Ein Produkt, das niemand brauchte
Die Erfindung des Post-it

Ein Produkt, das niemand brauchte Illustration: © Amélie Tourangeau

Ein Superkleber sollte es sein, widerstandsfähiger und stärker als alle bisherigen Klebstoffe. In Laufe seiner Experimente erzeugte Silver jedoch genau das Gegenteil: zwar einen Klebstoff, aber einen, die sich leicht wieder ablösen ließ.

Catherine Genest

Die Geschichte des Post-it begann 1968 bei 3M, einem Unternehmen im Mittleren Westen der USA. Spencer Silver, kaum 30 Jahre alt, war ein neuer Mitarbeiter in der campusähnlichen Unternehmenszentrale, wo Tausende von Freigeistern Seite and Seite kollegial mit erfahrenen Wissenschaftlern zusammenarbeiteten. Die Atmosphäre war entspannt und kreativ anregend, ein wenig wie im Silicon Valley, bevor Silicon Valley zu einem Begriff wurde.
 
In diesem lockeren Rahmen wurde der aus Texas stammende Jungchemiker von seinen Vorgesetzten beauftragt, einen neuen Klebstoff zu entwickeln. Ein Superkleber sollte es sein, widerstandsfähiger und stärker als alle bisherigen Klebstoffe. In Laufe seiner Experimente erzeugte Silver jedoch genau das Gegenteil: zwar einen Klebstoff, aber einen, die sich leicht wieder ablösen ließ. Silver meinte sogleich, er habe versagt. Später wird er darüber sagen: „Ich hatte die Lösung für ein Problem gefunden, nach dem ich noch suchte.“ In der Tat hatte er soeben Papierwarengeschichte gemacht.
 
Trotz des angeblichen Fehlschlags verbreitete sich bei 3M die Nachricht über Silvers Erfindung. Die selbstklebenden Mikrosphären, ebenso genial wie unnütz, erregten die Aufmerksamkeit eines älteren Kollegen, Arthur Fry. Mittlerweile zerbrach Silver sich den Kopf, eine Verwendung für die Klebekügelchen zu finden, bevor er das Projekt endgültig zu den Akten legte. Die Erleuchtung kam buchstäblich während eines Gottesdienstes.
 
Als Mitglied im Kirchenchor hatte Art die Angewohnheit, während der Chorproben kleine Zettel zwischen einzelne Notenblätter zu legen, um die gewünschten Lieder während des Singens schneller zu finden. Allerdings fielen diese Lesezeichen ständig heraus. Und so dachte er, während er einen Psalm zu Ehren Jesu Christi des Erlösers sang, erneut an die Mikrosphären von Silver. Wäre es nicht großartig, wenn er diese wertvolle Klebemasse auf seine Lesezeichen auftragen könnte?
 
Von diesem Zeitpunkt an arbeiteten die beiden Männer offiziell gemeinsam an der Perfektionierung des Klebstoffs. Jedoch konnten sie ihre Vorgesetzten, die anfangs höchst skeptisch waren, erst im Jahr 1980 davon überzeugen, Post-it-Blöcke auf den Markt zu bringen. Heute verkauft 3M jährlich schätzungsweise 50 Milliarden Stück davon. Nicht schlecht für ein Produkt, das niemand wirklich brauchte.



Samuel Colt „Inventors and Inventions”, Band 1: Accidents and Mistakes, Marshall Cavendish, 2008.
 
Nick Glass und Tim Hume „The ‘Hallelujah moment‘ behind the invention of the Post-it note“, CNN Business (4. April 2013).
 
Frank Partnoy Wait: The Useful Art of Procrastination, Profile Books, 2012.

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