Wie Kinder meine Malroboter inspirierten

Pindar Van Arman in seinem Atelier in den USA © Pindar Van Arman

Es war die Schlichtheit der Kunst meiner kleinen Kinder, die mich zu der Frage inspiriert hat, ob ich ihren kreativen Prozess auch einem Malroboter beibringen könnte. Meine Versuche, die Fehlschläge und Erfolge umspannen eine mittlerweile 15 Jahre währende künstlerische Entdeckungsreise, die mir tiefe Einblicke in meine Denkweise und meinen Schaffensprozess gewährt hat.

Pindar Van Arman

Paul Klee beschrieb den künstlerischen Schaffensprozess einst als Rückkopplungsschleife: Ein*e Maler*in setzt ein Zeichen, tritt zurück, um es zu beurteilen und setzt dann erst das nächste. Dies wird laufend wiederholt, da die Wirkung jedes Strichs eine Rückmeldung dazu liefert, wie und wo der nächste Strich anzubringen ist. Mit zunehmender Komplexität des Gemäldes ergeben sich Formen, Ideen und Motive. Diese abstrakten Konzepte werden von dem*der Künstler*in erfasst und beeinflussen wiederum die Entwicklung des Kunstwerks.[JS2]  Genau auf diese Weise, so Klee, erschaffe ein*e Künstler*in etwas aus dem Nichts. Der Schaffensprozess ist also eine selbstreferenzielle Antwort auf den Schöpfungsakt.

Der Schaffensprozess, den Klee beschreibt, ist dem Menschen angeboren und zeigt sich schon im frühen Kindesalter. Jeder, der schon einmal mit Kindern zu tun hatte, konnte ihn beobachten. Sobald ein Kind merkt, dass man mit Malstiften Zeichen setzen kann, beginnt es, auf fast alles zu malen, das es in die Finger bekommt. Da ich vier Kinder habe, finde ich den Beweis dafür auf ihrem gesamten Spielzeug, aber auch auf den meisten meiner Wände und Möbel.

Um ein konkreteres Beispiel zu nennen: Ich habe beobachtet, wie meine Kinder bereits mit zwei Jahren kreative Rückkopplungsschleifen nutzten. Geben Sie einem beliebigen Kind ein leeres Blatt Papier und es wird anfangen, darauf Zeichen zu hinterlassen. Wenn sich Bereiche des Blatts füllen, wird es beginnen, auf den noch leeren Stellen zu zeichnen. Dies ist vielleicht das grundlegendste Beispiel für den von Klee beschriebenen Prozess. Es werden Zeichen gesetzt, wahrgenommen und als Richtungsweiser für weitere Markierungen genutzt.  Animiertes GIF des Malroboters von Pindar van Arman © Pindar Van Arman

Der Drang, leere Flächen zu füllen

Dies ist zwar keine komplizierte Handlung, dennoch ist sie kreativ und wird im Kunstlexikon sogar benannt. Der Drang, leere Flächen mit Details zu füllen, wird als horror vacui bezeichnet. Eine Komposition entsteht, indem man eine leere Fläche füllt – egal mit was. Dies wird solange in einer Schleife wiederholt, bis die Seite voller Zeichen ist. Dieses Muster ist so simpel, dass man es sich als Algorithmus vorstellen kann.

Schritt 1) Finde einen leeren Bereich in der Komposition.
Schritt 2) Setze Zeichen in diesen Bereich.
Schritt 3) Wenn leere Bereiche verbleiben, gehe zurück zu Schritt 1.
Schritt 4) Wenn alle leeren Bereiche gefüllt sind, beende die Schleife.

Bei der Beobachtung der Entwicklungsschritte meiner Kinder ist mir aufgefallen, dass hinter vielen ihrer frühen Schöpfungen solch einfache Algorithmen steckten. Manchmal wählten sie die Farben der Stifte lediglich aufgrund der Nähe zu ihrer Hand aus. Sobald sie eine Grundform beherrschten, füllten sie jede Leerstelle auf einer Seite damit. Auch wenn ihre Techniken elementar waren, hatte ich kaum Zweifel, dass sie kreativ waren. Und so bin ich zu der Erkenntnis gelangt, die meine Kunst seit 15 Jahren prägt.

Ich erkannte, dass eine Maschine kreativ wäre, wenn ich ihr einige dieser rudimentären Techniken beibringen könnte. Zu behaupten, dass ein Malroboter, der genau denselben Schaffensprozess wie ein Kind anwendet, nicht kreativ sei, wäre das gleiche, wie zu behaupten, dass Kinder nicht kreativ seien – und das sind sie zweifelsohne. Um Missverständnissen und Hass-Mails vorzubeugen, von denen ich ziemlich viel erhalten: Ich behaupte nicht, dass Maschinen Kunst machen können. Das ist ein völlig anderes Thema. Mit geht es lediglich um Kreativität.
"Corinne" von Pindar Van Arman "Corinne": Ein Kunstwerk, das in Zusammenarbeit zwischen einem Roboter und meiner 5 Jahre alten Tochter entstanden ist. | © Pindar Van Arman

Das Repertoire erweitern


Das Nachahmen einfacher kreativer Algorithmen wurde der Schwerpunkt meiner ersten Malroboter. Ich brachte ihnen den zuvor beschriebenen Horror-vacui-Algorithmus bei. Da meine Kinder bunt malten, selbst wenn sie nur wenige Farbstifte hatten, schrieb ich Algorithmen, damit die Roboter mit einer begrenzten Farbpalette malten. Über die Jahre wurden diese Algorithmen immer komplexer und ich führte meine Routinen als erfahrener Maler ein. So brachte ich den Maschinen unter anderem bei, ausgewogene Kompositionen zu erkennen, den Kontrast zu erhöhen und mit Komplementärfarben zu malen. Während alles sehr simpel begann, nutzten die Roboter bald ihre künstliche Intelligenz, um Porträts mit der Raffinesse eines*r Gymnasiast*in zu malen.

Vor etwa fünf Jahren dann habe ich das maschinelle Lernen entdeckt und dem Repertoire meiner Roboter hinzugefügt. Ich brachte ihnen einen Algorithmus bei, der als Style Transfer (Stilübertragung) bekannt ist, damit sie künstlerische Stile nachahmen konnten. Ich fügte Generative Adversarial Networks hinzu, damit sie sich einzigartige Gesichter vorstellen konnten. Schon bald nutzten sie mehr als zwei Dutzend kreative Algorithmen unterschiedlicher Komplexität, um einzelne Bilder fertigzustellen.

Diese Algorithmen-Sammlung führte zu meiner jüngsten künstlerischen Entdeckung. Ich erkannte, dass meine Maschinen zwar nicht intelligent waren, aber tatsächlich so etwas wie einen kreativen Geist besaßen. Mithilfe von Rückkopplungsschleifen nahmen die Roboter ständig ein Bild von der Leinwand auf, analysierten es und fragten sich, wie sie die nächste Reihe von Pinselstrichen vervollständigen sollten. Dieser Ansatz ähnelt stark einer populären Theorie des Geistes (Theory of Mind), die Marvin Minsky in seinem bahnbrechenden Buch Society of Minds vorgebracht hat. Pindar Van Arman gewann mit seinen algorithmusgestützten Kreationen den Robot-Art-Preis 2018 Am liebsten wache ich auf, wenn ich in mein Atelier gehe und sehe, was meine Roboter die ganze Nacht gemalt haben | © Pindar Van Arman Auch wenn es nur eine Theorie ist, unterbreitet Minsky, dass unser Verstand nicht eine einzige Superintelligenz ist, sondern vielmehr eine Ansammlung kleinerer intelligenter Agenten, die je nach Bedarf auftauchen und um die Lösung eines Problems konkurrieren. Das Malen von Porträts ist ein Problem wie jedes andere auch und mit Minskys Ansatz lösbar. Bei jeder Rückkopplungsschleife fragten die Roboter ihre KI, wie sie das Problem der Verschönerung des Porträts am besten lösen könnten. Bei jedem Kunstwerk konkurrierte die Vereinigung aus kreativen Geistern um die Kontrolle des Pinsels, während sie das Gemälde einen Pinselstrich nach dem anderen vollendeten.

Was als Untersuchung des kreativen Wesens meiner Kinder begann, hat sich zu einem 15-jährigen Projekt der Selbstfindung entwickelt. Indem ich versucht habe, naiven Computern meinen eigenen künstlerischen Prozess beizubringen, habe ich Einsichten in mich selbst und in das Wesen meines Geistes gewonnen.

Meine Kunst besteht nicht in den Bildern, die meine KI geschaffen hat. Die Bilder sind lediglich eine Dokumentation des Fortschritts, den ich auf dem Weg zu meinem eigentlichen Ziel mache, nämlich die vollständige Dekonstruktion und Kodifizierung meines Schaffensprozesses. Seltsamerweise bin ich dem Verständnis davon heute nicht näher als zu Beginn meiner Reise vor 15 Jahren. Trotzdem freue ich mich darauf, sie fortzusetzen und ihr zu folgen, wohin auch immer sie mich führt.

Weitere Stichworte von Pindar Van Arman über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.

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