„Wir sind quasi die letzte Generation” Ein Gespräch mit Thomas Ramge über das Schreiben

Autor mit Handy © Colourbox

Online-Tools und künstliche Intelligenz helfen uns beim Schreiben in Fremdsprachen und auch dabei, Rechtschreibfehler zu vermeiden oder Sätze zu vervollständigen. Aber verlernen wir dabei das Schreiben? Bestsellerautor Thomas Ramge spricht mit dem Goethe-Institut über die Vor- und Nachteile dieses technologischen Fortschritts.

Barbara Gruber

Journalist und Autor Thomas Ramge plädiert dafür, digitale Tools dafür einzusetzen, wofür sie taugen: menschliche Intelligenz zu verstärken. Denn ausschlaggebend ist am Ende nicht die künstliche Intelligenz, sondern die digitale Kompetenz, mit der wir Menschen die KI-Tools nutzen.
 
In seinem neuesten Buch Postdigital wirft Ramge die Frage auf, wie wir KI so gestalten und einsetzen können, dass unser Leben davon wirklich profitiert. Mit dem Goethe-Institut sprach er darüber, wie künstliche Intelligenz unsere Kulturtechniken wie zum Beispiel das Schreiben, verändert und was wir brauchen, um in einer postdigitalen Welt zu leben.
 
Wie nutzen Sie selbst KI in Ihrem Alltag und Ihrer Arbeit?
 
Ich nutze KI in meinem Alltag so wie die meisten Menschen: über mein Smartphone und viele Applikationen in diesem Smartphone, von Google Maps über die Suchfunktion, oder die Empfehlungsalgorithmen beim Online-Shopping, die von maschinellem Lernen gefüttert und betrieben werden. Insofern hat sich im Grunde bei fast jeder Form von Nutzung von digitaler Technologie im Hintergrund maschinelles Lernen, also so genannte KI oder die wichtigste Subdisziplin der so genannten künstlichen Intelligenz, in unser Leben eingeschlichen.
 
Von KI profitiere ich stark, wenn ich englische Texte schreibe. Dann nutze ich nicht nur die Korrekturform von Word, sondern nutze auch einen Dienst, der Grammarly heißt, der auch die Grammatik intelligent überprüft und Nicht-Muttersprachlern intelligente Verbesserungen zuspielt. Dies ist ein Beispiel für die Nutzung  maschinellen Lernens. Bei meinem letzten Buch habe ich auch versucht, mit sehr prominenter und kompetenter Unterstützung zu überlegen, ob KI helfen könnte, ein Buch zu schreiben, das über KI reflektiert; aber da hat die KI kläglich versagt. Das können wir als Menschen als beruhigendes Zeichen werten; ich zumindest tue es. Bibliothek Wären all diese Bücher noch grammatikalisch korrekt, wenn es keine Rechtschreibprüfung gäbe? | © Pexels Schreiben ist eine Kulturtechnik, die für Sie als Journalist und Autor zentral ist. Wie verändert KI Ihrer Meinung nach die Kulturtechnik des Schreibens?
 
Vielleicht weniger stark, als die Frage impliziert. Zunächst mal in meiner Muttersprache: nicht sehr stark. Aber KI verändert schon mal das Schreiben dadurch, dass es Informationen schneller zugänglich macht. Das heißt, vor jedem Schreibprozess gibt es zuerst einen Recherche-Prozess. Und bei diesem Recherche-Prozess, insbesondere wenn er online gefüttert ist, gibt es Mechanismen von künstlicher Intelligenz, die mich vielleicht besser auf Informationen oder auf Texte oder Zusammenhänge aufmerksam machen, die mir ansonsten durch die Lappen gehen würden. Es ist eine Hilfsfunktion, um schneller oder umfassender an Informationen zu kommen. Ich nehme es nicht so wahr, dass diese KI, wenn man sie als Hilfe beim Information-Sammeln systematisch und gut einsetzt, ein Filter wäre, der mir viel vorenthält, oder mich per se in eine Filterblase schickt. Eine solche Wirkung kann natürlich von sozialen Medien ausgehen. Aber für mich als Autor würde ich die Hilfe beim Information-Sammeln als eine hilfreiche Funktion ansehen: als eine Unterstützung bei der Navigation in der Welt der unfassbar vielfältigen Informationen.  Mit KI ist diese Navigation leichter, als wenn ich sie ohne diese maschinelle Unterstützung unternehmen müsste. Beim Schreibprozess selbst, zumindest in meiner Muttersprache, sehe ich erst mal keinen direkten Einfluss von künstlicher Intelligenz oder von maschinellem Lernen.
 
Ist es anders, wenn Sie in Fremdsprachen schreiben?
 
Wenn ich auf Französisch oder Englisch schreibe, empfinde ich KI als eine Unterstützung, als eine Intelligenz- oder Schreib-Verstärkung, weil ich mir genau ansehe, welche Vorschläge ich bekomme. Dann habe ich schon die Kompetenz zu sagen: "Okay, dieser Vorschlag ist eine Verbesserung, jener nicht; aber ich wäre nicht selbst darauf gekommen“. Und ich merke sogar, dass mir diese Programme sogar helfen, längerfristig mein Schreiben zu verbessern. Ich stelle nämlich fest, dass ich immer weniger Unterstützungsangebote bekomme, sie also nicht mehr brauche. Insofern kann KI auch beim Schreiben so etwas wie ein Trainer sein. In meinem Buch Postdigital führe ich das Beispiel eines Schach KI-Trainers an, der hilft, Schwächen beim Schachspiel auszumerzen. Das gleiche geschieht beim Lernen in der Mathematik. Ich glaube, dass diese Trainerfunktion auch beim Schreiben möglich ist, insbesondere beim Schreiben in einer Fremdsprache. Gleichzeitig stellt sich die Frage:  Wird diese Kulturtechnik, das Handwerk des Schreibens, in Grundschulen nicht mehr so tiefgehend gelernt?  Und kommt man dann unter Umständen - wie mein jetzt zwölfjähriger Sohn – dahin, dass man sich ungeprüft auf die Rechtschreib- und Grammatik-Korrekturen verlässt? Oder dann im nächsten Schritt: Ich will ungefähr das oder jenes sagen, schreibe etwas hin und schaue, was die KI vorschlägt, worauf ich diesen Vorschlag nur noch anzuklicken brauche. Dies führt zu einer Welt, in der die eigentliche Kulturtechnik des Schreibens nicht mehr ausreichend tief gelernt wird. In der Folge wiederum kann die KI nicht mehr als Trainer fungieren, und alle stagnieren auf einem relativ niedrigen Niveau. Kind schreibend am Schreibtisch Eine sterbende Kunst: Das handschriftliche Schreiben wird an den meisten Schulen noch gelehrt | © Pexels / Julia M Cameron Das heißt, KI ist für Sie zwar ein nützliches Werkzeug, aber Sie sehen durchaus Gefahren für die Zukunft der Kulturtechnik des Schreibens?
 
Ja, natürlich. Wir sind quasi die letzte Generation - oder vielleicht gibt es noch eine danach -, die ohne diese Möglichkeit einer starken Assistenz beim Schreiben aufgewachsen ist. Aber diese KI-Assistenten sind jetzt hier, vor allem in englischer Sprache. Im Deutschen ziehen die Programme langsam nach, auch wenn diese Assistenzsysteme in englischer Sprache noch viel besser sind als die fürs Deutsche. Aber fürs Deutsche zieht die KI nach. Man kommt an einen Punkt, an dem jemand, der nicht so gut schreiben kann, durch maschinelle Assistenz auf ein ganz anständiges Schreibniveau gehoben werden kann. Und dann stellt sich genau die Frage: Lernen wir nicht mehr die Grundlagen? Um dann noch eine Stufe höher zu kommen, wird es vermutlich immer so sein, dass du diese Kulturtechnik des Schreibens sehr tief beherrschen musst. Aber für welchen Anteil der Schreibenden reicht gewissermaßen ein unteres oder mittleres Niveau, um von einer Maschine auf ein ganz anständiges Niveau gehoben zu werden? Und welche Rückwirkungen hat dies alles auf das Lehren und Lernen, und auf die Nutzung von Sprache und Schreiben in der Tiefe? Es sollte doch besser nicht so weit kommen, dass die Schreib-Kompetenz vernachlässigt wird, weil man denkt: um es ganz anständig hinzukriegen, muss man es gar nicht mehr können, weil es die Sprachassistenten gibt.
 
Ihr neuestes Buch "Postdigital" definiert eine neue Ära, die eine Synthese aus analoger Kultur und digitaler Innovation ist. Was sind die wichtigsten Merkmale dieses postdigitalen Zeitalters?
 
Das Hauptmerkmal ist, dass die Nutzung digitaler Systeme souverän ist, das heißt kompetent und selbstbestimmt, und dass wir gleichzeitig ein viel besseres Gespür und ein Wissen darüber haben, wann digitale Technologie nichts nützt und wann sie eher schadet. Das heißt, es geht um die Fähigkeit, intelligente Technologie intelligent einzusetzen und sie abzuschalten, wenn sie schadet oder nervt und uns ablenkt. Es ist die Fähigkeit, diesen Hype um Digitalisierung hinter uns zu lassen.
 
Die letzten zehn oder zwanzig Jahre waren dominiert vom Schlagwort: “Die Zukunft liegt in einem Wort: Digital”. Im Postdigitalen spielt das Digitale eine Rolle wie der Kunststoff; er ist wichtig, wird überall eingesetzt;  er ist auch in der Regel eher gut als schlecht, oft ist er allerdings schlecht. Ähnlich ist Digital in der Regel auch gut. Aber die Digitalisierung wurde in vielen Kontexten fast wie eine Religion, wie eine Heilslehre betrieben. Und im Postdigitalen schaffen wir es, diesen Hype hinter uns zu lassen. Wir schaffen es, entspannter, kompetenter, souveräner mit digitaler Technologie umzugehen, aber auch besser zu verstehen, wo ihre negativen Effekte entstehen und wo sie nichts nützt.
Thomas Ramge Thomas Ramge | Foto: Peter van Heesen  
Und wie erreichen wir als Individuen und als Gesellschaft diese digitale Souveränität und diese hohe digitale Kompetenz, von der Sie sprechen?
 
Ich beobachte schon, dass zunehmend mehr Leute verstehen, dass dieses “Ding” nicht auf dem Nachttisch liegen sollte, und sich auch dessen bewusst werden, dass es das erste ist, was man morgens anmacht, und das letzte, was man ausmacht. Ich beobachte auch, wie selbst digital affine Menschen erkennen, dass soziale Medien oder das Handy ein Gewicht in ihrem Leben gewonnen haben, das nicht gut, sondern schädlich ist; und ich sehe, dass sie aktiv daran arbeiten, sich von dieser Abhängigkeit zu befreien. Man könnte zum Beispiel die Achtsamkeits-Bewegung als Gegenbewegung zur Digitalisierung sehen.
 
Im Kern geht es um nichts anderes als eine klassische Technologie-Folgenabschätzung. Ich glaube, wir haben jetzt noch die Chance, es nicht wie beim Verbrennungsmotor zu machen und zu spät festzustellen: "Verdammte Hacke, die mit dem Verbrennungsmotor verbundene Kohlenstofffreisetzung führt dazu, dass vielleicht dieser Planet nicht mehr so richtig lebenswert bleibt". Jetzt müssen wir alles tun, um ähnliches bei digitalen Systemen zu verhindern. Auf diesem Feld zumindest sollten wir die Karre nicht ganz so tief in den Dreck fahren.

Weitere Stichworte von Richard Dunn über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.

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