„Jeder übernimmt Verantwortung für seine Sounds“ Ein Gespräch mit Benoit and the Mandelbrots

Benoit and the Mandelbrots Foto: Daniel Bollinger

Die Live-Coding-Band Benoît and the Mandelbrots produziert elektronische Musik und spielt regelmäßig auf sogenannten ‚Algoraves‘. Die in Deutschland ansässigen Laptop-Musiker sprechen mit dem Goethe-Institut über ihre Vorgehensweise.

Jochen Gutsch

Die Schöpfung des relativ neue Begriffs ‚Algorave‘ wird Alex McLean zugeschrieben, einem in Großbritannien ansässigen Elektro-Musiker, der 2011 erstmals die Wörter ‚Algorithmus‘ und ‚Rave‘ miteinander kombiniert hat. Seit der ersten Show in London sind Algoraves zu einer globalen Bewegung geworden und schon bald fanden Spin-off-Events auf der ganzen Welt statt.

Einer der deutschen Acts, der regelmäßig in Algoraves auftritt, ist Benoît and the Mandelbrots. Das nach dem Mathematiker Benoit Mandelbrot benannte Quartett aus Karlsruhe spielt Live-Coding-Shows, in denen der Code auf die Wand hinter der Bühne projiziert wird. Drei Bandmitglieder – Patrick Borgeat, Juan A. Romeo und Matthias Schneiderbanger – sprachen mit dem Goethe-Institut über ihre Musik.

Für Leute, die noch nichts von Algoraves gehört haben, könnt ihr uns bitte erklären, was genau das ist und wie es funktioniert?

Patrick Borgeat (PB): Algoraves sind Partys für algorithmische Musik mit einem starken Fokus auf Live Performance und Improvisation. Eine weit verbreitete Technik ist das Live-Programmieren, bei dem die Musiker Algorithmen schreiben, die Musik und Klänge formen. Neben der Musik werden auch algorithmisch erzeugte Grafiken zur Schau gestellt. Dabei werden die Bildschirme der Programmierer so projiziert, dass das Publikum nicht nur einen Drink genießen, Musik hören und tanzen kann, sondern auch den Prozess optisch mitverfolgen kann. Mit Benoît and the Mandelbrots haben wir bereits auf mehreren Algoraves gespielt und hier in Karlsruhe sogar sechs Algoraves organisiert.
 

Verfolgen Künstler angesichts der weltweit stattfindenden Algoraves unterschiedliche Ansätze, oder gibt es einen gemeinsamen Nenner wie eine Go-to-Software – beispielsweise SuperCollider oder TidalCycles vom eingangs erwähnten Alex McLean?

Juan A. Romero (JR): Klar gibt es bestimmte Tendenzen, aber im Großen und Ganzen gibt’s da sehr viel individuelle Wege und DIY-Sprachen. Im Allgemeinen besteht die Idee darin, uns durch die Musik auszudrücken. Einige schreiben sie gerne schnell und präzise, andere bevorzugen einen langsameren Ansatz, jedoch mit mehr Fokus auf den Klängen und nicht den Sequenzen. Viele von uns haben mit SuperCollider oder TidalCycles angefangen (das auch SuperCollider im Hintergrund verwendet), aber die Sprachen und auch die Sampling- oder Audio-Engines wurden stark weiterentwickelt. Da es sehr einfach ist, SuperCollider als Audio-Backend für alle möglichen Sprachen zu verwenden, werden viele Tools damit kombiniert.

In den meisten Bands spielen die beteiligten Musiker unterschiedliche Instrumente. Gibt es auch bei euch unterschiedliche kreative Rollen für die einzelnen Mitglieder, wenn ihr vier zusammen spielt?

Wir haben alle einen musikalischen Hintergrund, aber dies hat keinen Einfluss auf unsere musikalische Darbietung. Zwei von uns sind mehr auf der Gitarren-Seite und die anderen zwei sind mehr auf der Seite der Saxophon- / Blasinstrumente. Mit unserer vorherigen Band Grainface habe ich MIDI-Gitarre gespielt und Patrick hat MIDI-Saxophon gespielt, aber mit den Mandelbrots tauschen wir alle Rollen aus. Manchmal übernehmen wir mehr Basslinien oder Beats, manchmal nur Soundeffekte oder harmonische Sequenzen. Wie genau die Musik gespielt wird, hängt komplett von unserem Tag ab, und ob jemand glaubt, neue Ideen zu haben.

Eure Laptops sind über ein Netzwerk verbunden, über das ihr kommunizieren, synchronisieren und Daten austauschen könnt. Wie genau funktioniert das – können mehrere Personen gleichzeitig Musik erstellen und manipulieren?

In unserem Setup übernimmt jeder die Verantwortung für seine eigenen Sounds, die er selbst erstellt und weitgehend kontrolliert. Das Netzwerk, das eine Softwarekomponente namens BenoitLib verwendet, ist meist nur dazu da, unser Tempo zu synchronisieren und Chat-Nachrichten aneinander zu senden. Über dieses Netzwerk können wir auch Parameter teilen, zum Beispiel eine harmonische Sequenz, sodass wir im Einklang miteinander spielen können. Ein wichtigerer Aspekt der Kommunikation ist für uns die Musik selbst, da man ständig aufmerksam zuhört, um in allen Klängen ein Gleichgewicht zu finden und Wege zu finden, um die musikalische Darbietung voranzutreiben. Dazu gehört auch das gegenseitige sich-zu-Nicken oder manchmal auch weniger ermutigende Gesten, wenn die Dinge nicht richtig sind – aber immer gepaart mit einem Lächeln.

Benoit and the Mandelbrots, SuperCollider Symposium 2012 Benoit im Einsatz | © Steve Welburn Die Frage der Urheberschaft wird in der KI-Kunst oft diskutiert. Auf der Algorave-Website heißt es, dass Musiker die Verantwortung für ihre Musik übernehmen, anstatt „so zu tun, als wäre ihre Software kreativ“. Was ist eure Meinung dazu?

JR: Ich sehe mich definitiv in einer kreativen Rolle. Die Musik und der Code den ich schreibe, haben quasi eine „kontrollierte Zufälligkeit“ aber ich würde nicht sagen, dass sich die Musik selbst spielt oder sich selbst im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Ich bin derjenige, der den Algorithmus weiterentwickelt und ausführt – es sind alles persönliche Entscheidungen, die ich treffe, wie es mir grade gefällt.

Eure Musik ist eindeutig als elektronische Musik erkennbar. Ihr setzt virtuelle Instrumente, repetitive Elemente, Synth-Linien, Beats, Soundscapes usw. ein. Habt ihr bereits ein klangliches Ergebnis im Sinn, wenn ihr anfangt? Legt ihr bestimmte Parameter fest, innerhalb derer ihr improvisiert und operiert?

Matthias Schneiderbanger (MS): Generell wollen wir die Gegenwart, das Ambiente, die Stimmung des Publikums spüren und diese Stimmung als unsere Hauptinspiration für das, was als nächstes kommt, nehmen. Aber im Laufe der Jahre haben wir ungewollt eine Art Metasprache entwickelt, die uns hilft, bestimmte Stimmungen zu beschreiben, die wir kreieren wollen. Sie besteht aus Begriffen wie „noisy“, „beaty“ oder „ambienty“ und beschreibt bestimmte Wahrnehmungen, die sich während vergangener Aufführungen entwickelt haben. Das hilft uns zuverlässig in einer neuen Konzertsituation zu spielen. Diese Begriffe definieren keine expliziten Parameter, sondern jeder von uns hat seine eigenen Techniken, um diese Schlüsselwörter umzusetzen. Unsere gemeinsame Erfahrung ist vielleicht der Hauptgrund, warum wir mit sehr wenigen Begriffen kommunizieren können. Der Rest der Kommunikation erfolgt über Musik. live.code.festival 2013 – IMWI HfM Karlsruhe Benoit and the Mandelbrots treten beim live.code.festival 2013 in Karlsruhe auf | © Daniel Bollinger Karlsruhe ist eine mittelgroße Stadt mit vielen Universitäten, von denen einige auf Kunst und Musik spezialisiert sind, sowie dem international renommierten ZKM (Zentrum für Kunst und Medien). Erzählt uns doch mal von der dortigen lokalen Kunst- und Musikszene und den Verbindungen zwischen Institutionen und Genres.

PB: Der Schlüssel zur Gründung unserer Band und zu unserem Engagement für die Live-Coding-Szene im Allgemeinen, ist der Kurs für Musikinformatik und Musikwissenschaft (IMWI) an der Musikuniversität in Karlsruhe, an der wir uns alle getroffen haben. In Gastvorträgen von Alberto de Campo und Julian Rohrhuber, zwei Pionieren der Live-Codierung, haben wir uns erstmals mit Live-Codierung auseinandergesetzt. 2013 konnten wir dann am IMWI das Live.Code.Festival organisieren, eine der ersten globalen Zusammenkünfte der Live-Codierungsszene.

Für einige Algoraves mit vielen internationalen Künstlern aus dem Ausland haben wir im Jubez, einem Kultur- und Jugendzentrum in Karlsruhe, einen sehr begeisterten Partner gefunden, der ein abwechslungsreiches Programm an Konzerten, Vorträgen und anderen Veranstaltungen bietet. Und schließlich hatten wir auch das Vergnügen, des Öfteren im ZKM aufzutreten oder mit dem Team dort zusammenzuarbeiten. Heutzutage sind wir nicht mehr wirklich in Karlsruhe ansässig, da Juan nach Frankfurt und Holger nach Newcastle in Großbritannien gezogen ist; er lebte sogar einige Zeit in Australien.

Was hat euch dazu veranlasst, einen Bandnamen zu wählen, der auf Benoit Mandelbrot basiert? Hatte er bestimmte Ideen, die ihr für euren kreativen Prozess nutzen konntet?

MS: Ich glaube, jeder von uns hat eine andere Beziehung zum Bandnamen, aber ich denke immer an meine Kurse in algorithmischer Komposition bei Professor Denis Lorrain zurück, in denen er uns unter anderem Algorithmen vorgestellt hat, die auf Benoit Mandelbrots Fraktalen und ihrer musikalischen Anpassung basieren. Wir haben in unserer Musik nie fraktale Algorithmen verwendet, sind aber dennoch seinem Beispiel gefolgt, um komplexe Strukturen aus einfachen Algorithmen zu erstellen. Außerdem hatten wir die Idee, trotz unseres atypischen Live-Coding-Ansatzes eine typische Band zu bilden. Daher suchten wir nach einem Namen, der auf dieser Idee basiert und gleichzeitig anderen typischen Bandnamen wie ‚Huey Lewis and the News‘ oder ‚Kool & the Gang‘ ähnelt. Und wahrscheinlich wollten wir uns auch von der hauptsächlich akademischen und zeitgenössischen Musikumgebung distanzieren, in der ursprünglich Live-Codierung entstanden ist.


Benoît and the Mandelbrots besteht aus Patrick Borgeat, Juan A. Romero, Matthias Schneiderbanger und Holger Ballweg. Die 2009 in Karlsruhe gegründete Band ist bekannt für Live-Codierung und Algorave-Auftritte.

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