Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen der Ukraine | Foto: © Pressedienst des ukrainischen Umweltschutzministeriums

„Auf dem Dnipro treiben Öl- und Fettflecken mit einem Gewicht von mindestens 150 Tonnen. Sie können bis ins Mittelmeer gelangen. Der Kachowka-Stausee ist mit toten Fischen bedeckt. Das sind etwa 95.000 Tonnen Bioressourcen. Es ist möglich, dass die Strömung Rehe, Füchse und Hasen aus dem Süden der Ukraine mit sich führt“, sagte damals Andrij Jermak, der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes. Ukrainische Wissenschaftler*innen haben schon früher auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Bestandteile von Öl und Raketentreibstoff zu Vergiftungen und zum Tod von Delfinen führen können, und die Folgen der Sprengung des Kraftwerks haben dies erneut bestätigt.

Geräusche des Krieges

Neben der Vergiftung vermuten die Wissenschaftler, dass die Delfine durch die Kampfhandlungen im Schwarzen Meer ein Lärmtrauma erleiden. „Wir sprechen von den Aktivitäten der russischen Besatzungsschiffe im Schwarzen Meer, von U-Booten, die den Delfinen großen Schaden zufügen. Die Delfine verlieren die Orientierung und sterben. Delfine verwenden den größten Teil ihrer Energie darauf, sich im Raum zu orientieren, Nahrung zu finden und zu kommunizieren. Sie haben keine Außenohren, sondern Innen- und Mittelohren. Diese können durch Explosionen beschädigt werden, der Delfin wird ‚blind‘ und kann sich nicht mehr im Raum orientieren“, erklärt Oleksandr Krasnolutskyi.

Proben der Innenohrstrukturen der toten Säugetiere wurden zu Forschungszwecken an die Universitäten in Padua (Italien) und Hannover geschickt. Untersuchungen sollen Aufschluss über die genaue Todesursache geben. Aufgrund der Komplexität und der Kosten der Untersuchungen dauern diese jedoch sehr lange und gewonnene Erkenntnisse wurden bisher von keiner der beiden Institutionen veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Analysen sollen als Beweismittel in dem Strafverfahren dienen, das die auf Umweltfragen spezialisierte Staatsanwaltschaft der Region Odesa im Jahr 2022 wegen der Massentötung von Delfinen und anderen Tieren im Schwarzen Meer als Folge der bewaffneten Aggression Russlands eröffnet hatte. Derzeit gibt es in der Ukraine noch keine Verurteilungen für den Straftatbestand „Ökozid“. Doch wenn das Urteil des Gerichts entsprechend ausfällt, wird es die Identifizierung und Bestrafung von vorsätzlicher Naturzerstörung verfolgt werden können.

„Es ist auch wichtig, Beweise für Kriegsverbrechen gegen die Natur zu sammeln, damit die Ukraine in Zukunft Entschädigungen für die zerstörte Natur erhalten kann“, so Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission. „Die Ukraine muss Beweise für Russlands Verbrechen gegen die Natur und die Umwelt sammeln, um Russland zu zwingen, Reparationen für diesen Umweltmord zu zahlen“, sagte Timmermans.

Stress und Infektionen

Der ungewohnte Unterwasserlärm erschreckt nicht nur die Vertreter der Ordnung der Wale, sondern auch ihr Nahrungsangebot, so dass die Tiere mehr Zeit und Mühe aufwenden müssen, um Nahrung zu finden. Dies könnte ein weiterer Grund für die Erschöpfung und den Tod der Säugetiere sein.

„Die russische Marine ist in den Gewässern vor der Krim konzentriert und ständig auf der Hut, wobei sie Sonargeräte einsetzt, die Meeressäuger töten. Vor dem Krieg waren Delfinstrandungen im März sehr selten. Aber jetzt, während des Krieges, schätzen wir, dass die tatsächliche Zahl der toten Tiere im Jahr 2024 bereits bei mehreren Tausend liegen wird. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Meer nur fünf Prozent der Kadaver zurückgibt“, sagt Ivan Rusev, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Naturparks Tuslyer Limane.
 
Ein Delfin, der im Gebiet des Nationalparks Tuslyer Limane gefunden wurde

Ein Delfin, der im Gebiet des Nationalparks Tuslyer Limane gefunden wurde | Foto: © Nationaler Naturpark Tuslyer Limane

Rusev war der erste, der die Zahl von 50.000 toten Tieren als Folge des Krieges nannte. Insgesamt zählten Expert*innen aus allen Schwarzmeerländern (außer Russland) vor Ausbruch des totalen Krieges etwa 250.000 Delfine dreier Arten. Laut Ivan Rusev bleiben die meisten Tiere auf dem Grund des Schwarzen Meeres zurück, ihre Lungen füllen sich mit Wasser und sie ertrinken. Gleichzeitig ist der Nationalpark Tuslyer Limane der einzige Nationalpark in der Ukraine mit Schwarzmeerzugang, der nicht von Russland besetzt ist. Daher können Wissenschaftler*innen die Situation der Meeressäuger beobachten. Vor dem Krieg war die vom Park überwachte Küstenlinie 44 Kilometer lang, heute sind es – auch wegen der Minen – nur noch sechs Kilometer. Eine weitere mögliche Ursache für die hohe Sterblichkeitsrate könnte eine Infektion sein, die jedoch als sekundärer Faktor bezeichnet wird. Das bedeutet, dass durch die Kampfhandlungen Abwasserkanäle geborsten sind und das Wasser verseucht wurde, wodurch die Infektion ins Schwarze Meer gelangte.

Umfassende Rehabilitation

Obwohl die Kämpfe noch andauern, hat das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen damit begonnen, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Population von Vertretern der Ordnung Wale nach dem Krieg wieder aufgebaut werden kann.
 
 Im Nationalpark Tuslyer Limane, September 2023

Im Nationalpark Tuslyer Limane, September 2023 | Foto: © Mariana Verbovska

„Wir sind mit unseren deutschen Kollegen im Gespräch, die in der Nähe des Tusly-Nationalparks ein Rehabilitationszentrum für Delfine bauen wollen. Zu diesem Zweck arbeiten wir daran, die Küstenlinie des Naturparks zu erweitern und ein Gebiet auszuweisen, in dem sich die Delfine erholen können“, sagt Oleksandr Krasnolutskyi.

Neben den kriegsgeschädigten Delfinen werden im Rehabilitationszentrum auch Tiere untergebracht, die zuvor in Delfinarien gehalten wurden. „Das bedeutet, dass wir uns auch dafür einsetzen werden, dass es in der Ukraine keine Delfinarien mehr gibt“, so der stellvertretende Umweltminister.

Ein Beispiel für einen solchen Rehabilitationspark gibt es bereits in der Türkei. Wie uns das Umweltministerium mitteilte, wird die deutsche Seite voll in die Planung einbezogen, während die Ukraine nur sagt, wo der Park entstehen kann. Sobald es die Sicherheitslage zulässt, soll an der Schwarzmeerküste mit dem Bau eines Schutzgebietes für die betroffenen Wale begonnen werden.

Die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Umweltschäden werden bereits auf 2,2 Billionen Hrywen [über 51 Milliarden Euro, Stand 16. Mai 2024] geschätzt, wie der Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen Ruslan Strilets im Januar 2024 erklärte.

In den zwei Jahren des totalen Krieges in der Ukraine sind mehr als 600.000 Tonnen Trümmer angefallen.

25 Parks und Naturschutzgebiete sind oder waren besetzt oder liegen im Kriegsgebiet.

Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für Umweltschutz und natürliche Ressourcen verursacht jeder weitere Tag des totalen Krieges Umweltschäden in Höhe von 4 Milliarden Hrywen [etwa 93,3 Millionen Euro].

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