Selbstoptimierung
Wie wir weiterkommen

Mann, der zu Hause die Sportübung „Plank" macht und einen Laptop benutzt Foto (Detail): William Perugini © picture alliance/Westend61

Wir wollen besser werden – unablässig: aus Fehlern lernen, Fehler vermeiden, Fehler akzeptieren. Ratgeber, Coaches und Trainer tun viel, um uns dabei zu helfen. Doch wir könnten es uns viel leichter machen!

Maximilian Buddenbohm

Wer zu Beginn der Corona-Zeit viel in den sozialen Medien gelesen hat, dem sind vielleicht gleich zu Beginn zwei entgegengesetzte Ratschläge aufgefallen. Zum einen gab es etliche Menschen, die auf die großartige Verwendbarkeit des Lockdowns hingewiesen haben. Man könnte doch jetzt endlich, also was man jetzt alles könnte! Wann, wenn nicht jetzt! Und dann wurden von Coaches, Trainern und Lehrenden aller Art viele, viele Themen und Möglichkeiten herumgereicht. Man könnte doch endlich Spanisch lernen, Programmieren, Klavier oder Yoga, PowerPoint oder wenigstens das besonders smarte Moderieren von Online-Meetings, es wurden immer weiter Themen und zu erreichende Kunstfertigkeiten aufgezählt. Da wurde die Corona-Krise also als Bildungsurlaub betrachtet.

Zum anderen gab es aber Stimmen, die auf den großen Vorteil der Nichtverfügbarkeit der Möglichkeiten hingewiesen haben. Die wollten dann, dass wir das Meditieren erlernen, dass wir auf das Nichts achten, auf die ungewohnte Ruhe um uns herum, auf unsere abnehmenden Bedürfnisse und Optionen und darauf, wie wenig wir wirklich brauchen, also abgesehen von dieser einen Meditationsapp natürlich. Da wurde die Corona-Krise also als Wellness-Urlaub betrachtet. Diese beiden Empfehlungsvarianten sind auch die Hauptrichtungen der Selbstoptimierung, wie sie in zahllosen Ratgebern empfohlen werden. Es gibt noch eine dritte Richtung, die kam aber aus guten Gründen in den ersten Wochen der Pandemie eher nicht vor, ich komme weiter unten darauf zurück.

Es wird brachial auf Binsen heruntergebrochen

Man kann sich bei Diensten wie etwa Blinkist Kurzfassungen von Sachbüchern und Ratgebern vorlesen lassen, die zeitgemäße Version von Reader’s Digest sozusagen. Wenn man dort Themen wie Psychologie, Selbstoptimierung oder Karriere auswählt, werden einem stark vereinfachte Versionen von in der Regel ohnehin schon vereinfachenden Büchern vorgelesen. Es wird also alles brachial auf Binsen heruntergebrochen und viel bleibt dabei manchmal nicht übrig. Es ist aber dennoch interessant, sind doch etliche der Bücher erfolgreiche Bestseller und jahrelanger Gesprächsstoff im Smalltalk. Diese Bücher beeinflussen Managemententscheidungen und wirken bis in unsere Lebensregeln, unsere Alltagsroutinen und vermutlich sogar bis in die Selbstbilder. Sicher helfen sie auch der einen oder dem anderen, das soll nicht bezweifelt werden.

Die eine der Hauptrichtungen zielt dabei auf die Effizienzsteigerung, auf ein Mehr von irgendwas, auf eine Verbesserung und Maximierung und immer auf die Zukunft. Das sind Bücher oder andere Medien mit einem kämpferischen, zupackenden Ton, die stark auf Techniken abheben, auf Rituale und Methoden. Die Quintessenz ist im Grunde aber immer gleich: „Jetzt reiß dich mal zusammen!“ Und dann macht man eben etwas mehr oder etwas besser.

Die andere Richtung zielt auf Achtsamkeit und Beobachtung, auf ein Weniger, auf ein Minimum, auf das Nichtstun, die Ruhe und auf das Jetzt. Es sind Bücher oder andere Medien mit einem sanften, säuselnden Ton, die stark auf Techniken abheben, auf Rituale und Methoden. Die Quintessenz ist im Grunde aber immer gleich: „Entspann dich mal!“ Und dann macht man eben etwas weniger oder etwas langsamer.

Zusammenreißen! Entspannen! Glücklich werden!

Wenn man einen Augenblick über diese beiden Quintessenzen nachdenkt, fällt vielleicht auf, dass sie einen guten Teil von dem erschlagen, was man auch im Freundes- und Bekanntenkreis, unter Kolleginnen und in der Familie situationsangepasst im hilfreichen Gespräch als guten Rat weitergibt, sei es nun bei Karrierefragen oder bei Liebeskummer. Man drückt es vielleicht eloquenter aus, aber man kommt auf jeden Fall weit mit diesen beiden Botschaften.

Ich habe oben noch eine dritte Variante erwähnt. Die hebt eher nicht so sehr auf Methoden ab, die entscheidet sich auch nicht immer für die Tat oder für die Pause, die stellt vielmehr eine Forderung nach Verständnis, Erkenntnis und Neubewertung der Lage. Die Forderung ist aber auch wieder einfach und ebenfalls als Ratschlag unter Freunden bekannt, sie lautet schlicht: „Sei glücklich!“ Es ist daher naheliegend, dass sie in der Coronazeit zunächst eher nicht so laut vorkam, denn nach Glück sah die Nachrichtenlage weltweit nicht aus. Wenn man aber die allmählich zahlreicher werdenden längeren Artikel liest, die sich spekulativ mit der Zeit nach Corona befassen, dann taucht diese Richtung dort schon auf, etwa als lang abgehandelte Frage, ob wir irgendwann wieder glücklich – oder gar noch glücklicher – sein können. Wir reißen uns jetzt alle mal zusammen, dann entspannen wir uns mal und dann sind wir glücklich.

Eine Aneinanderreihung von Fehlern

Wir können diese Richtungen nebeneinander setzen, dann fällt auf, dass sie zu verschieden Tageszeiten passen. „Jetzt reiß dich mal zusammen!“, das braucht man immer zum Aufstehen. „Entspann dich mal!“, das passt immer zum Feierabend. Das Glück ist hier schwerer einzusortieren, was übrigens schon viel aussagt, denn es lässt sich eben schwer greifen, das Glück. Die Maximen passen aber auch gut zu verschiedenen Jahreszeiten oder zu Lebensphasen. Man kann damit herumspielen, man kann sie hier und da anwenden, und man ist damit schon gut beschäftigt und auch stets bemüht. Und Mühe verlangt es allemal, setzen doch alle drei Maximen voraus, dass es nicht gut ist, wie es ist. Es könnte besser sein! Wir haben eine fast abergläubische Aversion dagegen, die Gegenwart als Optimum zu benennen, die Gegenwart besteht vielmehr routinemäßig aus einer Aneinanderreihung von Fehlern und Versuchen, das Gelingen ist irgendwo da draußen.

Wenn es gut wäre, wie es ist – wir würden uns nicht mehr für die Selbstoptimierung interessieren und schlimmer noch, unser Streben würde in Frage gestellt werden – wohin gehen wir denn, wenn nicht zum Besseren? Wir hängen an der Selbstoptimierung, auch wenn wir es nicht explizit so nennen, auch wenn es uns nicht einmal bewusst ist. Wir wollen immer mehr, wie unsere Wirtschaftsform, die wir dauernd hart kritisieren. Ob das so überhaupt richtig sein kann? Oder ist am Ende das ganze Prinzip ein Fehler? Man müsste vielleicht mal einen Ratgeber darüber lesen, wie mit diesen Ratgebern eigentlich umzugehen ist. Aber dazu müsste man sich ja schon wieder zusammenreißen. Oder sich erst einmal entspannen, es kommt sicher darauf an.

Wie auch immer, wir wären jedenfalls wieder ein Stück weiter und glücklicher.

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