Kunst
Gebrauchsanweisung für die Expert*innentäuschung

Tromper les experts: mode d’emploi Illustration: © Amélie Tourangeau

Einige Fälscher sind ebenso berühmt wie die Meister, die sie inspiriert haben. Die Öffentlichkeit sieht in ihnen keineswegs Kriminelle und scheint sich vor allem zu fragen, wie sie es geschafft haben, die größten Experten auf ihrem Gebiet hinters Licht zu führen.

Vanessa Allnutt

2006 wurde ein Werk des deutschen Malers Heinrich Campendonk aus dem Jahr 1914, Rotes Bild mit Pferden für 2,8 Millionen Euro an das Unternehmen Trasteco verkauft – der höchste Betrag, der jemals für ein Werk des Künstlers erzielt wurde. Der einzige Haken dabei: Das Gemälde stammt gar nicht von Campendonk…

Wir alle sollten uns klar darüber sein, dass wir nur über schlechte Fälschungen reden können, jene, die entdeckt wurden. Die guten Fälschungen hängen weiterhin an den Wänden.

Théodore Rousseau

Es handelt sich stattdessen um ein Werk des Fälschers Wolfgang Beltracchi, eines der größten Fälscher des 21. Jahrhunderts. Der Betrug wurde erst einige Jahre nach dem Verkauf entdeckt, als bei einem Laborgutachten im Gemälde Titanweiß gefunden wurde, ein Pigment, dass es zur angeblichen Entstehungszeit des Werkes noch nicht gab. 
 
Dieser Fall zeigt eine Realität, die den Kunstmarkt vielleicht ebenso lange plagt, wie es ihn gibt: Fälschungen, mit denen Experten und Amateure in die Irre geführt werden. Dahinter stehen zahlreiche Motive; Profitgier ist sicherlich immer im Spiel. Fälschungen sind ein höchst lukratives Geschäft und kommen häufiger vor, als man denkt. Fast 50 Prozent der im Umlauf befindlichen Werke, eventuell sogar mehr, sind gefälscht. 
 
Einige Fälscher sind heute so berühmt wie die Meister, die sie inspiriert haben. Die Öffentlichkeit sieht in ihnen keineswegs Kriminelle und scheint sich vor allem zu fragen, wie sie es geschafft haben, die größten Experten auf ihrem Gebiet hinters Licht zu führen. Ihre Täuschungen faszinieren mehr als dass sie schockieren. 

Die „Bonnie und Clyde“ der Kunstwelt 

Beltracchis Gemälde war eine „originale“ Fälschung, ein Oxymoron, wie es im Buche steht. Der Fälscher kopierte kein bereits existierendes Gemälde und er schuf auch kein neues Gemälde aus Elementen anderer Campendonk-Gemälde (eine Technik, die man eher mit dem Begriff Pastiche assoziiert). Wie der ebenso berühmte Fälscher Han van Meegeren, der in der Zwischenkriegszeit einen „neuen“ Vermeer malte, schuf Beltracchi ein Werk, das es nicht gab, das aber aufgrund der außerordentlichen Ähnlichkeit mit anderen Werken Campendonks für ein Gemälde des Malers durchgehen konnte. Bevor Beltracchi entdeckt wurde, fälschte er Hunderte von Kunstwerken und ließ sich dabei von Max Ernst, André Derain und Georges Braque inspirieren. 
 
Beltracchi und seine Frau Hélène behaupteten, die Gemälde seien während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen und schließlich in seinem Besitz gelandet. Es war in der Tat nicht ungewöhnlich, dass Sammler während der NS-Zeit ihre Werke versteckten. Das Paar behauptete, Hélènes Großvater, ein belgischer Industrieller mit Sitz in Köln, habe Gemälde bei einem bekannten jüdischen Kunsthändler zu niedrigen Preisen erworben, bevor dieser nach Frankreich ins Exil ging. Seinerzeit schien diese Geschichte plausibel. Erst viel später, als sich der Verdacht zu verdichten begann, stellte sich heraus, dass die Chronologie nicht stimmen konnte. Hélènes Großvater war kaum der Teenagerzeit entwachsen, als er die angeblichen Gemäldekäufe tätigte. 
 
Die ästhetischen Qualitäten der Gemälde Beltracchis stehen außer Zweifel. Die berühmtesten Kunstkenner erkannten die Fälschung nicht, nicht einmal Werner Spies, damals Direktor des Musée national d’art moderne im Centre Pompidou. Spies, ein Experte für Werke des Künstlers Max Ernst, erklärte sogar, dass eines der in Wahrheit von Beltracchi stammenden Gemälde eines der herausragenden Werke des surrealistischen Malers sei. Kurz darauf wurde das derart gelobte Bild von einem Galeristen für 1,8 Millionen Euro verkauft … Angesehene Auktionshäuser wie Sotheby’s und Christie’s versteigerten Dutzende anderer Beltracchi-Fälschungen. 
 
Das Ehepaar Beltracchi wurde schließlich überführt und wegen des Verkaufs von 14 gefälschten Gemälden mit einem geschätzten Gesamtverkaufswert von fast 16 Millionen Euro angeklagt. Man kann annehmen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist, aber dieser Betrugsfall hat die Glaubwürdigkeit des Kunstmarktes bereits erheblich erschüttert. Über Nacht waren Werke, die gestern noch für Hunderttausende von Dollar oder mehr verkauft worden waren, nichts mehr wert. 

Virtuose oder Betrüger? 

Die aufgedeckte Fälschung enthüllte das Ausmaß des Betrugs, aber auch das Talent Beltracchis, welches die Experten anschließend zu verunglimpfen versuchten. Plötzlich sahen sie nur Fehler und Irrtümer in den Laborauswertungstabellen, an den Gemälden hatte sich jedoch kein einziger Pinselstrich geändert. Wenn es zutrifft, dass der Wert eines Gemäldes auch von seiner historischen Bedeutung abhängt, können wir in der Rhetorik der Experten auch einen Versuch sehen, die Aufmerksamkeit von einem Kunstmarkt mit überheizten Preisen abzuwenden, der den Weg für diejenigen ebnet, die es verstehen, sich die dunklen Ecken dieser Maschinerie zunutze zu machen. 

Wie der Soziologe Gary Alan Fine betont, ist es bei Fälschungen durchaus möglich, den Opfern die Schuld zuzuweisen. Viele Fälscher erklären, dass sie die Leichtgläubigkeit einer Kunstszene entlarven wollten, die bereit ist, alles zu glauben, solange es den erwarteten Auktionspreis in die Höhe treibt. Andere, wie Han van Meegeren, haben Berichten zufolge versucht, das Fachwissen von Spezialisten in Frage zu stellen, manchmal als Reaktion auf das Ignorieren oder die Kritik ihrer eigenen Werke durch die Expertenwelt. Was auch immer das Motiv ist, jedenfalls schämen sich Fälscher selten für ihr Verbrechen. Sie verstehen sich im Allgemeinen als große Künstler, als weiße Ritter, die die Schwachstellen eines korrupten Systems anprangern. 
 
Wo es mittels wissenschaftlicher Analysen heute möglich ist, den Fälschern ihr Tun zu erschweren, bleibt allerdings eine Frage offen. Die amerikanische Kunstkritikerin Aline Saarinen hat sie in den Raum gestellt: Ist eine Fälschung, wenn sie denn so gelungen ist, dass selbst die besten Experten keinen Unterschied erkennen können, kein authentisches Kunstwerk? Die Debatte geht also weiter. 
 

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